Technik

Studenten aus Berlin entwickeln Motorsegler mit E-Antrieb

| Lesedauer: 7 Minuten
Wolfgang W. Merkel
Junge Ingenieure mit ihrem Prototyp: Julian Schick (v.l.), Torsten Jockusch, Alex Hadzhiyski und Benjamin Kapke

Junge Ingenieure mit ihrem Prototyp: Julian Schick (v.l.), Torsten Jockusch, Alex Hadzhiyski und Benjamin Kapke

Foto: Joerg Krauthoefer

Fliegergemeinschaften an den Unis sind seit 100 Jahren innovativ. Das Motto: erst forschen, dann fliegen.

Studenten bereiten sich auf das Berufsleben vor, einige auch auf eine Tätigkeit in der Forschung. So ist es üblich. Dass aber Studenten selbst forschen und ambitionierte Pionierarbeit leisten, ist die Ausnahme. Aber in einer Werkstatthalle der Technischen Universität (TU) Berlin am Salzufer kann man sich davon überzeugen, dass das geht. Dort arbeiten an einem lauen Sommerabend Ingenieurstudenten an der Weiterentwicklung eines Motorseglers. Sie sind Mitglieder der Akademischen Fliegergruppe Berlin e. V. (Akaflieg Berlin). Ihr Projekt: Sie haben den Verbrennungsmotor entfernt und entwickeln den Segler zu einem Elektromotorsegler weiter. Zudem werden der Propeller und der Antriebsstrang zwischen E-Motor und Propeller neu konzipiert.

Ein anspruchsvolles Projekt. Der Zeitpunkt, es zu realisieren, ist da, sagt Benjamin Kapke, einer der Studenten, die am Projekt „B13e“ arbeiten – so das Kürzel des Prototypen. „Der Technologiewechsel zu Elektromotoren steht an. Das Konzept gibt es schon länger, aber jetzt ist die Leistungsdichte der Lithium-Ionen-Akkus groß genug, sodass ihr Gewicht vertretbar ist“, so der Ingenieurstudent. Neu ist aber der gesamte Antrieb. Zum Beispiel der Propeller. Seine vier Blätter lassen sich, wenn der Motorantrieb nicht nötig ist, nach vorn einklappen.

Ein Elektromotor spart Gewicht und ist unkomplizierter handhabbar

Dann startet ein Mechanismus, der die Antriebswelle und die Propellerblätter mithilfe eines Schlittens ins Innere des Flugzeugs zieht. Schließlich schließen sich zwei Klappen vor der Antriebsöffnung. Damit ist der meist ungenutzte Propeller verwahrt und stört nicht mehr die Aerodynamik des Fluggerätes. „Wir sind mit die Ersten weltweit, die ein solches System entwickeln.“

Mit dem gesunkenen Gewicht der Akkus, die technisch ähnlich auch in Elektroautos verbaut sind, kommen die Vorteile der Elektromotoren zum Tragen: Sie sind kompakt und leicht, haben einen hohen Wirkungsgrad und sind im Vergleich mit Verbrennungsmotoren einfacher zu handhaben.

Die anspruchsvolle Neu- und Weiterentwicklung von Segelflugzeugen hat eine lange Tradition. Akademische Fliegergruppen gibt es seit rund 100 Jahren, die Berliner wurde 1909 gegründet. Seit 1920 wurden von den deutschen Fliegergruppen mehr als 150 Flugzeuge entwickelt. Viele davon waren für die Entwicklung des Segelfluges richtungsweisend. Der erste Berliner Prototyp trug den Namen „Charlotte“ – ein Modell davon hängt heute an der Decke des Akaflieg-Büros.

Viele Innovationen sind den nicht kommerziellen Fliegergruppen zu verdanken

Die richtigen Segelflugzeuge der Vorkriegszeit sind hingegen verschollen. Im Zuge der Wirren der letzten Kriegsmonate wurden sie zerstört oder von russischen Streitkräften abtransportiert. Wer weiß, vielleicht stehen in russischen Luftfahrtmuseen noch historische Berliner Fluggeräte.

Das Segelfliegen war stets das „Fliegen für den kleinen Mann“. Bis in die 60er-Jahre war es ein vergleichsweise verbreitetes Hobby. „Das hat heute leider nachgelassen, das Segelfliegen ist heute den meisten Menschen wenig bekannt“, bedauert Kapke. Die innovative Kraft ist aber ungebrochen. „Ein großer Teil der Flugzeugentwicklung ist untrennbar mit diesen Vereinen verbunden. Es waren und sind noch immer nicht kommerziell arbeitende Teams, die viel Zeit investieren, aber nichts verkaufen müssen. Wir machen das ja aus Spaß an der Sache. Firmen könnten so etwas nicht leisten, dazu ist der Markt zu klein, die Entwicklungskosten könnten nicht wieder erwirtschaftet werden“, so Kapke.

Bachelor- und Masterarbeiten unterstützen die Arbeiten der Studenten

Zugleich fällt es den Aktiven leicht, sich einzuarbeiten. Zwar steht die Aka–flieg allen Berliner Studenten offen, aber die meisten studieren an der TU Maschinenbau, Ingenieurs-, Luft- und Raumfahrtwissenschaften, hinzu kommen einige ausgebildete Ingenieure, die promovieren, und Ehemalige, die im Beruf stehen, aber mit Rat und Tat helfen. Jeder Aktive verpflichtet sich, 200 Arbeitsstunden pro Jahr – immerhin etwa vier pro Woche – für Wartungs- und Entwicklungsarbeiten, für Messprojekte und theoretische Diskussionen zu leisten.

Etwas Unterstützung von außen hat die Akaflieg aber dann doch. So stellt die TU die große Werkstatthalle und einen Büroraum zur Verfügung. Am nahe gelegenen TU-Fachbereich Luftfahrzeugbau und Leichtbau können die studentischen Entwickler Maschinen zum Herstellen von Bauteilen nutzen. Und auch die ein oder andere Bachelor- und Masterarbeit befasst sich mit technischen Innovationen an Segelflugzeugen. So wurde in einer Bachelorarbeit die neue Propellerform der B13e berechnet, in einer weiteren die Verhältnisse bei Masse, Zuladung, Akkugewicht und Reichweite kalkuliert. Viele Firmen leisten Sachspenden und liefern Bauteile zu günstigen Konditionen. „Das ist eine Win-win-Situation“, sagt Benjamin Kapke. „Die Firmen profitieren auch von unseren Entwicklungen.“

Ein Motor erhöht den Flugradius und dient als „Heimkehrhilfe“

Zehn aktiv forschende akademische Fliegergruppen gibt es in Deutschland, sie sind in der Interessengemeinschaft deutscher akademischer Fliegergruppen organisiert. Mitte August sind deren Mitglieder wieder für drei Wochen auf einem Sommertreffen zusammengekommen, es findet seit mehr als 40 Jahren auf der Schwäbischen Alb statt. Dort werden Erfahrungen ausgetauscht und Testflüge absolviert.

Aber warum braucht ein Segelflugzeug einen Motor? Der dient nicht dem Aufstieg – das erledigt eine Seilwinde oder ein Motorflugzeug. Es geht vielmehr darum, in der Höhe einen größeren Flugradius zu erreichen. Nach dem Start schrauben sich Segelflugzeuge in aufsteigender warmer Luft (Thermik) nach oben. Mit gewonnener Höhe können sie eine Weile gleiten – aus einer Höhe von 1000 Metern 40 Kilometer weit. Der Pilot sucht derweil mit Blick auf die Wolkenbildung (Cumulus-Wolken) nach dem nächsten Thermikschlauch, in dem er sich wieder 500 oder 1000 Meter hochschrauben kann. „Man springt von Thermik zu Thermik“, erklärt Benjamin Kapke.

Aber manchmal findet der Pilot keine neue Thermik und muss auf einem Feld außerhalb des Flugplatzes aufsetzen. Mit einem Motor fällt es jedoch leichter, lange Strecken zu überwinden und wieder am heimischen Flugplatz anzukommen. Im Falle einer drohenden Außenlandung wird der Motor als „Heimkehrhilfe“ angeworfen. 600 Kilometer sind in etwa sieben Stunden machbar.

Für Anfang des kommenden Jahres ist der Jungfernflug geplant

Wie sich die neue B13e am Ende bewährt, soll Anfang 2017 getestet werden, dann sind die ersten Flüge mit dem Elektroantrieb geplant. Zunächst in Erprobungsflügen. Gewissermaßen im „Elchtest“ werden kritische Flugzustände durchgespielt und mittels Sensoren Messdaten aufgezeichnet. Wie ist die Steuerbarkeit im Schlepp beim Start? Bringt der Antrieb die gewünschte Leistung? Sind alle Einbauten voll funktionsfähig? Ist das Gerät in kritischen Flugsituationen stabil? Auch Segelflugzeuge sind komplexe Maschinen, deren Eigenschaften nicht komplett am Reißbrett berechnet werden können.

Die B13e startet übrigens nicht in Charlottenburg, sondern vom Segelfluggelände der Akaflieg in Kammermark bei Pritzwalk in der Prignitz. Auch dort gibt es für die Flugbegeisterten immer etwas zu tun. Zum Teil ganz erdverbunden, zum Beispiel Rasen mähen.