Archäologie

Eine Zeitreise zu den Anfängen Berlins

| Lesedauer: 8 Minuten
Beatrix Fricke
Mathias Wemhoff Claudia Maria Melisch an der Ausgrabungstelle am Petriplatz in Mitte

Mathias Wemhoff Claudia Maria Melisch an der Ausgrabungstelle am Petriplatz in Mitte

Foto: Sergej Glanze / Glanze

2020 soll das Archäologische Besucherzentrum fertig sein. Die Berliner Morgenpost startet einen Ferienworkshop für Kinder.

Unaufhaltsam brandet der Verkehr auf der Gertraudenstraße. Autos, Busse und LKWs donnern durch die graue Straßenschlucht, die von mehrstöckigen Häusern gesäumt wird. Von der Baustelle an der Ecke Breite Straße ertönt Lärm, hier wird ein Hotel errichtet. Kaum vorstellbar, dass hier, zwischen Gertrauden- und Scharrenstraße, eine Keimzelle Berlins liegt: der Petriplatz, Mittelpunkt des mittelalterlichen Cölln. Auf den ersten Blick erscheint der Ort alles andere als bedeutungsvoll, von Historie nichts zu spüren.

Funde bestaunen

Doch das wird sich ändern. Nach jahrelangen Grabungen und Planungen entsteht hier nun bald das Archäologische Besucherzentrum. Betrieben vom Land Berlin in Kooperation mit den Staatlichen Museen, sollen ab 2020 Besucher die Funde von archäologischen Grabungen in Berlin bestaunen und Archäologen bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen können. „Wir wollen den gesamten Arbeitsablauf der Archäologie sichtbar machen“, sagt Prof. Matthias Wemhoff, Landesarchäologe und Direktor des Vor- und Frühgeschichtlichen Museums. Sichtbar gemacht werden sollen auch die Funde vom Platz selbst, die von der Geschichte des mittelalterlichen Cölln erzählen und damit von den Anfängen der Stadt Berlin.

Vor allem auch Kinder sollen hier in das faszinierende Feld der Archäologie eingeweiht werden. Schon jetzt haben sie dazu Gelegenheit: Exklusiv für den Nachwuchs von Lesern der Berliner Morgenpost veranstalten die Museumsexperten in der letzten Ferienwoche einen Archäologie-Workshop am Petriplatz. Drei Tage lang, vom 29. bis 31. August, haben zehn Kinder zwischen acht und zwölf Jahren die Gelegenheit, mit Archäologin Claudia Maria Melisch und ihren Kollegen die mittelalterliche Stadtgeschichte Berlins zu erforschen.

Neben einer Exkursion in Berlins historische Mitte stehen ein Besuch im Museum sowie in einer Restaurierungswerkstatt auf dem Programm. Außerdem können die Kinder selbst zu Experten werden und bei Ausgrabungen am Petriplatz erkunden, mit welchen Werkzeugen und Methoden Archäologen arbeiten und wie sie die gefundenen Gegenstände zum Sprechen bringen.

„Kinder kommen schnell auf die wesentlichen Fragen“

Forschungsleiterin Claudia Maria Melisch, von Anfang an bei den Ausgrabungen am Petriplatz dabei, freut sich auf den Workshop. „Das Tolle an der Arbeit mit Kindern ist, dass sie einen detail­genauen Blick haben und schnell auf die wesentlichen Fragestellungen kommen. Und sie freuen sich unwahrscheinlich, wenn sie etwas entdecken.“ Landesarchäologe Matthias Wemhoff möchte Kindern zeigen, wie vielseitig das Arbeitsfeld der Archäologie ist.

Doch was genau erwartet die Besucher am Petriplatz, dem künftigen Standort des Archäologischen Besucherzentrums? Matthias Wemhoff greift nach dem Schlüssel und öffnet das Tor zu dem unscheinbaren Zelt auf der Brachfläche am Petriplatz, zwischen der Hotelbaustelle und dem Grundstück, auf dem das multikonfessionelle Gebetshaus „House of One“ errichtet werden soll. Über eine Rampe führt der Weg in eine andere Zeit, weg von Verkehr, Lärm und Plattenbauten. Unter dem Zelt finden sich die Fundamente der alten Cöllnischen Lateinschule, die erstmals im Cöllner Stadtbuch von 1442 erwähnt wurde. Doch sie ist mutmaßlich viel älter.

Die Schwesterstädte Cölln und Berlin dies- und jenseits der Spree sind um 1200 entstanden und erhielten vermutlich um 1230 Stadtrecht. Was man sicher weiß, ist, dass die Lateinschule 1730 abbrannte. Am Pfingstsonntag 1730 setzte ein Blitz den Turm der benachbarten Petrikirche in Brand. Die Kirche und 42 Gebäude fielen den Flammen zum Opfer. Später wurde die Kirche wieder aufgebaut und im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, bis sie 1964 endgültig verschwand: Die DDR-Regierung ließ den Bau sprengen.

Im Bann der Geschichte

Wer über feinen Sand an den Mauerresten aus eiszeitlichen Feldsteinen, Ziegeln und Kalk entlangschreitet, die durch das Zelt in ein mildes Licht getaucht werden, kann sich des Banns der Geschichte nicht erwehren. Man gerät in ein ehrfürchtiges Staunen, wenn man sich einer Eichenplanke gegenüber sieht, die im 13. Jahrhundert für den Bau eines Erdkellers verwendet und bei den Ausgrabungen freigelegt wurde. Und man wird neugierig auf das Leben unserer Vorfahren und die frühe Entwicklung der Stadt. Deshalb sollen auch die Fundamente in das siebengeschossige Besucherzentrum integriert werden. Das Untergeschoss wird den Besuchern den direkten Zugang zu den Mauerresten ermöglichen, deren Entdeckung einem Zufall zu verdanken ist, wie Claudia Maria Melisch erzählt.

Gebeine von 4000 Toten

„2007 sollte auf dem Petriplatz eine Grünfläche entstehen. Nur etwa 20 Zentimeter unter dem Asphalt wurden Feldsteine gefunden“, berichtet sie. Grabungen begannen, bei denen Gebäude aus mehreren Epochen freigelegt wurden. Sie stellten sich als Fundamente der Lateinschule, der Petrikirche und eines Wohn- und Geschäftshauses heraus. Außerdem fand man auf dem ehemaligen Kirchhof die Gebeine von annähernd 4000 Toten. Mehr als 500 Jahre, bis zur Schließung des Friedhofs 1717, wurden hier Cöllner Bürger begraben.

Jeder Stein, jeder Knochen wurde sorgsam freigelegt und untersucht. „Man kann zum Beispiel an den Knochen genau ablesen, ob jemand mal den Arm gebrochen hatte oder hart gearbeitet hat“, verrät Claudia Maria Melisch. Auch die Arbeit der Archäologen war hart und erforderte Durchhaltevermögen: „Wir haben uns hier mit der Hand durchgebuddelt“, erzählt die Archäologin. Zweieinhalb Jahre, bis Dezember 2009, war das Team damit beschäftigt. Parallel zu den Grabungen und der Untersuchung der Materialien befassten sich die Archäologen mit dem Quellenstudium. Auch das ist aufwendig: „Es gibt nur wenige Schriftquellen aus den Anfängen Berlins, deshalb sind solche Funde wie hier auch so wichtig“, sagt Claudia Maria Melisch. Sie geben Aufschluss über das, was stattgefunden hat – und ziehen auch die Experten in ihren Bann. „Ich war selbst fasziniert davon, was für ein lebendiger Ort der heute so unscheinbare Petriplatz einmal war.“

Spuren der mittelalterlichen Stadt

Wer mit Claudia Maria Melisch und Matthias Wemhoff die Ausgrabungsstätte besucht und ihren Erzählungen lauscht, hat diesen Ort vor Augen. Statt Mauerresten sieht der Besucher vor seinem geistigen Auge plötzlich eine mittelalterliche Stadt mit rund 2500 Einwohnern. Er sieht die 14 Marktbuden auf dem Petriplatz und die Lateinschüler in kargen Zimmern. Er sieht das Treiben an und auf der Spree – Cölln und Berlin waren rasant wachsende Städte. Und er sieht Pfarrer Symeon in der Petrikirche wirken, den ersten namentlich bekannten Berliner, der 1237 in einer Urkunde erwähnt wurde.

Kinder, die Lust auf eine Zeitreise haben, können sich für den kostenlosen Workshop bewerben. Wichtig sind wetterfeste Kleidung, feste Schuhe, etwas zu schreiben und ein Snack im Rucksack. Bewerbungen per E-Mail bis zum 20. August an aktionen@morgenpost.de. Stichwort: Petriplatz. Name, Alter, Adresse, Telefonnummer nicht vergessen – und einen Satz, warum du am Workshop teilnehmen möchtest.

Das ist das Programm des Workshops

Tag 1

29. August, 10 bis 12.30 Uhr: Treffen im Stadtzentrum von Cölln. Thema des ersten Tages: Wo ist bitte Cölln? Eine Exkursion mit Claudia Maria Melisch.

Tag 2

30. August, 10 bis 14.30 Uhr: Wie arbeiten Stadtarchäologen? Was passiert mit den Funden? Museumsführung mit Dr. Benjamin Wehry, Werkstattführung mit Mercedes Granzow.

Tag 3

31. August, 11 bis 15 Uhr: Thema: Selbst graben und Berlin-Archäologe sein. Die Teilnehmer des Workshops graben aus und zeichnen die Cöllnische Lateinschule.