SPD Berlin

Was Michael Müller von Klaus Wowereit unterscheidet

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Joachim Fahrun
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Samstag in Berlin nach seiner Wahl zum Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhaus-Wahl.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Samstag in Berlin nach seiner Wahl zum Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhaus-Wahl.

Foto: Kay Nietfeld / dpa

Jeder fünfte Delegierte hat Michael Müller die Gefolgschaft verweigert. Echte Einigkeit sieht anders aus.

Die Berliner SPD sei keine Partei für 100-Prozent-Ergebnisse. Mit dieser aus historischer Erfahrung gespeisten Analyse erklärten die Strategen am Sonnabend, warum fast jeder fünfte Delegierte dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller bei seinem Griff nach dem Landesvorsitz die Gefolgschaft verweigerte.

Diese geheime Abstimmung und die Ergebnisse der von Müller neu ins Rennen geschickten Vorstandsmitglieder waren viel eher ein Gradmesser für die wahre Stimmung unter den Funktionären als die offene Akklamation des Tempelhofers zum Spitzenkandidaten für die Wahlen am 18. September: Echte Einigkeit sieht anders aus.

Dass dieses Bild nun auch für jeden Wähler offen zutage getreten ist, hat Müller selbst verursacht. Nach langem Zögern hielt er es für angebracht, die Machtfrage in der Partei zu klären und das Triumvirat aus ihm, Jan Stöß und Fraktionschef Raed Saleh zu einem Duo zu schrumpfen. Er ist überzeugt, dass es hilfreich ist, die Kräfte zu bündeln. Was er Stöß wirklich vorgeworfen hat, blieb jedoch offen. Jetzt hängt fast alles an Müller, und man darf sich fragen, ob das gut ist für die Berliner SPD und für die Stadt. Nicht umsonst hat sich Müllers Vorgänger als Regierender Bürgermeister solchen geheimen Basisabstimmungen über seine Person stets verweigert. Klaus Wowereit regierte unange-fochten und lange als Everybody’s Dar-ling, wollte aber nie Parteichef sein. Dafür hatte er seinen Mitstreiter Michael Müller. So musste der Chef nie die Revanche der Basis befürchten, wenn er im Roten Rathaus mal wieder Parteitagsbeschlüsse ignorierte. Dass Wowereit zu seinen besten Zeiten präsidial über den politischen Händeln der Stadt schwebte, lag auch an der selbst gewählten Distanz zu seiner Partei. Müller hat sich für den anderen Weg entschieden, der für ihn Risiken birgt.

Denn die SPD schlägt sich auch im Jahr 2016 mit ihrem alten Dilemma herum. Sie regiert seit Jahren, tut sich aber schwer damit, Erfolge auch unverkrampft als solche zu benennen oder Entscheidungen zu verteidigen. Beispiel ist das Asylpaket II auf Bundesebene, dem zwar Müller im Bundesrat und viele Sozialdemokraten im Bundestag zustimmten, das der Parteitag aber missbilligte. Das ist eine SPD-Krankheit: Wenn sie etwas getan hat, neigt sie dazu, sich davon wieder zu distanzieren.

Nun hat Müller seine Berliner Parteiführung fast ausschließlich aus Senats-Sozialdemokraten zusammengesetzt. Künftige Konflikte sind in dieser Kon-struktion angelegt. Nicht umsonst lobten zahlreiche Redner die offene Diskussionsatmosphäre und die flügelübergreifenden Debatten, die sich in den vier Jahren unter dem Landeschef Jan Stöß entwickelt hätten. Dahinter klang stets der Vorwurf mit: In den zehn Jahren, die Müller vor 2012 schon mal Parteichef war, war das anders.

Liefert Müller im September nicht ein Ergebnis im oberen 20-Prozent-Bereich, dürfte der Streit in der SPD wieder aufbrechen. Angesichts der direktdemokratischen Elemente, die unter Stöß zur Regel geworden sind im Landesverband, kann das auch auf die Stadt ausstrahlen. Denn sicherlich wird es ein Mitgliedervotum über einen Koalitionsvertrag geben. Diesen könnte Müller nun als Parteichef und Spitzenkandidat quasi im Alleingang aushandeln, mit welchem Partner auch immer.

Aber erst muss die SPD stärkste Partei werden. Dann will Müller mit einer Koalition fünf Jahre die Stadt „stabil“ regieren. Immerhin zeigen die Berliner Sozialdemokraten ein ganz anderes Selbstbewusstsein als ihre in Umfragen auf 20 Prozent abgestürzte Bundespartei. Für die sprach Generalsekretärin Katarina Barley in ihrem Grußwort einen verräterischen Satz: „Die Leute finden schon gut, was wir machen, aber es gibt keine Ausstrahlung, dass wir es schaffen.“ So gesehen steht es um die Berliner SPD auch nach der halb verunglückten Krönungsmesse für Michael Müller noch vergleichsweise gut.