Nicht ohne Grund haben sich SPD, Linke und Grüne dazu entschieden, zum Auftakt der Schlussgespräche für die Koalitionsverhandlungen das Thema Gesundheit zu wählen. Hier sind die Spielräume sehr gering. Die Finanzierung der Krankenhäuser ist ein starrer Block, in dem schwer etwas zu bewegen ist. Die Pflegestandards und –kosten werden maßgeblich vom Bund vorgegeben und die normale Gesundheitsversorgung wird zum größten Teil von den Krankenkassen gesteuert. Die Finanzierung der Universitätskrankenhäuser Charité und Benjamin-Franklin fällt nicht in das Gesundheitsressort, sondern wird von der Wissenschaft betreut.
Dennoch haben sich die drei potenziellen Koalitionäre auf drei Schwerpunkte geeinigt, die in den kommenden fünf Jahren in Angriff genommen werden sollen: den Ausbau der Gesundheitsprävention, die Fortschreibung der Krankenhausfinanzierung und die Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Es habe ein großes gemeinsames Bestreben gegeben, die Gesundheitspolitik voranzubringen, hieß es aus allen drei Verhandlungsgruppen. Demnach gab es ein großes Einverständnis und unkomplizierte Verhandlungen.
Die Förderung der Gesundheitsprävention ist mit relativ geringen Mitteln zu erledigen. Hier geht es vor allem darum, die öffentliche Aufklärung über Risikofaktoren, gesunde Ernährung und den Gesundheitssport mehr in das Bewusstsein einer alternden Gesellschaft zu bringen.
In Berlin gibt es bald tausend Klinikbetten mehr
Für die Krankenhäuser soll nach dem Willen der Gesundheitspolitiker künftig mehr Geld zur Verfügung stehen. Schon der ausscheidende Senat hatte die Bettenzahl in Berlin bereits um 1ooo erhöht, allein 200 davon für Schlaganfallpatienten. Derzeit verfügt Berlin über insgesamt rund 20.000 Plätze an 62 Standorten, bis zum Jahr 2020 sollen es vor dem Hintergrund der wachsenden Stadt 22.000 sein.
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Derzeit betragen die Investitionen in die Infrastruktur der Gesundheitslandschaft knapp 110 Millionen Euro jährlich. Zusätzlich haben die Krankenhäuser 55 Millionen Euro aus dem Sonder-Investitionsprogramm „Siwa“ erhalten. SPD, Linke und Grüne wollen den Betrag wegen der anhaltend guten Konjunkturlage verbindlich aufstocken und nicht kurzfristig von der aktuellen Konjunkturlage abhängig machen. So soll der Sanierungsstau in den Krankenhäusern nach und nach abgebaut werden.
Grüne und Linke warfen als Oppositionsparteien der SPD stets vor, mit dem Investitionsprogramm Geld nach Gutdünken zu verteilen. Das soll sich nun grundsätzlich ändern. Allerdings liegt der Betrag immer noch wesentlich unter den 219 Millionen Euro, die nach den Daten des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus als Investitionssumme in Berlin nötig wären. Berlin liegt damit bei der Krankenhausfinanzierung weiter unter dem Bundesschnitt.
Die Arbeit im Gesundheitsdienst war unattraktiv für potenzielle Bewerber
Als Kernthema für Rot-Rot-Grün haben die Gesundheitspolitiker den Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes verabredet. Das größte Problem in der Vergangenheit bestand darin, dass die Arbeit im Gesundheitsamt für Ärzte und medizinisches Fachpersonal unattraktiv war. Viele Stellen wurden nicht besetzt, weil das Personal fehlte. Einige Amtsarztstellen, wie im Gesundheitsamt Mitte, blieben sogar jahrelang unbesetzt.
SPD, Linke und Grüne haben sich nun darauf verständigt, die Gesundheitsämter attraktiver zu gestalten. Das wird nicht ohne eine bessere Bezahlung der Mitarbeiter zu leisten sein. Aber auch eine klare Aufgabenverteilung soll künftig in den Ämtern herrschen. Mit der Versorgung der derzeit knapp 60.000 Flüchtlinge in der Stadt, haben die Gesundheitsämter in den vergangenen Jahren neue Aufgaben erhalten, die sich künftig auch im Personalschlüssel niederschlagen sollen.
Die Gesundheitswirtschaft gehört zu den wichtigsten Arbeitgebern der Hauptstadtregion und wird von der Politik schon lange als besonders wichtiges „Cluster“ angesehen und entsprechend gefördert. Internationale Branchenriesen und starke regionale Player wie Bayer HealthCare, Bausch+Lomb, B. Braun Melsungen, Berlin-Chemie, Biotronik, Pfizer, Sanofi und Takeda sitzen in Berlin. Auf 21,6 Milliarden Euro schätzen die Wirtschaftsförderer von Berlin Partner den Umsatz der rund 21.000 Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, die insgesamt an die 354.000 Mitarbeiter zählen.
Die Charité ist Berlins zweitgrößter Arbeitgeber
Die meisten Jobs stellt das klassische Gesundheitswesen, vor allem die Krankenhäuser bieten viele Stellen: Drei der zehn größten Arbeitgeber der Region gehören zum Gesundheitssektor. Die Charité ist mit fast 17.000 Beschäftigten Berlins zweitgrößter Arbeitgeber, auf Platz drei folgt der Krankenhaus-Verbund Vivantes mit 15.000 Mitarbeitern. Auch das Deutsche Rote Kreuz mit seinen 7500 Mitarbeitern gehört zu den Top-Ten-Arbeitgebern in Berlin.
Zum Gesundheits-Cluster gehört auch der Bereich Medizintechnik, zu dem neben vielen Großunternehmen wie B. Braun auch kleine und mittelgroße Firmen gehören. Rund 300 Medizintechnikfirmen beschäftigen in der Region 12.600 Menschen.
Die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft könnte in den kommenden Jahren nach Ansicht von Branchenkennern weiter wachsen. 70.000 zusätzliche Arbeitsplätze sind demnach möglich. Teilweise bedingt durch den demografischen Wandel, der überall zusätzliche Arbeitsplätze entstehen lässt. Teilweise aber auch, weil Berlin als Gesundheitsstandort sehr erfolgreich ist. Eine Hauptaufgabe der kommenden Regierung wird darüber hinaus sein, die Gesundheitswirtschaft mit den vielen Spitzenforschungs- und Wissenschaftseinrichtungen wie Charité oder Max-Delbrück-Centrum zu vernetzen.