Archäologie

Berlin ist eine Fundgrube froher und finsterer Geschichte

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Sabine Gundlach
Teile des mittelalterlichen Rathauses in Berlin sollen durch ein „Archäologisches Fenster“ sichtbar werden

Teile des mittelalterlichen Rathauses in Berlin sollen durch ein „Archäologisches Fenster“ sichtbar werden

Foto: dpa Picture-Alliance / Maurizio Gambarini / picture alliance / dpa

Das Landesdenkmalamt und die Archäologische Gesellschaft präsentieren die wichtigsten Grabungen in Berlin.

Im Berliner Rathaus ging es in früheren Jahrhunderten feuchtfröhlich zur Sache. Das ist dank zahlreicher Fundstücke in Folge der Ausgrabungen am Roten Rathaus in Mitte belegt. „Hier wurde früher ganz schön was gebechert und enorm viel geraucht“, bestätigt Bertram Faensen. Faensen ist Archäologe beim Landesdenkmalamt und war in dieser Funktion auch an den bisherigen Ausgrabungen vor dem Roten Rathaus beteiligt. „Dort, wo vom 13. Jahrhundert bis etwa 1860 das alte Rathaus Berlins stand.“

Viele gläserne Bruchstücke von Trinkgefäßen und teilweise auch im Ganzen erhalten gebliebene Tonpfeifen aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind für Faensen ein deutlicher Beleg dafür, „dass man es sich hier wirklich hat gut gehen lassen“. Dafür sprechen aber auch andere Entdeckungen der Ausgrabungsstätte wie die, dass der einstige Ratskeller im 18. Jahrhundert zugunsten einer Weinhandlung verkleinert wurde. Faensen präsentierte am Mittwoch auch andere Fundstücke von den Ausgrabungen in Mitte wie eine chinesische Porzellantasse aus dem späten 17. Jahrhundert.

Die besondere Fundgrube in der Mitte Berlins ist nur eine der ausgewählten zwölf Ausgrabungsstätten der Hauptstadt, die in dem aktuellen Jahrbuch „Archäologie in Berlin und Brandenburg 2014“ präsentiert werden und die die Bedeutung dieser Art von Denkmalpflege verdeutlichen. So können wir uns heute dank der Auswertungen der Funde oft ein Bild vom Leben und Alltag, teilweise aber auch vom Leiden vergangener Generationen in Berlin und in Brandenburg machen.

Doch die Archäologie in der Hauptstadtregion widmet sich immer öfter der jüngsten Geschichte. Dies spiegle sich auch im neuen Jahrbuch, sagte der Vorstandsvorsitzende der Archäologischen Gesellschaft in Berlin und Brandenburg, Michael Meyer, bei der Buchvorstellung im Landesdenkmalamt Berlin (LDA). Beispielhaft nannte Meyer die Ausgrabungen zu russischen Lagern in den Wäldern Brandenburgs, wo sich Soldaten der Roten Armee aufhielten.

Zwangsarbeiterlager der Berliner Kirchengemeinden

Aber auch die archäologische Erforschung von Zwangsarbeiterlagern wird in dem Buch thematisiert. Beispielsweise in dem Beitrag von Torsten Dressler. Er hat zur Vorbereitung des Baus einer geplanten Gedenkstätte für NS-Zwangsarbeiter mit seinem Archäologieunternehmen das Areal des einstigen NS-Zwangsarbeiterlagers der Berliner Kirchengemeinden in Neukölln untersucht und viele Fundstücke gesichert.

„Am Ende des Kirchhofs der Jerusalemer und Neuen Kirchengemeinde an der Herrmannstraße in Neukölln stand das bundesweit einzige bislang bekannte Zwangsarbeiterlager von 42 Berliner Kirchengemeinden“, erläutert der Archäologe. Mehr als 100 sogenannte Ostarbeiter lebten dort 1942 bis 1945 unter menschenunwürdigen Bedingungen und wurden von den Kirchengemeinden in kleinen Gruppen zu Arbeiten auf Friedhöfen eingesetzt.

„Für die geplante Gedenkstätte ist es besonders wichtig, dass wir das Lagerleben möglichst authentisch dokumentieren und veranschaulichen können“, sagt Torsten Dressler. Die Spuren der NS-Vergangenheit sollen beispielsweise durch Markierung und Konservierung von Resten der Fundamente der Gebäude sichtbar bleiben. Darüber hinaus sollen später auch Fundstücke persönlicher Gegenstände gezeigt werden. Beispielsweise die Schuhsohlen aus Gummireifen, die zeigen, dass sich die Zwangsarbeiter ihre Schuhe selbst gefertigt haben. Oder auch Einzelstücke wie der Teil eines Löffels, „in den einer der Häftlinge seine persönlichen Initialien eingeritzt hat – die Menschen hier hatten ganz wenig persönliche Dinge“, sagt Torsten Dressler.

Ein weiterer Beitrag zur jüngeren Geschichte thematisiert die Ausgrabungen einer Abhöranlage des Bundesnachrichtendienstes in Brandenburg.

Baustelle der A100 fördert Steinzeit zutage

Zu den sensationellen Funden in Berlin zählt beispielsweise die Entdeckung einer steinzeitlichen Siedlung in Neukölln. Dort führte der geplante Lückenschluss der Autobahn A100 dank großräumiger Untersuchungen im Areal zwischen Dieselstraße und Sonnenallee zu dem einzigartigen Fund. „Wir wissen jetzt, dass hier vor 5000 Jahren eine größere Gruppe von 20 bis 30 Menschen gelebt und Ackerbau und Viehzucht betrieben hat“, sagt Karin Wagner, Fachbereichsleiterin beim Landesdenkmalamt.

Wie Michael Meyer betont, zeige das Jahrbuch „in besonderer Weise, wie sich das Feld der Archäologie systematisch ausweitet“. Viele Fragen zur Geschichte des vergangenen Jahrhunderts könnten nur durch Archäologie beantwortet werden. Das erste Band „Archäologie in Berlin und Brandenburg“ erschien 1995.

Archäologie in Berlin und Brandenburg 2014. In Kommission beim Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2016 (ISBN 978-3-8062-3304-9), 26,50 Euro.