Berufsausbildung

Das Menschliche zählt

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Jürgen Stüber

Der junge Mensch steht im Mittelpunkt. Diesen Ansatz interpretieren Berlins beste Ausbildungsbetriebe auf unterschiedliche Weise.

Berlin. Jugendliche haben gute Chancen, in Berlin eine Lehrstelle zu finden. Die Lehrstellenbörse der Industrie- und Handelskammer (IHK) weist noch 1300 freie Stellen aus, die entsprechende Börse der Handelskammer 770 offene Angebote. Orientierungshilfe bei der Wahl eines Ausbildungsplatzes bietet der Wettbewerb „Berlins beste Ausbildungs­betriebe“, der am Mittwoch mit der Preisverleihung zu Ende ging. Auch bei den „Tagen der Berufsausbildung“ von IHK und Handwerkskammer (bis zum heutigen Donnerstag) helfen 50 Betriebe bei der beruflichen Orientierung. Gestern herrschte großer Andrang an den Ständen in den „Station“-Hallen am Gleisdreieck.

IHK-Präsidentin Beatrice Kramm und Handwerkskammerpräsident Stephan Schwarz ehrten die ausgezeichneten Betriebe im Rahmen der Ausbildungsmesse. Die Gewinner waren von einer Jury ausgewählt worden, der Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD), Julia Claren (Dussmann-Kulturkaufhaus), Gerhard Schauer (Bayer AG), Anselm Lotz und Daniel Wucherpfennig (beide DGB) sowie Jochim Stoltenberg (Berliner Morgenpost) angehörten. Als beste Ausbildungsbetriebe wurden das Fassadenbau-Unternehmen Boeba Aluminium, die BBO Datentechnik und das Amitola-Familiencafé ausgezeichnet.

Work-Life-Balance als Teil

der Firmenkultur

„Bei uns stehen nicht die Zeugnisnoten im Vordergrund, sondern der Mensch mit seiner Motivation und seinem Können“, sagt Jakob Maechler, Geschäftsführer von Boeba Aluminium. Knapp 60 Beschäftigte hat das Unternehmen, vier von ihnen absolvieren eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker für Feinblechtechnik oder zu Industriekaufleuten. „Wir geben jedem eine Chance.“ Bei dem Spezialisten für Aluminium-Fassadenelemente erhalten Jugendliche die Möglichkeit, ihre Eignung bereits vor der Lehre unter Beweis zu stellen.

Während der Lehre stehen ausbildungsbegleitende Hilfen zur Wahl und andere Nachhilfeangebote, falls es in der Berufsschule mal nicht klappt oder das Schreiben des Berichtsheftes schwer fällt. Auch Auslandspraktika werden ermöglicht. Bei Boeba gehört die soziale Komponente zur Ausbildung, wie Jakob Maechler berichtet: So werden Sportveranstaltungen wie Fußballturniere und Drachenbootrennen angeboten. „Wir legen Wert auch auf die Work-Life-Balance“, sagt der Firmenchef. So bietet das Unternehmen Gesundheitstage an und Rückenschule-Gymnastik.

Das Menschliche steht auch bei der BBO-Datentechnik hoch im Kurs, dem Wettbewerbs-Preisträger in der Kategorie der Unternehmen mit weniger als 50 Angestellten. „Wir pflegen eine Unternehmenskultur, die sich persönlich um jeden einzelnen Mitarbeiter kümmert“, sagt Katharina Undisz, die Kaufmännische Leiterin und auch für die Lehrlinge zuständig ist. Ziel der Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung ist bei BBO die Übernahme der Azubis. Deshalb genießen sie besondere Fürsorge und erhalten vom ersten Arbeitstag an einen „Paten“. Meist handelt es sich dabei um einen jüngeren Kollegen, der für den Auszubildenden eine Mentorenfunktion übernimmt und ihm bei betrieblichen Projekten beratend zur Seite steht. „Gute Leute zu finden ist schwierig“, sagt Katharina Undisz. „Aber wichtig.“ Azubis seien der Motor des Wachstums. Deshalb kümmert sich das Unternehmen schon früh um die potenziellen Nachwuchskräfte und pflegt die Zusammenarbeit mit einem Gymnasium, wo Schüler im Fach Informatik betreut werden. Die gute Betreuung zahlt sich aus: Auch in diesem Lehrjahr ist es einem Azubi gelungen, seine Berufsausbildung wegen guter Leistungen verkürzt abzuschließen.

Als Sonderpreisträger wurde das Amitola-Familiencafé ausgezeichnet. Das Unternehmen aus Friedrichshain (Krossener Straße 35) und Karlshorst (Treskowallee 86) hatte als Anerkennung seiner Integrationsarbeit bereits im November 2015 auch den Inklusionspreis erhalten. Amitola bietet neben Kursen, Seminaren und Workshops für Kinder und Eltern ein Café mit eigener Küche sowie einen Verkauf von Second-Hand-Ware und neuer Markenkleidung für Kinder an.

„Wir bilden vor allem lernbehinderte oder Jugendliche ohne Schulabschluss aus und zeigen viel Verständnis auch bei ihren privaten Problemen“, sagt Unternehmerin Ines Pavlou. Vor einer Berufsausbildung können Jugendliche dort Praktika absolvieren, um ihre Eignung zu testen. Wer eine Ausbildung zum Fachpraktiker im Gastgewerbe oder zur Verkäuferin bei Amitola absolviert hat, hat gute Chancen, für eine weitere Ausbildung zum Beispiel zum Restaurantfachmann befreundeten Betrieben empfohlen zu werden. „Wir geben Kindern aus bildungsfernen Familien oder bei denen das Schulsystem versagt hat die Chance, einen Beruf zu erlernen und an der Arbeitswelt teilzuhaben“, sagt Ines Pavlou. Ihre Auszubildenden hätten oft Probleme in Deutsch und Mathematik.

Die Ausbildungsmesse anlässlich der Tage der Berufsausbildung findet noch heute , 16. Juni, 8.30–14.45 Uhr, in den Station-Hallen, Luckenwalder Straße 4–6, U-Bahnhof Gleisdreieck, statt. Eintritt frei.