Die Mehrheit der Berliner spricht zumindest gelegentlich Dialekt. Besonders viel wird im Osten der Hauptstadt berlinert.
„Icke“, „Molle“, „Stulle“ und „Ick liebe Dir“: Berliner Ausdrücke wie diese sind für viele der Inbegriff der Berliner Schnauze. Im Alltag sind sie immer seltener zu hören, wie Sprachwissenschaftler seit Jahren beobachten. Doch Mundart-Fans dürfen sich nun über einen Image-Wandel freuen: „Die negative Haltung zum Berlinischen hat sich verändert“, so Professor Peter Schlobinski im Gespräch mit der Berliner Morgenpost.
Schlobinski ist einer der renommiertesten Berlinisch-Forscher, schon seit den 80er-Jahren hat der Sprachwissenschaftler das Thema im Blick. Er weiß, warum das Ansehen des Dialektes, der vielen als „proletenhaft“ galt, gestiegen ist: „Dazu haben die Ost-Berliner beigetragen, die Veränderungen in der Bevölkerung insgesamt und der Hauptstadtbonus.“
Vor allem Männer berlinern überdurchschnittlich häufig
Die jüngste repräsentative Umfrage zum Image des Berliner Dialektes stammt von Schlobinski und Andrea-Eva Ewels. Sie zeigt, dass eine Mehrheit der Hauptstädter zumindest gelegentlich Dialekt spricht – eine solide Basis. Jedenfalls gaben 62 Prozent von 1001 Befragten Ende 2014 an, selbst hin und wieder zu berlinern, nur 38 Prozent sagten „nein“.
Die Berliner aus dem Ostteil der Stadt sprechen häufiger Dialekt (66 Prozent), auch wenn der Unterschied zu den Bürgern im Westteil nicht mehr groß ist (60). Überdurchschnittlich häufig berlinern auch Männer, über 45-Jährige und „diejenigen, die bereits vor 1990 in Berlin gewohnt haben“, so Schlobinski, der mittlerweile in Hannover lehrt. Der gebürtige Berliner interessiert sich keineswegs nur aus beruflichen Gründen für die Sprache seiner Heimatstadt: „Da hängt mein Herz dran.“
Die Hochburgen des Dialekts
Spannend sind auch Schlobinskis Erkenntnisse zur Verteilung über die Bezirke: In Lichtenberg-Hohenschönhausen, Marzahn-Hellersdorf, Pankow, Reinickendorf, Spandau und Treptow-Köpenick sagen die Bewohner überdurchschnittlich häufig, dass sie hin und wieder berlinern. In Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte, den Hotspots vieler Zugezogenen, sprechen die Bürger der Umfrage zufolge mehrheitlich keinen Dialekt.
Schon vor dem Mauerfall hat der Wissenschaftler die Unterschiede im Dialektgebrauch im Ost- und im Westteil der Stadt untersucht. Im Westen machte er als Folge höherer Mobilität ein Aufbrechen sozialer Netzwerke und damit auch sprachlicher Strukturen aus. Das Ansehen der Stadtsprache war hier deutlich schlechter als im Ostteil des geteilten Berlins. Dort – etwa in Prenzlauer Berg – konnte sich der Dialekt besser halten. Schlobinski spricht von „höherer Sprachloyalität“, da die sozialen Netzwerke stabiler blieben. „Im Ostteil war mit dem Berlinischen Positives assoziiert, eine Frage der Identität.“
Nach dem Mauerfall prallten die Sprachwelten aufeinander. Die Professorin Ruth Reiher hat die Entwicklung einmal so beschrieben: „Existierten zu Beginn der 1990er Jahre noch gravierende Unterschiede in der Verwendung und Bewertung des Berlinischen durch Ost- und West-Berliner, so zeigt sich seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre eine Angleichung des Sprachgebrauchs der Ost-Berliner an den West-Berliner Standard.“
Und wie sieht es heute aus? Die Berliner selbst schreiben dem Hauptstadt-Dialekt positive Eigenschaften zu, und zwar in Ost wie in West – auch wenn es immer noch feine Unterschiede gibt. Attribute wie schlagfertig, frech, ehrlich und kumpelhaft hält eine Mehrheit der von Schlobinskis Team Befragten für passend. Liebenswürdig finden den heimischen Dialekt sehr viel weniger Befragte, und nur neun Prozent halten ihn für „intelligent“.
„Doofkopp“ und „Göre“ sind als Ausdrücke besonders populär
Sorgen mag Mundart-Fans bereiten, dass Jüngere unter 30 das Berlinische seltener positiv bewerten als Ältere und häufiger sagen, es sei „pöbelhaft“.
Welche Ausdrücke sind populär? Die Forscher gaben bei ihrer Befragung neun Wörter vor, um herauszufinden, welche besonders bekannt sind: Doofkopp, Göre und schnieke landeten dabei ganz vorne. Das Wort, das am häufigsten benutzt wird, ist aber „j.w.d.“.
An der Universität Potsdam erforscht die Germanistik-Professorin Heike Wiese das Berliner „Kiezdeutsch“. Gemeint ist damit eine Jugendsprache, wie sie in Wohngebieten mit hohem Migrantenanteil gesprochen wird. „Berlinisch und Kiezdeutsch sind Umgangssprachen, die in Berlin gesprochen werden, das heißt es gibt immer Überlappungen“, sagt Wiese. Sie hat herausgefunden, dass Kreuzberger Jugendliche mit Migrationshintergrund durchaus auch „wat“ sagen, während umgekehrt Hellersdorfer Jugendliche, die Berlinisch sprechen, auch schon mal „schwör“ oder „yallah“ benutzen, wie es für Kiezdeutsch typisch ist.
„Ick hab hier einen Kasten Bier zu stehen“
Auch ein aktuelles Forschungsvorhaben ist dem Berliner Dialekt gewidmet. Ulrike Freywald untersucht an der Universität Potsdam die Grammatik des Berlinischen für ihre Habilitation. Freywald erkundet dabei Phänomene wie den Infinitiv-Gebrauch der Berliner, die gerne ein „zu“ einfügen, wo im Standarddeutschen keines vorgesehen ist („Ick hab hier einen Kasten Bier zu stehen“) oder den sogenannten Akkudativ („Lass mir in Ruhe“).
Solche Projekte zeigen, dass das Berlinische quicklebendig ist. Schlobinski mag ohnehin nicht in den Chor skeptischer Stimmen einstimmen, die ein Sterben des Berlinischen voraussagen. Zwar sieht er durch den Bevölkerungsaustausch die Gefahr einer Verdrängung, aber: „Dass Dialekte aussterben, sagen die Menschen schon seit Jahrzehnten – ich glaube das nicht.“ In welcher Weise die Entwicklung der Stadt den Dialekt verändern wird, weiß niemand. Doch stetige Veränderungsprozesse liegen in der Natur der Sprachen. Schlobinskis Prognose: „Man sollte skeptisch sein, aber das Kebap hat durchaus Chancen, der Bulette den Rang abzulaufen. Aber wie der Berliner sagt: Nischt Jenauet is nich raus.“