Abfallwirtschaft

Wie die Müll-Mafia in Brandenburg Millionen scheffelt

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Michael Billig (CORRECTIV)
Eine Schneise durch die Müllberge, die Ines und Andreas R. in Bernau hinterlassen haben sollen

Eine Schneise durch die Müllberge, die Ines und Andreas R. in Bernau hinterlassen haben sollen

Foto: Michael Billig

Mit Abfall lässt sich viel Geld verdienen. Mehr als 100 illegale Deponien gibt es im Land Brandenburg.

Potsdam.  In den Abendstunden des 22. Novembers 2011 ereignet sich auf der A9 zwischen Leipzig und Berlin eine Massenkarambolage. Schon seit Stunden herrscht starker Nebel, zusätzlich beeinträchtig „temporäre Rauchentwicklung“ die Sicht. Den ganzen Tag über läuft die Warnung in den Verkehrsnachrichten rauf und runter. Vergebens. Gegen 19.30 Uhr krachen 16 Autos und acht Lastwagen ineinander. Zwei Menschen sterben, neun werden schwer verletzt. Fünf Tage wird der Brand dauern.

Der Rauch kommt von einer brennenden Lagerhalle unweit der Autobahn, bei der Ortschaft Neuendorf, wo sich in der Nacht zuvor ein illegales Abfalllager entzündet hat. Bis zur Wende wurden hier Kartoffeln sortiert. Dann kam eine Firma und wollte Müll trennen, ist aber plötzlich pleite und der Geschäftsführer über alle Berge. Die Abfallberge bleiben. Bereits zweieinhalb Jahre vor dem Unfall haben Gutachter vor der Brandgefahr auf der illegalen Deponie gewarnt. Die „zeitnahe Entfernung des Abfalls“ sei „von oberster Priorität“, schreiben sie im April 2009 an die Landesregierung in Potsdam. Nichts geschah.

Seit Jahren türmt sich in Brandenburg der Müll. Das Land hat mehr als 100 illegale Abfalldepots, in denen mindestens drei Millionen Tonnen Dreck vor sich hin rotten. Das ist mehr, als die Einwohner der vier größten deutschen Städte zusammen in einem Jahr in ihre Mülleimer werfen. Jeder einzelne Fall ist empörend – zusammen deuten sie hin auf ein Versagen der Behörden. Die Recherche von Correctiv zeigt erstmals das ganze Ausmaß des Brandenburger Müllskandals: In einer Datenbank wurden 140 Orte erfasst, in denen seit der Wende illegal Müll verklappt wurde.

Kosten für Entsorgung liegen bei mehr als 320 Millionen Euro

Die Geschichten hinter diesen Müllbergen handeln von Politikern, die einfach wegschauen, von Kontrolleuren, die überfordert oder korrupt sind, und skrupellosen Müllschiebern, die sich, buchstäblich, einen Dreck um die Folgen ihres Tuns scheren. Die rechtmäßige Entsorgung von Abfall kostet in Deutschland viel Geld. „Müll“, so heißt es in der Abfallbranche, „sucht sich immer das billigste Loch.“ Die Müllmafia fand es in Brandenburg.

Sechs bis acht Millionen Euro hätte es gekostet, das Abfalllager in Neuendorf zu räumen, dessen Brand zur Massenkarambolage führte. Geld, das die brandenburgische Landesregierung nicht ausgeben wollte, verweisend auf den „Grundsatz eines schonenden Umganges mit öffentlichen Geldern“. 2014 unterstrich Umweltminister Jörg Vogelsänger (SPD) in einem Schreiben an den Städte- und Gemeindebund Brandenburg diese Haltung. In feinstem Behördendeutsch schrieb er: „Eine Ersatzvornahme unter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel – ohne Aussicht auf Kostenerstattung durch die Pflichtigen – ist weder ordnungsrechtlich geboten noch haushaltsrechtlich zulässig.“ Mit anderen Worten: Es gibt kein Geld für eine Sanierung der illegalen Drecklöcher. Die Kosten für eine Komplettentsorgung aller in der Datenbank erfassten Lager summieren sich auf mehr als 320 Millionen Euro.

Die meisten Verfahren laufen auf Geldstrafen hinaus

Im Sommer 2015 ist Andreas R. aus dem Gefängnis gekommen. Er saß drei Jahre. Der Schaden, den er angerichtet hat, wird Brandenburg noch lange beschäftigen. Dass ein Umweltsünder ins Gefängnis muss, kommt selten vor. Die meisten Verfahren laufen auf Geldstrafen hinaus. Oder die Haftstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Doch Andreas R. ist Wiederholungstäter.

Sein Aufstieg zum Müllpaten beginnt in den 90er-Jahren. Damals ist er Prokurist der Berliner BBC Baustoffe Recycling GmbH, wie aus dem Handelsregister hervorgeht. Die Firma schichtet Müll auf einem ehemaligen NVA-Gelände in Harnekop im Osten Berlins auf. Verbote und Auflagen der Überwachungsbehörden ignoriert R. Nach der Annahme passiert mit dem Müll – nichts. Er bleibt einfach liegen. Wie viel es am Ende ist, kann heute niemand mehr sagen. Den Dreck wegräumen mussten andere. Die Entsorgungskosten belaufen sich auf rund fünf Millionen Euro, bezahlt aus Steuergeldern, wie das Landesumweltamt bestätigt.

Die Müllspur zieht sich durch das halbe Land

R. kommt mit einer kleinen Geldstrafe davon. Und zieht weiter. Von nun an verheiratet mit Ines R., Geschäftsführerin bei BBC Baustoffe Recycling. Die Müllspur, die das Paar in den darauffolgenden Jahren hinterlässt, ist lang. Sie zieht sich durch das halbe Land. Ab dem Jahr 2000 schleusen sie Baustellenabfälle durch eine Sortieranlage in Bernau bei Berlin. Sie führt die Geschäfte, er schafft den Abfall ran, Zehntausende Tonnen. Alles scheint in Ordnung – bis der Müll im Oktober 2004 brennt. Sechs Tage lang kämpfen Feuerwehrleute gegen die Flammen. Den Brandabfall räumt die Stadt später für 1,3 Millionen Euro weg. Was vom Feuer verschont wurde, modert bis heute vor sich hin. Die Eheleute R. sind auf und davon. Ungestraft. Staatsanwälte ermitteln zwar wegen Brandstiftung, können aber nichts beweisen.

Zwischen August 2001 und Mai 2002 verscharrt das Paar laut Gerichtsunterlagen erstmals hochbelastete Abfälle in der Trottheide, einer aufgelassenen Tongrube südlich des Naturparks Uckermärkische Seen, – und wird wie schon wegen der illegalen Halde in Harnekop mit einer Geldstrafe belegt. Sie sind nun doppelt vorbelastet. Und dürfen dennoch zwei weitere Jahre unter den Augen der Kontrollbehörden mit Müll Kasse machen. Erneut befüllen sie die Tongrube in der Trottheide, unter einem anderen Firmennamen, vorgeblich mit unbelastetem Bauschutt. Zwischen August 2005 und Mai 2006 lässt Andreas R. geschredderten Verpackungsmüll dort abladen, zusammen mit Überresten aus Klärwerken, mit Spritzen und Verbandsmaterial aus Kliniken und Pflegeeinrichtungen. Es sind Abfälle, die auf eine spezielle Deponie gehören oder in eine Verbrennungsanlage für Sondermüll. Insgesamt 21.000 Kubikmeter Dreck.

Erst als Anwohner Alarm schlagen, fliegt der Schwindel auf

Weder Mitarbeiter der Bergbaubehörde noch der Eigentümer des Tagebaus wollen etwas davon bemerkt haben. Erst als Bewohner aus den umliegenden Dörfern wegen des aufziehenden Gestanks Alarm schlagen, fliegt der Schwindel auf. Der Tagebau liegt versteckt. Wasser hat die Grube gefüllt. Am Ufer wächst Schilf. Sträucher und Gräser überwuchern die Böschung. Sogar Biber sollen sich hier wieder angesiedelt haben. Doch die Idylle trügt. Der See stellt ein Risiko dar, muss überwacht werden. Rundherum wurden Messstellen eingerichtet, um das Grund- und Oberflächenwasser zu analysieren. Eine „akute Gefährdung“ bestehe nicht, heißt es vom Landesamt für Bergbau in Cottbus. Doch nicht ohne Grund berappt das Land jährlich 17.000 Euro für das Monitoring. Denn niemand weiß, ob die mit krebserregenden Kohlenwasserstoffen, Schwermetallen und anderen Schadstoffen kontaminierte Fracht im See nicht doch noch ihre giftige Wirkung entfaltet. Andreas R. wanderte für diese Umweltsünde ins Gefängnis. Ines R. blieb auf freiem Fuß.

Es ist immer das gleiche Spiel: Erst gaukeln die Mülldealer eine fachgerechte Entsorgung vor, dann kippen sie den Abfall einfach ab. Das dünnbesiedelte Brandenburg mit seinen ehemaligen Militär-Flächen, LPG-Brachen und Tagebaulöchern scheint wie gemacht dafür.

Die Recyclingkapazitäten reichten nicht aus

Den Weg für die Müllmafia hat der Staat bereitet. 1993 wollte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die Wirtschaft im Osten ankurbeln, ein „Investitionserleichterungsgesetz“ wurde erlassen. Es führt dazu, dass Zulassungsverfahren für Abfallanlagen vereinfacht, Genehmigungen zügiger vergeben, Einspruchsrechte von Bürgern zurückgefahren wurden. Hinzu kam 2005 das rot-grüne Deponieverbot für Hausmüll. Nichts durfte mehr abgelagert, alles muss verwertet werden. Doch die Recyclingkapazitäten reichten nicht aus, Müllverbrennungsanlagen waren voll und teuer. Wie aufwendig die Überwachung eines Betriebs sein kann, hat das Landesamt für Umwelt anhand der Neuendorfer Anlage dokumentiert. Die Akte handelt von Kontrollen und Untersagungen, von der Androhung von Zwangsgeld bis zu einer Stilllegungsverfügung. Sie soll ein Beweis des Bemühens sein, ist vor allem jedoch ein Zeugnis der Hilflosigkeit. Mit leeren Versprechen und juristischen Winkelzügen gelang es sowohl dem Betreiber als auch dem Grundstückseigentümer immer wieder, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Bei vielen illegalen Deponien ist die Zuständigkeit unklar

Der Fall Neuendorf ist gut dokumentiert. Bei vielen illegalen Deponien ist noch nicht einmal klar, welche Behörde überhaupt zuständig ist. Das Landesumweltamt kümmert sich um die Anlagen, die es selbst einst genehmigt hat. Genauso handhabt es das Amt für Bergbau, das die Verfüllung von ausgebeuteten Tagebauen überwachen soll und dabei total versagt hat. Der Rest – so sieht es jedenfalls ein Beschluss aus dem Jahr 2012 vor – fällt in die Zuständigkeit der Landkreise und Städte. Doch die weigern sich und klagen dagegen vor dem Oberverwaltungsgericht. Die Verhandlung steht aus.

Bis die illegalen Müllkippen saniert werden, vergehen viele weitere Jahre. Oder es geschieht gar nichts. Das ist die von offizieller Seite favorisierte Lösung. Denn es ist die billigste.

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