Berlin

SPD lässt Henkel allein

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Ulrich Kraetzer

Im Innenausschuss verteidigt der Innensenator den Polizeieinsatz an der Rigaer Straße. Doch er ist isoliert

Die Polizei war auf Krawalle vorbereitet: Vor dem Abgeordnetenhaus standen Einsatzfahrzeuge und Beamte in Schutzwesten, Journalisten wurden nur nach strengen Kontrollen eingelassen. Doch die Linksautonomen kamen nicht. Und so waren die Besucherstühle im Sitzungssaal zwar bis auf den letzten Platz gefüllt. Zwischenrufe oder sonstige Aktionen gab es aber nicht. Die für die Sondersitzung teils aus dem Urlaub zurückgekehrten Mitglieder des Innenausschusses blieben bei der Aussprache über den umstrittenen Polizeieinsatz in der Rigaer Straße 94 vor einem Monat ungestört.

Krawallig wurde es trotzdem. Denn Innensenator Frank Henkel (CDU) und Polizeipräsident Klaus Kandt sahen sich heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Die Entscheidung, die vom Eigentümer durchgeführte Teilberäumung des auch von Linksautonomen bewohnten Hauses mit Polizisten abzusichern, sei rechtlich äußerst fragwürdig gewesen – und ein schwerer politischer Fehler, der die Gewaltspirale aus brennenden Autos, Sachbeschädigungen und tätlichen Angriffen befeuert habe. So sahen es Linke, Grüne und Piraten. Doch auch die SPD fand deutliche Worte – und verzichtete dabei gänzlich auf die unter Koalitionspartnern sonst übliche Zurückhaltung.

Die Aufregung hatte ihren Grund. Denn das Landgericht hatte die Räumung durch den Eigentümer und den Umbau des linken Szenetreffs „Kadterschmiede“ im Seitenflügel der „R94“ vor gut einer Woche für rechtswidrig erklärt. Der Verein „Freunde der ­Kadterschmiede“ habe zwar keinen Mietvertrag gehabt, so das Gericht. Durch die langfristige Nutzung sei er aber im „Besitz“ der Räume gewesen. Der Eigentümer hätte daher einen Räumungstitel gebraucht.

Mit dem Urteil stand die Frage im Raum, ob auch der Polizeieinsatz zur Absicherung der Arbeiten rechtswidrig war. Grüne und Linke hatten der Innenverwaltung dazu einen Fragenkatalog übermittelt, den Innenstaatssekretär Bernd Krömer ungewohnt detailliert Punkt für Punkt abarbeitete.

Die Entscheidung fiel schon am 7. Juni

Laut Innenverwaltung und Polizei hatte es mit dem Eigentümer schon am 20. Mai ein Gespräch gegeben, an dem auch Polizei-Justiziar Oliver Tölle beteiligt war. Er habe darauf hingewiesen, dass die Polizei den Eigentümer bei der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche – also dem Bau von Wohnungen in der „Kadterschmiede“ – nicht unterstützen könne. Die Polizei könne aber im Rahmen der „Gefahrenabwehr“ tätig werden. Am 31. Mai habe der Anwalt des Eigentümers die Polizei schriftlich um Hilfe ersucht. Polizeipräsident Klaus Kandt habe am 7. Juni entschieden, den Einsatz durchzuführen.

Der Inhalt des Eigentümerschreibens ist der Berliner Morgenpost bekannt. Darin führt er aus, dass seine Mitarbeiter bei früheren Begehungen bedrängt und eingeschüchtert worden seien. Diese Schilderung deckt sich mit Einschätzungen der Polizei, wonach es in dem Haus immer wieder zu Übergriffen kam. Die Notwendigkeit, die Bauarbeiter zu schützen, sei daher ohne Zweifel gegeben gewesen, schlussfolgerten daraus Polizei und Innensenator Henkel. Der Einsatz sei durch die Gefahrenabwehr gedeckt gewesen.

Das Landgericht habe zwar tatsächlich entschieden, dass der Verein Freunde der Kadterschmiede „im Besitz“ der Flächen war. Gegen das Urteil laufe aber ein Einspruchsverfahren. Und: Die Polizei habe von diesem Besitzverhältnis nichts wissen können. Der Eigentümer habe versichert, dass die Räume allenfalls sporadisch und nicht von einem festen Personenkreis genutzt würden. Andere Erkenntnisse habe auch die Polizei nicht gehabt.

Der Piratenabgeordnete Christopher Lauer ließ das nicht gelten und verwies genüsslich auf den jüngsten Jahresbericht des Verfassungsschutzes. Darin wird die „Kadterschmiede“ ausführlich beschrieben. Da der Verfassungsschutz – ebenso wie die Polizei – der Innenverwaltung untersteht, sei die Behauptung, die Polizei habe von der „Kadterschmiede“ und den möglichen Besitzansprüchen nichts wissen können, unglaubwürdig. Lauers Vermutung: „Sie haben den Eigentümer angestachelt, diesen Einsatz überhaupt erst stattfinden zu lassen.“

Dann schlug die Stunde der SPD. Niemand solle anderen Parteien unterstellen, nicht klar gegen linksextreme Gewalt vorgehen zu wollen, sagte Fraktionsvize Frank Zimmermann. Das zielte auf die CDU, die genau ein solches Bekenntnis von Linken, Grünen und Piraten immer wieder einforderte. Dann stellte Zimmermann die Frage, ob der Wunsch des Eigentümers ausreichend geprüft worden sei. Merkwürdig sei auch, dass Henkel – wie von der Innenverwaltung behauptet – erst am 21. Juni von dem Einsatz erfahren habe. Zimmermann: „Hat es das schon mal gegeben, dass der Senator von einem so konfliktträchtigen Thema erst am Vorabend des Einsatzes erfahren hat?“

Die SPD legte nach. Der Abgeordnete Tom Schreiber verwies darauf, dass die Innenverwaltung die Fachaufsicht über die Polizei habe. „Der Flurschaden, der für die Polizei nun entstanden ist, ist immens“, sagte Schreiber. Den Schlusspunkt der Attacken setzte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Torsten Schneider. „Ihre rechtliche Bewertung teile ich in keiner Weise, die halte ich sogar für unvertretbar“, sagte Schneider. Dann spekulierte er über eine Entlassung Henkels. Nein, im Wahlkampf solle man einen Senator nicht entlassen, nur weil jemand „die Innenpolitik verschlafen“ habe. „Und damit“, so Schneider weiter, „meine ich Sie, Herr Henkel, höchstpersönlich.“