Mit der Aktion „Flüchtlinge fressen“ will das „Zentrum für politische Schönheit“ auf die Lage von Flüchtlingen aufmerksam machen.
Lorenz Vossen hält die Aktion der Künstler für legitim. Denn wenn keiner mehr hinsehen will, darf jedes Mittel recht sein.

Flüchtlingskrise? Richtig, da war ja mal was. Man musste damals gar nicht lange suchen. Am leichtesten zu finden war sie vor dem Lageso: verzweifelte Menschen, entkräftet, durchfroren und von Sicherheitsmännern verprügelt. Daneben eine Politik, die über Wochen nicht hinschaute. Es waren die Bilder, die das Chaos aufdeckten und zum Handeln zwangen. Und die am Ende wohl dafür sorgten, dass es vor der einstigen Chaos-Behörde inzwischen einigermaßen gesittet zugeht. Bilder vom Lageso werden schon lange nicht mehr gezeigt.
Doch das heißt nicht, dass es keine Motive mehr gibt. Die Dramen spielen sich jetzt nur woanders ab. Hinter den Mauern von Flüchtlingsunterkünften, den Fluren von Behörden oder im Jobcenter. Jeder 113. Mensch weltweit ist auf der Flucht, auch in Berlin leben Tausende immer noch in Unterkünften und wissen nicht, wohin die Reise geht. Von ihnen macht kaum noch jemand Bilder, denn das Elend ist nicht mehr so offensichtlich. Es ist jetzt schön reguliert, versteckt, meistens am Stadtrand.
Der Grund ist simpel: Diese Bilder sind nicht mehr gewünscht, die Gesellschaft hat sich wieder anderen Themen zugewandt. Und die Flüchtlinge, die sich jetzt von Tigern fressen lassen wollen, tun deshalb nur das, was beim Lageso-Chaos noch legitim war: Sie nutzen die Macht der Bilder – in einer Zeit, in der Fußball-EM und Brexit die Agenda bestimmen. Dass sie es derart drastisch tun, ist kein Zynismus. Es ist nur die Hoffnung auf das bessere Bild.
Emina Benalia lehnt die Inszenierung ab. Weil sie die wahren Probleme in der Flüchtlingskrise nicht anspricht und nur auf Effektheischerei aus ist.

„Deutschland und Europa müssen endlich Verantwortung übernehmen“, sagt Cesy Leonard vom Zentrum für Politische Schönheit am Montag. Deshalb hat das Zentrum einen Käfig mit vier libyschen Tigern aufgestellt, in dem Flüchtlinge „verspeist“ werden sollen. Eine ebenso spektakuläre wie menschenverachtende Aktion, bei der man sich automatisch fragt, ob sie ernst gemeint ist. Und die darüber hinaus daran krankt, dass die wahren Probleme nicht angesprochen werden. Denn was bedeutet es, Verantwortung zu übernehmen, wie die Initiatoren fordern? Bestimmt nicht, durch eine zwar öffentlichkeitswirksame, aber doch geschmacklose Inszenierung aufzufallen. Denn die wahren Probleme finden sich nicht in einem Käfig in Berlin, sondern in den Herkunftsländern der Geflüchteten. Sichere Fluchtwege allein lösen nicht alle Probleme. Die Menschen, die in Deutschland Schutz suchen, sollen diesen auch bekommen. Dazu gehört aber auch, dass man den Menschen garantiert, dass sie bestmöglich integriert werden. Den Geflüchteten ein Zuhause, Arbeit, Schul- und Ausbildungsplätze bieten – auch das gehört zur Willkommenskultur. Doch das hat Grenzen. Ungebremster Zuzug, wie ihn das Zentrum für Politische Schönheit fordert, kann auf Dauer nicht funktionieren. Natürlich ist es richtig und wichtig, auf das Leid der Menschen hinzuweisen, die aus Verzweiflung oder Angst ihre Heimat verlassen. Das ist auch eine Aufgabe von Kunst. In diesem Fall klappt es nicht.