Berlin

Brandstifter ist kein V-Mann

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Ulrich Kraetzer, Rüdiger Finke, Andreas Abel

Marcel G. berichtete im Jahr 2012 über die linke Szene. Er arbeitet heute aber nicht für die Polizei, sagt Innensenator Henkel

Als Marcel G. am 19. Juli 2012 in seiner Zelle in der Untersuchungshaft in Hamburg Besuch angekündigt wird, rechnet er mit seiner Rechtsanwältin. Doch es kommen drei Polizisten – und sie stellen unangenehme Fragen: zur linken Szene, zu diversen gewalttätigen Aktionen. Und vor allem zu einem angezündeten Auto. Der damals 22-Jährige beschließt zu kooperieren. Er gibt nicht nur die Brandstiftung zu. Er zeigt sich auch reumütig und plaudert freimütig über seine „Genossen“ aus dem Milieu der Linksmilitanten.

Am zweiten Tag der Vernehmung kommt eine Ermittlerin aus Berlin dazu. Denn vor allem über die Linksextremisten in der Hauptstadt weiß Marcel G. einiges zu berichten. Er erzählt von Anschlagsplänen, nennt Szene-Treffpunkte, identifiziert wichtige Akteure. Er möchte helfen, so sagt er, dass „diese Personen zur Rechenschaft gezogen werden“. Dafür würde er auch „noch mal in die Szene zurück und (diese Leute) direkt ans Messer liefern“. Die Beamtin aus Berlin scheint interessiert – und fragt, ob G. tatsächlich bereit wäre, „weiter mit uns zu sprechen“.

Für Aktivisten der linken Internetplattform „Indymedia“, die an das polizeiliche Vernehmungsprotokoll von Marcel G. herankamen und es im Netz veröffentlichten, ließ der Dialog zwischen Beamtin und G. nur einen Schluss zu: Um einer harten Strafe zu entgehen, hatte sich der linke Zündler als V-Mann angedient – und die Berliner Polizei hatte das Angebot dankend angenommen.

Das wäre brisant gewesen. Denn eben jenen Marcel G., der damals ausgepackt hatte, hat die Berliner Polizei in der Nacht zu Mittwoch festgenommen, weil er – wieder mal, müsste man sagen – in Lichtenberg Autos angezündet haben soll. Wenn G. ein V-Mann gewesen wäre, hätte die Polizei also ihren eigenen Zuträger festgenommen.

Marcel G. hat früher kurzzeitig mit der Polizei kooperiert

Den angeblichen Fahndungserfolg, den auch Innensenator Frank Henkel (CDU) gerühmt hatte, hätte das in ein zweifelhaftes Licht gerückt. „V-Mann außer Kontrolle“ – so hätten vielleicht die Zeitungen getitelt. Linke Aktivisten mutmaßten, Marcel G. könne sogar auf Geheiß der Behörden gezündelt haben.

Die Polizei beließ die am Mittwochvormittag verbreiteten Gerüchte zunächst unkommentiert. Erst am Donnerstag stellte die Behörde klar: „Er (gemeint ist Marcel G.) wurde und wird nicht als Informant oder V-Person der Polizei Berlin geführt.“ Beamte hätten ihn nach der Brandstiftung in Hamburg zwar als Zeugen für eine Straftat vernommen. Seine Aussagen, so heißt es in Polizeikreisen, seien aber wenig hilfreich gewesen. Behördenkreise versichern, auch der Verfassungsschutz habe mit G. nicht kooperiert.

Der Verdacht, dass ein V-Mann den Behörden aus dem Ruder gelaufen sein könnte, dürfte damit vom Tisch sein. Henkel wertet die auf Indymedia verbreiteten Anschuldigungen denn auch als Versuch, die Arbeit der Polizei zu diskreditieren. Dies sei „ebenso durchschaubar wie perfide“. Die Festnahme sei ein Erfolg.

Die Umstände der Festnahme dürften Henkel – was er offiziell nie sagen würde – allerdings weniger passen. Denn der CDU-Politiker vermutete die Urheber der diversen Anschläge auf Autos und Gebäude der vergangenen Wochen im Lager der Linksmilitanten. Das war naheliegend. Denn nach der teilweisen Räumung illegal besetzt gehaltener Flächen in dem linken Wohnprojekt Rigaer Straße 94 in Friedrichshain hatten linke Aktivisten den „Tag X“ ausgerufen und zur Vergeltung aufgerufen. Henkel schaltete danach mit markigen Worten gegen die Linksextremen auf Wahlkampfmodus – und rief die Ermittlereinheit „LinX“ ins Leben.

Doch der einst tatverdächtige Marcel G. hat nach seiner Festnahme in Hamburg längst die Seiten gewechselt – und ist im äußerst rechten Lager angekommen. Auf seinem Facebook-Profil äußert er sich verächtlich über die antifaschistische linke Szene. So zeigt er ein Plakat, auf dem Antifa mit „asozial, nutzlos, terroristisch, idiotisch, feige, arbeitsscheu“ buchstabiert wird. Außerdem sind auf seiner Facebookseite eine Abbildung der Reichskriegsflagge mit dem Zusatz „Deutschland. Meine Heimat. Meine Liebe“ und ein Plakat gegen Flüchtlinge zu sehen. Nach dem Spiel Deutschland gegen die Slowakei bei der Fußball-EM am 26. Juni sei er am Zoo „hinterhältig angegriffen worden“, postete G. Wer die Täter waren, ist für ihn klar: die Antifa.

Bei der Brandstiftung in der Nacht zu Mittwoch in Lichtenberg wurde Marcel G. auf frischer Tat ertappt. Ob er weitere Brände gelegt haben könnte, wird laut Polizei untersucht. Er selbst muss den Fortschritt der Ermittlungen hinter Gittern verfolgen. Ein Richter erließ am Donnerstag Haftbefehl.

Der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber bezeichnete es als wichtig, dass Innenverwaltung und Polizei klargestellt hätten, dass G. kein V-Mann sei. „Mit ihren Behauptungen arbeiten Linksautonome an einer Legendenbildung, um Hass zu schüren und Gewalt zu legitimieren“, sagte Schreiber. Dies sei eine typische Strategie der Linken.

Ein Video der linken Gruppen kündigt weitere Gewalt an

Die Sympathisanten des Wohnprojektes Rigaer Straße 94 mobilisieren unterdessen weiterhin ihre Unterstützer. Bei einer Demonstration wollen linke und linksradikale Gruppen daher nicht nur gegen Verdrängung durch steigende Mieten protestieren, sondern auch gegen die Räumung des illegalen Treffpunktes „Kadterschmiede“ in der Rigaer Straße 94. Ein Mobilisierungsvideo gibt einen Vorgeschmack darauf, auf was sich die Sicherheitskräfte einstellen müssen: In dem im Internet abrufbaren Clip werfen Vermummte Molotowcocktails, zünden Autos und Häuser an und greifen mit Steinwürfen die Polizei an.