Sicherheit in Berlin

„Berliner Polizisten sind für Terroreinsatz nicht gerüstet“

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Matthias Steube

Marode Schießstände der Berliner Polizei entwickeln sich zum Risiko für die Sicherheit Berlins und die Gesundheit von Polizeibeamten.

Defekte oder unzureichend dimensionierte Lüftungsanlagen, Schadstoffe wie Blei und Antimon oder krebserregende Mineralfasern auf den Schießständen der Berliner Polizei.

Das hat dazu geführt, dass von einst 73 Schießbahnen aktuell nur noch 30 geöffnet sind. Deswegen können die 17.000 Polizeibeamten in der Hauptstadt nicht mehr – wie eigentlich vorgeschrieben – regelmäßig mit scharfen Schusswaffen üben. Polizeipräsident Klaus Kandt hat aus der schieren Not heraus das Schießen mit Laserwaffen zum gleichwertigen Ersatz erklärt.

>> Blei im Blut: 17.000 Polizisten sollen zur Untersuchung

Doch der Nachweis einer regelmäßigen Schießfortbildung kann nach einem Schusswaffeneinsatz durch einen Beamten für ein mögliches Ermittlungsverfahren wichtig sein. „Sollte ein betroffener Kollege aufgrund der Situation auf den Schießanlagen über einen längeren Zeitraum nur zum simulierten Schießen gekommen sein, würde dies vor Gericht sicherlich Fragen über die Qualifikation des Betroffenen aufwerfen“, warnten eigene Fachleute aus der Behörde die Polizeiführung.

Für Terrorlage nicht gerüstet?

Innensenator Frank Henkel (CDU) betont angesichts der Terroranschläge von Paris und Brüssel seit Wochen: „Wir haben eine abstrakt hohe Gefährdungslage und stehen im Fadenkreuz der Islamisten.“ Und im Fall eines Anschlages seien normale Streifenbeamte diejenigen, die als erste reagieren müssten, sagt der Innensenator. Doch Experten sehen die Beamten „ohne ausreichendes Waffentraining für einen Terroreinsatz nicht gerüstet“.

Neben der Sicherheitsproblematik werfen die maroden Schießstände aber auch Fragen zur Gesundheitsgefährdung für die dort trainierenden Beamten auf. Wie ein Zwischenbericht der Internen Revision beim Polizeipräsidenten belegt, gibt es Indizien dafür, dass bei mindestens 89 Schießtrainern, Beamten des Spezialeinsatzkommandos (SEK), des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) und Präzisionsschützen gesundheitliche Schädigungen vorliegen.

Nach Informationen der Berliner Morgenpost sollen zehn von 100 Schießtrainern an Krebs erkrankt sein. Zwei davon sollen an den Folgen dieser Krebserkrankungen verstorben sein. Laut Bericht der Internen Revision, der der Morgenpost vorliegt, könnten in den vergangenen Jahren insgesamt 1532 aktive oder bereits pensionierte Beamte potenziell gesundheitliche Schäden davongetragen haben. Dabei geht die Interne Revision davon aus, dass die genannte Zahl möglicherweise nicht abschließend ist.

Haftung für Personenschützer der Israelis

Doch der betroffene Personenkreis dürfte wahrscheinlich noch größer sein, denn nach Informationen der Berliner Morgenpost, haben auf den Anlagen auch Personenschützer der US-Botschaft, Israelis und Franzosen trainiert. Diese Personengruppe sei aber bislang nicht erfasst, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage. Immerhin gibt es nach Informationen der Berliner Morgenpost einen Vertrag mit dem Israelischen Generalkonsulat aus dem Jahr 1996. Dort wird für die Nutzung der Schießstände auch die Haftungsfrage geregelt. Danach muss das Land Berlin mit bis zu 25.500 Euro pro Personenschaden haften, wenn Mitarbeitern der Polizei Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden können.

Was im Zwischenbericht der Internen Revision fehlt, sind Angaben zu Gutachten aus der Vergangenheit, die bereits 2010 und noch früher auf die Probleme hingewiesen haben. Sie werden bislang mit dem Hinweis auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zurückgehalten. Dafür hat Michael Böhl, Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Verständnis. „Möglicherweise strafrechtlich relevante Dinge müssen in Ruhe und mit Sorgfalt aufgearbeitet werden“, so Böhl. Nicht erklärlich sei, warum Gutachten des TÜV zu ein und demselben Schießstand zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

Desolate Aktenlage

Wie desolat die Aktenlage ist, zeigt auch der Umstand, dass plötzlich ein Schießstand der ehemaligen Volkspolizei an der Pablo-Picasso-Straße in Hohenschönhausen auftaucht, von dem offenbar niemand in der Polizeibehörde etwas wusste. Ob und wie lange er genutzt wurde ist unklar. Es gibt lediglich Hinweise auf ein Schadstoffgutachten aus dem Jahr 2005 und auf Probleme mit der Lüftungsanlage.

Doch auch ohne die Gutachten zu kennen zeichnet sich nach Meinung von Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, ab, „dass sich der Verdacht auf Verstöße gegen Arbeitsschutzauflagen erhärten wird.“ Lux kritisiert Innensenator Frank Henkel und wirft ihm vor, zu langsam aufzuklären. „Aber die Betroffenen haben Antworten verdient“, sagt Lux.

Innensenator Henkel hatte auf Drängen der Opposition und der Gewerkschaft der Polizei (GdP) zwar vor Wochen angekündigt, einen unabhängigen Gutachter, möglicherweise einen Richter, von außen auf die Vorgänge um die Schießstände schauen zu lassen. Doch dieser Gutachter ist noch nicht in Sicht. „Die hierzu erforderlichen Abstimmungen mit geeigneten Personen sind noch nicht abgeschlossen“, sagte ein Sprecher der Innenverwaltung auf Anfrage der Morgenpost.

Gewerkschafter verlangen medizinische Studien

Aufklären wird auch der Externe nicht wirklich können. Und den betroffenen Beamten, die gesundheitliche Schäden davongetragen haben, zum Teil an Krebs erkrankt sind, läuft die Zeit davon. Deshalb fordern GdP und BDK „schnellstmöglich medizinische Studien“, die klären, welchen Gefahren die Kollegen ausgesetzt waren. Und ob es einen Zusammenhang mit der Schadstoffbelastung und Erkrankungen von Schießtrainern gibt. „ Die Behörde hat nach innen und nach außen Vertrauen verloren, das gilt es schnellstmöglich wieder aufzubauen“, sagt GdP-Sprecher Benjamin Jendro. Weitere Forderungen der Gewerkschaft: Die Anerkennung von Dienstunfällen für die betroffenen Ausbilder und intensiven Schützen sowie ein Verzicht auf das Schießen mit bleihaltiger Munition.

Forderung nach Untersuchungsausschuss

Tom Schreiber, Innenexperte der SPD im Abgeordnetenhaus, sieht die Vorwürfe als so schwerwiegend an, dass er eine parlamentarische Untersuchung des Skandals ins Spiel bringt. „Sollte der Innensenator bis zur Wahl im September die Vorgänge nicht aufgeklärt haben, werde ich mich dafür einsetzen, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss nach der Wahl die Aufklärung voranbringt“, sagte Schreiber.

Polizeipräsident bietet kostenlose Untersuchungen an

Stefan Redlich, Sprecher der Berliner Polizei, sagte der Berliner Morgenpost: "Polizeipräsident Kandt wird auf jeden Fall den 1500 Beamten, die als Schießtrainer, als Mitglieder von Spezialeinheiten intensiv auf den Schießständen trainiert haben, eine ärztliche Untersuchung anbieten."

Redlich betonte, dass die Beamten das nicht aus eigener Tasche bezahlen müssten. "Das Geld wird der Polizeipräsident zur Verfügung stellen", sagte Redlich. Denn die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften und die Fürsorgepflicht sei essentiell für die Glaubwürdigkeit des Arbeitgebers.

Der Polizeisprecher sagte weiter, man werde für die Untersuchungen auf externe Mediziner zurückgreifen, weil der ärztliche Dienst beim Polizeipräsidenten mit der schieren Zahl von 1500 Beamten überfordert sei.