Der Abgeordnete Tom Schreiber hat sich intensiv mit der organisierten Kriminalität befasst. Im Interview fordert der SPD-Politiker, den Deliktbereich stärker in den Fokus zu rücken.
Berliner Morgenpost: Herr Schreiber, hat Sie der mutmaßliche Mordanschlag an der Bismarckstraße überrascht?
Tom Schreiber: Definitiv. Eine Autobombe mitten im Berufsverkehr zu zünden – das ist eine neue Qualität. Da waren offenbar Profis am Werk.
Haben Sie eine Vermutung zu den Hintergründen?
Wenn sich die Hinweise auf organisierten Kriminalität verdichten, muss geklärt werden, ob es um das Rockermillieu geht, um kriminelle Clans oder um Mafia-Strukturen. Die Art und Weise ist in jedem Fall außergewöhnlich. Leute einzuschüchtern ist in der Szene üblich. Aber Tötungsdelikte werden sonst im Verborgenen erledigt. Durch das öffentliche Vorgehen wollte man vielleicht ein deutliches Zeichen setzen, dass man in seinem Geschäftsgebaren nicht gestört werden will und zu allem bereit ist.
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Müssen wir weitere Anschläge befürchten?
Auch das muss die Polizei klären: Ist es ein Einzelfall, ist das Opfer vielleicht in Ungnade gefallen? Wenn es dagegen ein Streit verfeindeter Gruppen war, ist eine Eskalation denkbar.
Haben Sie den Eindruck, dass Polizei und Justiz genug gegen die organisierte Kriminalität unternehmen?
Wenn es Hinweise gibt, versuchen die Behörden ihr Bestes. Bei einem zweiten Blick zeigen sich aber Defizite: In dem Prozess um den Mord in einem Wettbüro konnten die mutmaßlichen Täter an Handys kommen und so möglicherweise Zeugen beeinflussen. In bestimmten Bereichen gibt es eine Paralleljustiz. Aus illegalem Vermögen wird regelmäßig legales Vermögen, und der Staat kann es nicht unterbinden. Das zeigt: Wir haben ein massives Problem.
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Was ist zu tun?
Wir müssen die illegalen Geldströme kappen. Das Geld ist Machtfaktor und Dreh- und Angelpunkt der organisierten Kriminalität. Um erfolgreich zu sein, müssen wir da ran. Auch auf meine Initiative hin muss der Senat bis zum 1. Mai dazu ein Konzept vorlegen.
Wird der Kampf gegen die organisierte Kriminalität vernachlässigt?
Die Polizei hat nur eine bestimmte Zahl von Einsatzkräften. Man muss effizient sein. So ist es aber nicht. Es ist unklug, seit einem dreiviertel Jahr Polizisten im Görlitzer Park Kleindealern hinterherjagen zu lassen. Es ist auch nicht klug, wenn der Innensenator sich darüber freut, dort viele Festnahmen zu haben, obwohl es noch keinen Verurteilten gibt.
Was würden Sie ändern?
Wir brauchen die Einsatzhundertschaften und die Bereitschaftspolizei im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Das ist eine Daueraufgabe, und man kann Polizeiarbeit nicht nach Wetterlage machen. Es fehlen die sehenden Augen vor Ort, auch verdeckte Ermittler und Observationskräfte. Deswegen kann ich nur appellieren, die erfolgte Schwerpunktverschiebung, etwa zum Görlitzer Park, mindestens zum Teil zurückzunehmen. Man braucht einen ressortübergreifenden Ansatz und darf nicht warten, bis sich Strukturen in der organisierten Kriminalität verfestigen und Konflikte so eskalieren, wie wir es jetzt erlebt haben.