Ein Fahrrad mit verbogenem Vorderreifen, ein abgerissener Autospiegel, daneben ein mit weißer Sprühfarbe aufgetragenes Dreieck. Mittendrin ein Punkt. Street-Art eines kreativen Künstlers? Nein. Es ist die Arbeit von Beamten des Verkehrsermittlungsdienstes in der Direktion 3.
Der Verkehrsermittlungsdienst wird immer dann gerufen, wenn bei einem Unfall Menschen getötet oder schwer verletzt wurden. Oder wenn ein Beteiligter Unfallflucht begangen hat und andere schwere Verkehrsdelikte vorliegen. Dann sichern die Beamten Spuren, vermessen den Unfallort, um beweissichere Daten zu bekommen. „Das ist wichtig für ein mögliches Strafverfahren gegen den Unfallverursacher“, sagt Polizeihauptkommissarin Catharina Stimpel, „aber auch für Unfallopfer oder deren Angehörige zur Durchsetzung von zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen.“ Catharina Stimpel und ihre Kollegen nutzen für ihre akribische Ermittlungsarbeit modernste Technik. Zollstock und Maßband sind (fast) out.
Hochauflösende Kamera mit Fernauslöser
Wenn das Verkehrsunfallkommando mit seinem Fahrzeug anrückt, dann ist Hightech mit an Bord. Zum Beispiel eine hochmoderne kalibrierte Digitalkamera inklusive Fernauslöser und ein fünf Meter langes Teleskopstativ. Damit können dann aus verschiedenen Perspektiven Fotos vom Unfallort aufgenommen und mit einem speziellen Computerprogramm auch zu einer Rundum-Aufnahme zusammengefügt werden. „Alles maßstabsgetreu und mit einer Genauigkeit bis auf ein, zwei Zentimeter,“ sagt Polizeihauptkommissar Ingo Priegnitz.
Wenn die Unfallstelle größer ist, viele Fahrzeuge beteiligt waren und sich die Spuren möglicherweise über mehrere hundert Meter verteilen, reicht die Kamera alleine nicht. „Dann können wir einen 3D-Laserscanner einsetzen, der auf einem geländegängigen Fahrzeug installiert ist“, berichtet Unfallermittler Priegnitz. Auch diese Aufnahmen können später vor Gericht gezeigt oder einem vereidigten Gutachter zur weiteren Auswertung zur Verfügung gestellt werden. So kann zum Beispiel anhand dieser dreidimensionalen Aufnahmen eines beschädigten Fahrzeugs in Kombination mit Bremsspuren ziemlich genau berechnet werden, mit welcher Geschwindigkeit ein Unfallfahrzeug unterwegs war.
Manchmal helfen aber nur Überblicksaufnahmen von oben, um ein Unfallgeschehen genau rekonstruieren zu können. „Dazu steht unseren Unfallkommandos in den sechs Berliner Direktionen auch eine Drohne zur Verfügung“, erzählt Polizeihauptkommissar Priegnitz. Und verbessert sich sofort: „Nein, reden wir lieber von einem Multikopter.“ Der Begriff Drohne sei negativ besetzt. Das Gerät werde deshalb in der Behörde anders genannt. Die offizielle Bezeichnung „Unmanned Aircraft System UAS“ ist zwar ein Zungenbrecher, aber das 80.000 Euro teure Gerät kann wahre Wunderwerke verbringen. „Aus der Höhe werden manchmal Brems- oder andere Unfallspuren sichtbar, die sonst kein Mensch entdeckt hätte“, sagt Polizeihauptkommissarin Stimpel. Bis zu 50 Meter hoch darf das Fluggerät aufsteigen. Und es darf auch in Flugverbotszonen wie etwa rund um den Reichstag operieren.
Der Multikopter ist nicht das einzige Fluggerät, das die Beamten einsetzten können. Manchmal werde auch der Polizeihubschrauber angefordert, den sich Landes- und Bundespolizei teilen. Der Hubschrauber ist in Blumberg stationiert und wird dann eingesetzt, wenn Aufnahmen aus noch größerer Höhe als 50 Meter gemacht werden sollen
Einer der Vorteile der benutzten digitalen Technik: „Bei großen Unfällen auf wichtigen Straßen oder Kreuzungen spart man bis zu vier Stunden Vermessungszeit gegenüber den herkömmlichen Methoden mit Maßband und Protokollblock“, sagt Polizeihauptkommissar Priegnitz. Das heißt: Die Unfallstelle kann schneller geräumt werden, nervenraubende Staus können sich schneller auflösen.
Wichtigster Vorteil der digitalen Technik ist aber für Harald Wilke, dem Leiter der Verkehrsunfallermittlung in der Direktion 3, „dass die Beweiskraft deutlich besser geworden ist“.
Die Aufklärungsquote liegt bei 44,8 Prozent
Und es macht auch die Arbeit für 28 Mitarbeiter des Verkehrsunfallkommandos einfacher. Sie hatten im vergangenen Jahr 10.354 Vorgänge zu bearbeiten. Darunter waren rund 67oo schwere Unfälle, bei denen ein Straftatverdacht bestand. Dazu gehörten auch mehr als 40oo Unfallfluchten. Bei dem Rest handelte es sich um Verkehrsstraftaten, bei denen es nicht zu einem Unfall kam. Darunter etwa Fahren unter Alkoholeinfluss, oder auch Fahren ohne Fahrerlaubnis. Das Team des Verkehrsermittlungsdienstes erzielte dabei eine Aufklärungsquote von 44,8 Prozent. Im Schnitt hatte jeder der Mitarbeiter 323 Fälle auf dem Tisch, also nahezu einen pro Tag.
Da helfen die digitalen Bilder, die per Software zu dreidimensionalen Räumen gestaltet werden und dann aus nahezu jedem Blickwinkel betrachtet werden können. Und sie helfen in einem Prozess manchmal auch dem Verkehrsrichter, sich ein besseres Bild vom Unfallgeschehen zu machen und so vielleicht zu einem gerechten Urteil zu kommen.
Dieser bekommt dann auch erklärt, was es mit dem ominösen Dreieck mit Punkt auf sich hat, das man als Passant noch Tage später an einer Unfallstelle sehen kann. „Es markiert den Ort, an dem eine verletzte oder tote Person lag“, erklärt Polizeihauptkommissarin Catharina Stimpel, „und der Punkt im Dreieck hält die Lage des Kopfes fest.“ Und warum in dieser abstrakten Form? „Aus Pietät gegenüber Angehörigen von Opfern, die vielleicht täglich an diesem Ort vorbei müssen“, sagt Catharina Stimpel. Deswegen habe man sich entschlossen, keine Körperumrisse mehr aufzusprühen.