Passanten können sich jetzt schnell über den Mitbegründer und späteren Eigentümer der Gartenstadt Atlantic, Karl Wolffsohn (1881–1957) informieren. Am Donnerstagnachmittag haben Nachfahren Wolffsohns, allen voran der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn, eine Informationsstele am Rande der Gartenstadt im Stadtteil Gesundbrunnen enthüllt, die dem Wirken Karl Wolffsohns gewidmet ist. Neben schriftlichen Informationen über dessen Tätigkeit als Filmpublizist und seinen Einsatz für den sozialen Wohnungsbau sind auch historische Fotos auf der Stele zu sehen, die an der Zingster Straße/Ecke Behmstraße in Wedding steht.
Die Gartenstadt Atlantic ist inzwischen 100 Jahre alt. Dies war der Anlass dafür, die Informationsstele aufzustellen. Zur Feier des Tages waren Familienangehörige der Wolffsohns aus ganz Deutschland und Israel angereist, darunter fünf Urenkel und drei Ur-Urenkelkinder von Karl Wolffsohn. Nach der Enthüllung der Stele feierte die Familie gemeinsam mit den Mietern der Gartenstadt Atlantic ein Fest. Verschiedene Mieter wurden für ihr besonderes Engagement in der Siedlung ausgezeichnet, ansässige Kulturprojekte vorgestellt.
Der deutschjüdische Filmpionier Karl Wolffsohn betrieb bis 1939 in ganz Deutschland verschiedene Lichtspieltheater, darunter auch das damals größte Europas, die Lichtburg, die Teil der Gartenstadt Atlantic war, die er 1938 kaufte. Wolffsohn wurde von den Nationalsozialisten enteignet und floh 1939 mit seiner Frau Recha nach Palästina.
Nach dem Krieg gab es dann einen langen Restitutionsstreit, bis er 1962 die Gartenstadt Atlantic mit ihren 49 Häusern zurückbekam. Von seinem Sohn Max ging die Siedlung dann an dessen Sohn Michael Wolffsohn über. Der entschied zusammen mit seiner Familie, die Gartenstadt zu modernisieren. Von 2001 bis 2005 fanden umfangreiche Baumaßnahmen statt.
Deutsche Geschichte wird wachgehalten
Zur Enthüllung der Stele hatte Michael Wolffsohn auch Mittes Bürgermeister Christian Hanke (SPD) eingeladen, der die Rekonstruktion der Siedlung hilfreich begleitet hat. Mit dem Aufstellen der Stele werde der Prozess der Modernisierung nun abgeschlossen, sagte Hanke. Gleichzeitig werde aber auch die Geschichte des Weddings und deutsche Geschichte wachgehalten. Die Gartenstadt sei sowohl ein architektonisches als auch ein soziales Denkmal. Die Begründer hätten preiswerte Wohnungen in grüner Umgebung für Arbeiter und kleine Angestellte schaffen und ihnen innerhalb der Siedlung auch Zugang zu kulturellen Angeboten ermöglichen wollen. „Dieser Anspruch ist auch heute noch aktuell.“
Michael Wolffsohn sagte der Berliner Morgenpost, dass jetzt die 2003 gegründete gemeinnützige Lichtburg Stiftung das soziale Engagement der Gründungsväter der Gartenstadt Atlantic fortführen werde. Kern der Stiftungsarbeit seien verschiedene Lernwerkstätten, die Kita-Kindern und Schülern Musik, Theater, Kunst, Literatur, Naturwissenschaften und neue Medien nahebringen wollen. Die Werkstätten seien in verschiedenen Häusern der Gartenstadt untergebracht und würden eng mit Kitas und Schulen aus dem Wedding zusammenarbeiten, aber auch für Kinder aus der ganzen Stadt offen sein.
Eine der Kitas, die Kita Auenland, ist schließlich sogar in der Gartenstadt zu Hause. Erzieherin Anja Schäfer (37) sagte der Berliner Morgenpost, dass die Kinder dort behütet aufwachsen können. „Die Gartenstadt ist für sie ein Ort der Idylle.“ Die Kinder kämen aus der Siedlung, aus dem Weddinger Umfeld aber auch aus dem Prenzlauer Berg. „Sie erleben in der Gartenstadt ein schönes Miteinander von alten und jungen Bewohnern unterschiedlicher Herkunft und Religion.“ Das sei ganz anders als etwa im Prenzlauer Berg, wo die Bewohnerschaft sehr homogen sei. „In der Gartenstadt ist die Bewohnerschaft bunt gemischt, das ist etwas sehr Gesundes.“
Auch Michael Wolffsohn legt viel Wert auf diese Mischung. Anfangs habe er sogar den vorübergehenden Leerstand eines Teils der rund 500 Wohnungen riskiert, um hinzubekommen, dass kein Haus nur von Menschen einer Nationalität bewohnt wird, sagte er. Das Ergebnis könne sich sehen lassen. Die Gartenstadt sei ein Beispiel für gelungene Integration. Es gebe keine ethnischen Probleme, weil die Bewohner sich untereinander kennengelernt und eine gegenseitige Wertschätzung entwickelt hätten. „Vielfalt wird von den Menschen hier als etwas Natürliches und nicht mehr als gefährlich erlebt“, so Michael Wolffsohn.
Längst haben Politiker und Architekten aus aller Welt das Wohnmodell Gartenstadt Atlantic als Vorbild für gelungene Integration entdeckt. Viele sind bereits zu Besuch gekommen und haben sich von Michael Wolffsohn durch die Siedlung führen lassen wie etwa der Bürgermeister von Rotterdam, Ivo Opstelten, der im Jahr 2008 Berlin und die Gartenstadt besucht hat.