Dominic Franck ist Überzeugungstäter. Nachdem seine Tochter zur Welt gekommen war, begann der Chemiker, sich zu fragen, woraus eigentlich eine Windel besteht. Der Schweizer stellte fest, dass selbst Öko-Windeln nicht ohne Erdöl-Produkte auskommen. Also machte sich der Familienvater heran, tüftelte zunächst an seinem Küchentisch und entwickelte den ersten Saugkern aus komplett abbaubaren Rohstoffen. Jetzt müssen noch Klettverschlüsse und andere kleine Teile ersetzt werden, dann ist die Windel kompostierbar.
Inzwischen hat Franck seinen guten Job beim Berliner Strahlenmedizin-Unternehmen Eckert & Ziegler aufgegeben und mit Fairwindel eine eigene kleine Firma gegründet. „Ich bin sicher, dass unser Produkt funktioniert, weil ich es selber gerne haben will“, sagt der Jungunternehmer.
Mit dieser Haltung ist Franck unter den Berliner Start-ups in bester Gesellschaft. Denn unter den Gründern sind 79 Prozent von ihrer Geschäftsidee vollkommen überzeugt. Damit zeigen Berliner deutlich mehr Hingabe als ihre Kollegen bundesweit. Dort nennen nur 64 Prozent ihr Produkt als wichtigste Motivation, ein eigenes Geschäft zu starten. Dies ist eine der wichtigsten Unterschiede zwischen Berliner Start-up-Chefs und Gründern anderswo in Deutschland.
Die meisten finden Suche nach Geld einfach, sagt PwC-Studie
Das hat eine Umfrage der Beratungsgesellschaft PwC unter 400 Unternehmen ergeben, die ganz überwiegend jünger sind als sechs Jahre. Nur jeder fünfte Gründer ist fest entschlossen, seine Firma möglichst gewinnbringend an einen großen Konzern zu verkaufen. Aber 42 Prozent halten einen solchen Exit explizit für ausgeschlossen. Dieses Vertrauen auf die eigenen Idee und Technologie zeichnet die Berliner besonders aus. Auch deswegen seien „Berliner Start-ups deutschlandweit spitze“, wie PwC-Partner Philipp Medrow sagt.
Für Fairwindel-Gründer Franck stellt sich die Frage nach einem Firmenverkauf nicht. Zunächst muss das Produkt an die Babys gebracht werden. Er braucht 250 Kunden, die Monatspackungen für 89 Euro im Vorverkauf ordern. Erst dann lohnt es sich, in die Produktion einzusteigen. 91 Fans der echten Öko-Windel haben sie schon zusammen.
Seine ersten Schritte finanziert er wie die meisten Gründer mit eigenem Geld, jetzt sollen die Kunden im Vorverkauf weiterhelfen. 86 Prozent der Berliner Jungunternehmen setzen laut PwC-Umfrage auf Mittel von „friends and family“. Ganz ohne Kredite, öffentliche Fördermittel oder anderer Leute Geld geht es aber selten. 57 Prozent der befragten Berliner Unternehmen setzen auf eine Mischung aus eigenem und fremden Geld. Bundesweit sind es 53 Prozent.
Bei der Finanzierung zeigt sich nach den Worten des PwC-Experten Medrow die Stärke des Standortes Berlin. Jeweils 14 Prozent der Berliner Firmen werden von Business Angels, meist erfahrenen Gründern oder Unternehmern, oder Wagniskapitalgebern bei ihrem Wachstum unterstützt. Bundesweit ist der Anteil nur gut halb so hoch. „Das zeigt ganz deutlich, dass das Berliner Öko-System für Start-ups mittlerweile hervorragend funktioniert“, sagt Medrow. Die Community sei in den vergangenen Jahren enorm gewachsen und verzeichne viele Erfolgsgeschichten. „Das zieht dann natürlich Wagniskapitalgeber und Business Angels an.“
Auch mit echten Öko-Windeln kann man eine Firma gründen
In diesem Ambiente fällt es Berlinern leichter, Geldgeber für sich und ihren Plan zu gewinnen. 61 Prozent halten das inzwischen für sehr einfach oder eher einfach. Bundesweit haben nur 48 Prozent diesen Eindruck, vor einem Jahr erhob PwC für Berlin auch nun einen Wert von 39 Prozent. Medrow interpretiert den Anstieg als Beleg dafür, dass die Berliner Gründer inzwischen viele Erfahrungen mit potenziellen Geldgebern gesammelt haben und die Erfolgsaussichten ihres Geschäftsmodells nachvollziehbar erklären könnten.
Auch dieser Aspekt findet sich bei Fairwindel-Gründer Franck. Er ist sicher, gerade in Berlin ausreichend viele ökologisch bewusste Eltern zu finden, die bereit sind, für die kompostierbare Windel mehr Geld auszugeben als für Plastik. Er hat Übung darin, seine Ideen darzustellen. So holte Fairwindel beim Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg den dritten Platz. Franck ist auch oft mit anderen Start-Up-Leuten aus den Naturwissenschaften zusammen. „Man hilft sich“, sagt Franck und bestätigt damit einen weiteren Befund der PwC-Studie.
Angesichts der guten Basis schätzen die Berliner Jungunternehmer die Zukunft deutlich optimistischer ein als ihre Kollegen in München, Frankfurt oder anderswo. 80 Prozent rechnen für das laufende Jahr mit Umsatzwachstum. 61 Prozent erwarten sogar ein Plus von mehr als zehn Prozent. Bundesweit glaubt nur jedes zweite Start-up an zweistellige Wachstumsraten. 78 Prozent der Berliner wollen in den nächsten zwölf Monaten zusätzliche Mitarbeiter an Bord holen, deutschlandweit haben nur 69 Prozent diese Absicht.
Digital sind sie fast alle unterwegs, für 90 Prozent gehört Digitalisierung zum Alltag, da ist der Windel-Entwickler keine Ausnahme. Allein in der Sicherheit ihrer Daten und Netzwerke attestiert die PwC-Studie den Gründern eine gewisse Sorglosigkeit.
Gedanken machen sie sich hingegen um Mitarbeiter. Zwei Drittel der Berliner berichten von Problemen bei der Rekrutierung, bundesweit sind es aber sogar drei Viertel. Darum lassen sich die Jungunternehmer auch einiges einfallen, um ihre Leute zu halten. Sie bieten flexible Arbeitszeiten, betriebliche Altersversorgung und andere Incentives. Manchmal dürfen die Mitarbeiter sogar ihren Hund mitbringen. Einen „Feel-Good-Manager“ leisten sich aber die wenigsten. Für Fairwindel ist all das noch kein Thema. Die Belegschaft beschränkt sich noch auf Dominic Franck und seine Frau Kathrin – und natürlich auf die Tochter als erste Testerin.