Stolzenhagen

Die Vision von stolzen Kühen

| Lesedauer: 5 Minuten

Junges Paar in Barnim entdeckt neue Wege zur Finanzierung artgerechter Viehwirtschaft

Stolzenhagen. Graue und braune Kühe stehen im herbstlichen Nieselregen, ein dunkelroter Bulle spaziert einträchtig mit einer schwarz-weißen Rinderdame an seiner Seite die Weide entlang. Eine wirklich bunte Truppe, die da auf einer Weide am Rande des Nationalparks Unteres Odertal im Landkreis Barnim steht. Und nicht nur die Buntheit seines Viehs macht den Hof „Stolze Kuh“ von Janusz Hradetzky in Stolzenhagen besonders: Alle Tiere tragen noch ihre Hörner, gemolken werden sie auf der Weide, und mittels Crowdinvesting, des Einwerbens von Geld über eine Internetplattform, soll der Hof nun zu einer eigenen Käserei kommen.

Ungewöhnliche Wege, um an Geld zu kommen, kennt der Jungbauer schon. Bereits als der 29-Jährige mit Unterstützung seiner Frau Anja den Hof gründete, gingen sie bei der Anschaffung ihrer Herde neue Wege. „2013 haben wir Kuhanteilsscheine herausgegeben“, erzählt Hradetzky. Und ohne dass die beiden etwas Handfestes vorweisen konnten, überzeugten sie mehr als 70 Menschen, ihnen je Anteilsschein 500 Euro zu geben. 2,5 Prozent Zinsen in Naturalien, Milch und Fleisch erhalten die Geldgeber pro Jahr. Innerhalb eines Monats hatten die beiden, nur durch Eigenwerbung, 50.000 Euro zusammen und konnten damit 28 Kühe und zwei Bullen kaufen. So entstand eine Herde aus als gefährdet eingestuften Rinderrassen: Angler Rinder alter Zuchtrichtung, Tiroler Grauvieh, schwarzbunte Niederungsrinder und Original Braunvieh. Mittlerweile ist die Herde mit Kälbern und Jungvieh auf über 60 Tiere angewachsen.

Eigene Wege zu gehen, hat Janusz Hradetzky anscheinend mit der Muttermilch aufgesogen. Schon mit zwei Jahren wanderte er mit seinen Eltern von Westdeutschland nach Polen aus. Das war im Jahr 1989, während alle anderen nach Westen drängten. Hier wuchs er ländlich auf, seine Eltern bewirtschafteten einen eigenen kleinen Hof. Als er alt genug für eigene Entscheidungen war, begann er ein Landwirtschaftsstudium in Stettin und setzte dies später an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNE) in Eberswalde (Barnim) fort, welches er 2013 mit seinem Master in Öko-Agrarmanagement beendete. Dort lernte er auch seine Frau kennen.

Anja hatte es aus Sachsen nach Eberswalde verschlagen. Ein Erlebnis mit einem Biobauern in ihrem Freiwilligen Ökologischen Jahr hatte den Ausschlag gegeben: „Wir besuchten einen Biobauern, der inmitten seiner Kuhherde stand. Und man spürte den Respekt, den die Tiere vor ihm hatten und er vor den Tieren.“ Und so schrieb sich auch die junge Frau für den Studiengang Ökolandbau und Vermarktung in Eberswalde ein.

Schon während ihres Studiums entdeckten die beiden viele Gemeinsamkeiten. Engagierten sich gegen den Castor-Transport, prangerten Konzerne an, die sich immer mehr Agrarflächen aneigneten und so den kleinen Bauern ihre Existenz streitig machen, und kämpften auch gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Ihr Traum vom eigenen Hof nahm Formen an. Ihre Vorgaben waren klar: „Wesensgemäße Milchviehhaltung“, beschreibt Hradetzky die Devise. „Rinder sind soziale Herdentiere, bei uns behalten sie ihre Hörner, die zum Verdauungstrakt gehören, wir nehmen ihnen nicht ihre Kälber weg, sie leben in der Herde auf der Weide, und auch Bulle und Kuh dürfen ihren natürlichen Fortpflanzungstrieb frei entfalten – sie dürfen stolze Kühe sein.“

Hier, unweit der Oder, leben sie nun ihren gemeinsamen Traum. Ihr Konzept, ihr Idealismus überzeugte einen Landwirt vor Ort, ihnen Ställe zu verpachten, sogar die Nationalparkstiftung verpachtete dem Paar Land. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) wurde auf sie aufmerksam und bot ihnen von sich aus Ackerflächen an. 100 Hektar haben sie nun für ihre Herde zur Verfügung. Viel Arbeit für einen Landwirt, deshalb packt Anja mit an, wo sie nur kann.

Die gesammelten Erfahrungen will sie nun auch mit anderen teilen. Es gibt bereits Anfragen für Vorträge, und Anja Hradetzky plant, sich selbstständig zu machen als Beraterin und Referentin. Ihre Zielgruppe: „Jungbauern, die unsere Vision von wesensgemäßer Tierhaltung, handwerklicher Verarbeitung und solidarischer Vermarktung teilen“, fasst die 29-Jährige ihr neues Aufgabenfeld zusammen.

Aber das Herzstück bleibt natürlich ihre Herde. Und neben Milch- und Fleischverkauf – jeden Sonnabend von 10 bis 12 Uhr – veranstalten sie einen Jungbauernmarkt bei sich auf dem Hof, und sie verschicken Fleischpakete, wenn mal wieder geschlachtet wurde. Nun will das Bauernpaar sein Angebot um eigenen Käse erweitern. Dieser wird dann aus ihrer eigenen Demeter-Heumilch hergestellt. Hradetzky hat das Handwerk dazu in der Schweiz gelernt. „120.000 Euro wird es bestimmt kosten, die ganze Käserei aufzubauen“, erzählt er. Die Anschubfinanzierung holen sie sich gerade über das Internet, das Ziel waren 30.000 Euro. „Wir haben uns nicht getraut, eine höhere Summe anzusetzen“, sagt Anja Hradetzky, „weil wir skeptisch waren, ob wir die Leute von unserer Idee überzeugen können.“

Sie konnten wieder überzeugen. Das sogenannte Fundingziel auf der Crowdfunding-Plattform Startnext ist bereits übertroffen, dennoch können bis 31. Oktober noch weitere von der Idee Begeisterte ihr Geld zum Beispiel gegen ein Käseabonnement oder eine Hofführung tauschen. Vielleicht ein schönes Weihnachtsgeschenk: Für 60 Euro darf man einem glücklichen Kalb, das bei seinen Eltern aufwachsen darf, einen Namen geben. Im Januar rechnen die Jungbauern mit Nachwuchs für ihre Herde.