Die mobilen Räume stecken voller Schadstoffe. Die seien aber nicht gefährlich, sagen die Behörden.
In Berlins alten Schulcontainern sind in großem Umfang gesundheitsschädliche Substanzen enthalten. Sollten sie abgerissen werden, sind die betagten mobilen Unterrichtsräume zum Großteil als Sondermüll zu entsorgen. Betroffen sind vor allem jene 41 „Mobilen Unterrichtsräume“ (MUR), in denen seit den 60er- und 70er-Jahren als Dauerprovisorium, in den meisten West-Bezirken der Stadt, Schüler unterrichtet werden. Es geht um polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die unter anderem in Klebern für die üblichen PVC-Böden enthalten sind. Und um künstliche Mineralfasern, die in Dämmmaterial und Deckenfasern stecken.
Die Behörden versichern jedoch, die Schadstoffe seien gebunden, steckten also in Deckenplatten und Böden fest. Deswegen bestehe keine Gesundheitsgefahr für Schüler und Lehrer. Eltern sind dagegen nicht so sicher, sie befürchten, dass durch beschädigte Wände und Decken eben doch krebserregende Fasern oder Dämpfe in die Luft gelangen. „Die Behörden nehmen das Problem nicht ernst“, sagte Ulrike Kipf vom Bezirkselternausschuss Steglitz-Zehlendorf.
Senat verweist auf die Bezirke
Die Grünen-Abgeordnete Stefanie Remlinger fordert schnellstmögliche Messungen: „Man muss auch wissen wollen, was in der Luft ist“, sagte die Oppositionspolitikerin und hat vom Senat einen Bericht bis Mai angefordert. Die Senatsbildungsverwaltung kann zu dem Phänomen jedoch wenig sagen, sie verweist auf die Bezirke als Verantwortliche für die Schulgebäude. Sie hätten die Genehmigungen für die Container immer wieder verlängert. Insgesamt lernen in Berlin Schüler in 194 Containerbauten, von denen ein Großteil Anfang der 90er-Jahre errichtet wurde. Dass viele Anlagen marode sind, ist offenkundig. Vergangenes Jahr schloss das Bauamt einen Containerbau in Zehlendorf wegen Baufälligkeit. Remlinger konsultierte Experten vom Freiburger Institut für Umweltchemie, die die grundsätzlichen Risiken, die von den Stoffen ausgehen, bestätigten.
Eine Bezirksstadträtin sprach jüngst im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses Klartext. Cerstin Richter-Kotowski (CDU) aus Steglitz-Zehlendorf antwortete laut Wortprotokoll der Sitzung auf eine Nachfrage Remlingers, dass man solche mobilen Unterrichtsräume habe. Diese seien de facto aus Schadstoff. „Da ist nichts drin, was Sie eigentlich auf normalem Weg entsorgen können“, so die Stadträtin. In der Regel handele es sich aber um „gebundene Schadstoffe“, die keine unmittelbaren Auswirkungen auf Schüler haben. Jedoch gebe es Auflagen, zum Beispiel nichts an die Decke zu hängen.
Abbau und Schutzzelten
Das Hauptproblem sei, dass es keine Unterlagen darüber gebe, was dort drinstecke. Erst beim Abriss wie zuletzt in Steglitz-Zehlendorf habe man ein Schadstoffgutachten einholen müssen, um die Schulcontainer regelgerecht entsorgen zu können. Wird ein alter Container abgebaut, müsse ein zeltartiges Schutzgebäude darüber aufgebaut werden, denn es sei schwer vermittelbar, dass Arbeiter im Schutzanzug herumlaufen, „während rundherum das Schulleben tobt“.
Auch in Neukölln sind noch sieben Schulcontainer aus den 60er- und 70er-Jahren in Betrieb. Bildungsstadtrat Jan-Christopher Rämer (SPD) sagte, er habe keine Hinweise darauf, dass die Schadstoffe darin nicht gebunden sind und in die Atemluft von Kindern und Lehrern gelangen. „Meiner Grundeinschätzung nach haben sie solche Probleme bei allen Gebäuden aus dieser Zeit“, so Rämer.
Fachmann warnt davor, dass Kinder an Oberflächen kratzen
Ein anderer Fachmann riet der Grünen-Politikerin Remlinger, erst einmal zu ermitteln, um welche Art Mineralfasern es sich handelt. In einer bestimmten Größe könnten die Fasern tatsächlich in die Lunge gelangen und eine Asbestose, eine Art Staublunge, auslösen, ähnlich wie die seit zehn Jahren verbotene Asbestfaser. Ob die Mineralfasern tatsächlich gebunden sind, sei ebenfalls fraglich. Kinder hätten die Eigenschaft, überall hineinzubohren und an Oberflächen zu kratzen. Für die PAK lautet die erste Ferndiagnose, dass eine Gesundheitsgefahr wohl erst bestehe, wenn es aus den Bodenbelägen ausdünste.
Vertreter von Eltern und Lehrkräften stellen jedoch keine große Bereitschaft der Verwaltung fest, sich des Themas anzunehmen. Nuri Kiefer, Schulleiter aus Reinickendorf und Vorstand Schule der Lehrergewerkschaft GEW, warnte im vergangenen Herbst gemeinsam mit dem Tüv vor Schadstoffen in Unterrichtsräumen generell. An seiner Schule gebe es einen Verdacht, berichtet der Schulleiter, er habe eine Schadstoffprüfung beim Bezirksamt beantragt. Seit drei Monaten sei nichts passiert. Andernorts wird anders reagiert: In Pullach bei München schloss das Bischöfliche Ordinariat vergangenes Jahr einen neuen Schulcontainer, weil Schadstoffe gemessen worden waren.
Das Thema wird deswegen in Berlin wieder aktuell, weil Steglitz-Zehlendorf zwei alte Anlagen sanieren möchte. Der Bezirk bekommt dafür jeweils 650.000 Euro aus dem Sondervermögen Infrastruktur wachsende Stadt (Siwa). Die Container der Mühlenau-Grundschule und der Sachsenwald-Grundschule stammen aber aus den 90er-Jahren. Zudem baut Berlin massiv Modulare Schulergänzungsbauten (MEB), um der steigenden Schülerzahlen Herr zu werden. Die Sprecherin von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) versichert, die neuen Gebäude hätten nichts mit den alten Containern gemein.