Es ist ein leicht bedeckter, aber warmer Dienstagnachmittag – ideal geeignet für die Gartenarbeit. So tummeln sich auch im Neuköllner Gemeinschaftsgarten „Prachttomate“ an der Bornsdorfer Straße die ersten Hobbygärtner, zwei Mütter halten Schwätzchen, während sich ihre Babys auf einer Decke räkeln. Ein paar Jungs gießen die prächtigen Tomatenstauden, die dem Gartennamen alle Ehre machen, und auch ein wenig sich gegenseitig mit dem Gartenschlauch. Menschen buddeln in Beeten. Es herrscht die typische Urban-Gardening-Atmosphäre, eine großstädtische Idylle. Auch eine gefährdete?
Mitgründer Thomas Herr lehnt an dem aus alten Holzlatten zusammengezimmerten Gartentresen und schaut sich um. „Wir haben hier nun fünf Jahre lang nachbarschaftliche Strukturen entwickelt, aber der Trend ist, dass alles zugebaut wird“, sagt der 52-jährige Jugendbetreuer aus Neukölln. „Die Stadt wirbt so gern mit ihrem jungen, kreativen Image. Aber wenn es hart auf hart kommt, werden die kreativen Zwischenflächen kaputt gemacht.“
Das Stadtplanungsamt hat sich das Areal angeschaut
Der Hintergrund: Stadtplanungsamt und Sanierungsbeauftragter trafen sich im Oktober vergangenen Jahres vor Ort, um „die Potenziale des Gebiets“ zu erfassen, wie es in einem Sitzungsprotokoll der Lenkungsgruppe „Aktion! Karl-Marx-Straße“ heißt.
„Das ist unsere Aufgabe als Stadtentwicklungsamt, wir haben uns das Gelände angesehen, das wird doch wohl möglich sein“, beruhigt der Neuköllner Baustadtrat Thomas Blesing (SPD). Aus zwei Gründen befasse man sich mit dem sogenannten Block 152 zwischen Karl-Marx-, Saltykow-, Kienitzer und Bornsdorfer Straße. Erstens sei ein Teil des Grundstücks, auf dem die Prachttomaten blühen, privates Eigentum. Nach geltendem Recht könnte besagter Privateigentümer also für das handtuchgroße Areal einen Bauantrag stellen und Wohnungen errichten.
Spekulationen über den Neubau einer Kita
Das sei zum jetzigen Zeitpunkt alles Theorie, aber möglich, betont Blesing. Zweitens werde der benachbarte Hort der Regenbogen-Schule in fernerer Zukunft – „nicht heute, nicht morgen, aber vielleicht übermorgen“ – umziehen, näher an die in der Morusstraße befindliche Schule. Dann müsste überlegt werden, was mit dem Hortgebäude passieren soll. Man habe sich schon bei der Abteilung Jugend erkundigt, ob an dem Standort längerfristig eine Kita entstehen könne.
Der Altbau sei ungeeignet, hieß es dort. Dann sei man an den Fachbereich Sport herangetreten, ob denn – rein theoretisch – die drei Grundstücke Bornsdorfer Straße 9 bis 11 für den Neubau einer Sporthalle ausreichten. „Wir haben jetzt seit einem halben Jahr von der Sportabteilung nichts gehört“, betont Blesing. Das sei der Stand der Dinge. Es gebe weder ein fertiges Konzept, mit dem man dann natürlich an die Öffentlichkeit trete, noch einen Finanzierungsplan, gar nichts.
Eigentümer eines vermüllten Grundstücks freute sich über die Freizeitgärtner
Doch die Gärtner sind skeptisch. Bisher haben sie einen Pachtvertrag für kleingärtnerische Zwecke mit der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Stadt und Land, der ein weiterer Teil des Geländes gehört. Dort hat man von einer geplanten Umnutzung noch nichts gehört. Auch die Leitung der Regenbogen-Schule lässt ausrichten, von einer eventuellen Bebauung nichts zu wissen. „Da wurde nur durch eine Begehung die Idylle gestört. Mit der ,Prachttomate‘ verfolgen wir überhaupt nichts, meinetwegen können sie dort bis zum Jüngsten Tag gärtnern. Das sind alles ungelegte Eier“, sagt Stadtrat Blesing. Er hält den Aktionismus der Gärtner, die auch die Medien informiert haben, für unangebracht.
Die verteidigen sich. Schließlich wäre der Gemeinschaftsgarten nicht die erste alternative Zwischennutzung, die in Berlin einem Neubau weichen müsste. Thomas Herr erzählt, wie es hier am Anfang war. Damals, als sie mit dem Vorgänger der „Prachttomate“ die ehemalige Fläche an der Lahnstraße verlassen mussten – der damalige Eigentümer hatte andere Pläne. Schnell fanden sie diese Brache an der Bornsdorfer Straße. Matratzen, alte Schränke und kaputte Autos dominierten die Freifläche, die als illegale Mülldeponie genutzt wurde. Der Eigentümer sei damals froh über das Auftauchen der Gärtner gewesen. Der Deal: Ihr kümmert euch, dafür dürft ihr hier pflanzen.
Hortgruppen bepflanzen eigene Hochbeete
Als Relikt aus dieser Zeit steht ein roter Audi auf einem „ewigen“ Parkplatz, mittlerweile völlig überwuchert. Auch eine Bühne haben sie hier, manchmal finden Konzerte und Jugendprojekte statt. Kitas und Hortgruppen bepflanzen eigene Hochbeete, ansonsten wird alles gemeinschaftlich genutzt. Auch Martine, eine Anwohnerin, ist schon länger dabei. „Das wäre wirklich ein großer Verlust für den Kiez, der Garten ist ein Anziehungspunkt. Eine Oase zum Ausruhen von der Leistungsgesellschaft.“
Verlust? Laut Stadtrat besteht ja keine akute Gefahr. Sein Rat an die Gärtner: Sie sollten sich mit dem Eigentümer auseinandersetzen, um zu erfahren, was dieser vorhabe.
„Urban Gardening wird nur in Sonntagsreden gefeiert“
Thomas Herr vermutet aber trotzdem, dass intern schon mehr geplant werde, als der Bezirk zugeben wolle. „Das niedrige Partizipationslevel ist beklagenswert. Es wird intern durchaus konzipiert, aber wir werden nicht miteinbezogen.“ Er wünscht sich, dass in Stadtplanungskonzepten Nutzungen wie Urban Gardening einen höheren Stellenwert bekommen. „In einschlägigen Broschüren werden sie gefeiert und in Sonntagsreden. Aber wenn es darauf ankommt, eine Lanze für Gemeinschaftsgärten zu brechen, verfällt die Politik in alte Handlungsmuster.“
Bis feststeht, was die Zukunft bringt, überbrückt man in der „Prachttomate“ die Zeit unter anderem mit einer kleinen Open-Air-Kinoreihe. Erster Teil: „Mietrebellen“. Könnte man durchaus als eine Kampfansage interpretieren.