Ein Berliner Künstler hat eine Geruchsorgel konstruiert. Auf dem Festival „Osmodrama“ in Mitte kann man das Spiel der Sinne erleben.

Dass Entzücken und Naserümpfen so nah beieinanderliegen! Der Wechsel macht fast schwindelig. Etwas intensiv Blumiges weht vorüber, Flieder vielleicht. Oder Veilchen? Der Übergang zu modrigem Heu scheint noch folgerichtig. Immerhin alles Natur. Die Riechzellen sind stimuliert, ihre Härchen zittern dem nächsten Bukett entgegen. Umso geballter trifft sie etwas Scharfes, eine Anmutung von Tierstall untermalt mit Ammoniak. Und Erholung liefert der verbrannte Kaffee nicht, der direkt aus einer Maschinenhalle zu kommen scheint, gewürzt mit einer Note schmurgelnden Gummis, vielleicht auch heiß glühenden Metalls, etwas in der Art.

„Wunderbar zum Meditieren“ seien reine Geruchserlebnisse, hatte Wolfgang Georgsdorf geschwärmt. Der Berliner Aktionskünstler hat nicht nur all die Riechstoffe extrahiert und in Fläschchen gefüllt. Beim Festival Osmodrama in Mitte können Besucher Synosmien – Kompositionen für die Nase –, teils auch begleitet von Lesungen, Musik, Klangfolgen oder Filmen, auf sich wirken lassen. 100.000 Euro hat dieser „Beginn einer neuen Kunstrichtung“ (Georgsdorf) gekostet.

Die Gerüche changieren zwischen Kokos und altem Blumenwasser

Zwischen 50 und 100 Besucher kommen seit Juli täglich zum Osmodrama. Berliner und Kunstinteressierte, Touristen und Passanten. Extravorstellungen seien regelmäßig ausverkauft, heißt es beim Veranstalter. Allerdings: Mit der Meditation ist das so eine Sache. Alle zehn Sekunden pustet das Riechmaul des Smellers, der von Georgsdorf konstruierten Geruchsorgel, einen neuen Duft in den Raum. Lüftungstechnik sorgt dafür, dass sich die Sinneseindrücke nicht überlagern. Zitrusfrucht und Käse, altes Blumenwasser und Kokos, Lösungsmittel oder gebratene Zwiebel: Jedes Aroma steht für sich.

Der Atem will Schritt halten, das Gehirn arbeitet fieberhaft, doch bleibt nicht die Zeit, um sich von der ersten Assoziation zum dazugehörigen Begriff zu schnuppern. Nahtlos löst ein Aroma das nächste ab, Konturen eines Namens tauchen kaum aus dem Gedankennebel, da ist das neue duftige Rätsel herangeweht und zerstäubt das Bild. Was bleibt, ist die Ahnung, das irgendwo schon gerochen zu haben.

Es erfordert einige Selbstkontrolle, sich nur den Empfindungen hinzugeben. Manchen Besucher reizt die Quiz-Situation mehr. „Sonnencreme“, sagt eine ältere Dame, und ihre Begleiterin nickt, ehe die beiden sich erheben und durch den „Zuriecher“-Raum in der St.-Johannes-Evangelist-Kirche vorn an die Metalllochwand treten. Lichteffekte lassen das ästhetisch verschlungene Schlauchsystem dahinter erahnen, durch das die Duftmoleküle gepumpt werden. 64 Kanäle münden in 64 Hauchmäuler. Die Frauen schnuppern daran, eine steht wie abwägend an der Tür zum Raum hinter der Lochwand, dem Maschinenraum des Smellers gewissermaßen. Dann besinnen sie sich und gehen.

Die Kammern mit den Aromen müssen regelmäßig neu befüllt werden

Kasper Helml kann sich im Halbdunkel hinter der Lochwand mittlerweile fast blind bewegen. Das leise Ploppen, wenn er eine Quellkammer öffnet und neu befüllt, dringt bis in den Zuriecher-Raum. Und es ploppt unablässig. Der Smeller ist nicht nur ein Lackmustest für den gering geschätzten menschlichen Geruchssinn, in ihm materialisiert sich auch das Flüchtige. Ständig ist Helml in Bewegung, sucht da ein Fläschchen, klettert dort auf die Leiter zu einer der oberen Kammern. „Wenn ich mich ins Publikum setze, rieche ich heraus, welche Gerüche schwächer werden“, sagt er.

Seit Mitte Juli bedient der 17-jährige Schülerpraktikant aus Georgsdorfs Geburtsland Österreich im Hintergrund die Geruchsorgel, greift auch mal in die computergesteuerten Kompositionen mit ihren aromatischen Zwei- und Dreiklängen ein. Seitdem teilt der Junge, der sich jetzt sogar eine Karriere als Parfümeur vorstellen könnte, die Lieblingsmetapher des Aktionskünstlers von den Gerüchen als Weltmalkasten: „64 Quellkammern“, sagt er mit spürbarer Begeisterung, „aber durch Mischen kann man so viel mehr daraus machen.“

„Da wird die Tür aufgemacht zu einer neuen Welt“

Georgsdorfs Experiment, Gerüche zu konservieren und auf Abruf bereitzustellen, hat auch Tonkünstler Daniel Dorsch mit Partnerin Yuka Yanagihara und Sohn Levi (13) zum Osmodrama gelockt. Gerade begleiten Küchengeräusche die Duftsequenzen, dann Musik und Applaus, wie ein entferntes Konzert, später die Klangkulisse eines Badezimmers. „Da wird die Tür aufgemacht zu einer neuen Welt“, sagt Dorsch beeindruckt. Levi musste sich erst damit abfinden, dass Georgsdorf nicht, wie sonst gelegentlich, eine Klaviatur bedient, sondern ein Computer die Duftfolge steuert.

Christin Eckert, auch zum ersten Mal beim Festival, sieht trotzdem die Parallele zur Musik: „Manche Gerüche sind kurz wie Viertelnoten, andere länger wie eine ganze Note, manche ziehen schnell vorbei, andere breiten sich aus.“ Auch unangenehme Gerüche seien dabei, gibt Eckert zu. „Aber es ist ein spannender Versuch, gerade in den Spielarten des reinen Riechens, zusammen mit Lesungen oder mit Klängen.“

Termine Osmodrama in der St.-Johannes-Evangelist-Kirche, Auguststraße 90 in Mitte, noch bis 17. September (außer Mo. und Di.), Programmhinweise auf einer Website.