Wer bei Instagram den Hashtag #berlin eintippt, findet aktuell rund 13 Millionen Fotos. Die Hashtags #München mit 3,3 und #Hamburg mit 4,3 Millionen Einträgen schmieren dagegen deutlich ab. Solche Zahlen zeigen für Ferdinand Prinz, dass die Hauptstadt „besonders instagrambar“ ist. Für den 26-Jährigen ist die Foto-Plattform mehr als ein soziales Netzwerk – er baut darauf seine berufliche Existenz auf.
Im letzten Jahr ist Prinz aus London nach Berlin gezogen, um zusammen mit Albrecht Krockow das Start-up „Post Collective“ zu gründen. Es handelt mit Instagram-Kunstdrucken. Vom Büro im sechsten Stock eines Hauses an der Torstraße überblickt Prinz die Dächer von Mitte. Ein Berliner Instagram-Moment vom feinsten.
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„Das ist eines meiner Lieblingsbilder“, sagt Prinz und zeigt auf ein gerahmtes Foto von zwei kleinen Kindern, die über ein zubetoniertes Basketball-Feld radeln – hinter ihnen ein monumentaler Wolkenkratzer. Der Berliner Konrad Langer, genannt konaction, hat „Where Do the Children Play?“ in Hongkong aufgenommen. Typisch für die Berliner Instagramer ist das Motiv, weil sich diese Szene vor allem für urbane Momente interessiert.Von den rund 40 Instagramern, die „Post Collective“ derzeit listet, sind zehn Berliner. Bedingung: Jeder von ihnen muss mindestens 20.000 Abonnenten haben.
Instawalks für die Netzwerk-Pflege
Ist „Post Collective“ ein Kollektiv? Prinz, der schon mit 19 seinen ersten Kunstblog gegründet hat, selbst gerne fotografiert und der einen Master-Abschluss in Marketing hat, lächelt: „Instagram, das ist einfach ein Community-Ding.“Herzchen vergeben, über Fotos und Instagram-Filter von Moon bis Mayfair diskutieren, voneinander lernen – das alles gehöre dazu. Und auch in einem anderen Punkt ist das Netzwerk sozial: Bei sogenannten Instawalks verabreden sich Gruppen, um gemeinsam auf Fototouren zu gehen.
In Berlin kümmern sich erfolgreiche Instagramer wie Moritz Möller – @brainyartist – um die Organisation dieser Treffen. Auch „Post Collective“ setzt nicht nur auf die digitale, sondern auf die Vernetzung in der analogen Welt, lädt regelmäßig zu Ausstellungen ein. Neben den vielen Selfies, den Katzenfotos und den Schnappschüssen aus dem Alltag für Freunde und Follower findet sich auf Instagram auch Kunst. Renommierte Künstler wie Ai Weiwei haben die Plattform längst für sich entdeckt, erzählen dort auch schon mal über Tage oder sogar Wochen mit Fotos Geschichten.
Immer wieder postet der chinesische Aktionskünstler beispielsweise Bilder, die sich mit der Flüchtlingskrise auseinandersetzen. Doch solche Sozialkritik ist im Netzwerk (noch) eher die Ausnahme.Seit der Gründung im Herbst 2010 hat Instagram, das mittlerweile zum Facebook-Imperium gehört, ein atemberaubendes Wachstum hingelegt. Nach Angaben von Statista lag die Zahl der Instagram-Nutzer in Deutschland im Januar bei neun Millionen, weltweit sind es mehr als 400 Millionen.
Und: Die Instagram-Nutzer sind jung – die größte Gruppe ist die der 16- bis 24-Jährigen. Dass die Berliner Community sehr lebendig ist, schreibt Prinz auch der Tatsache zu, dass die Stadt so jung und ein Tummelplatz für Kreative ist.„Instagram ist eine demokratisierende Plattform“, glaubt der Post Collective-Gründer. Jeder bekommt seine Chance – doch der Erfolg entscheidet sich schnell. Fotos ploppen auf – und werden alsbald von der nächsten Bilderwelle nach unten gespült.
Fremde in der Nacht – Bilder wie von Hopper
Zu denen, deren Fotos besonders oft nach oben gespült werden, zählt Jörg Nicht, „jn“. Sein Foto „Strangers in the Night“ ist typisch für seinen Stil: Eine Frau mit Regenschirm hastet durch eine schmale Passage auf der Rückseite des Bahnhofs Zoo. Die Fluchtlinien laufen am Ende der Schlucht aufeinander zu, auf dem regennassen Boden spiegelt sich das Licht eines Hotels.
Wäre das Foto ein Gemälde, könnte es von Edward Hopper sein. Menschen, die unterwegs sind, das Spiel mit Licht und Schatten, mit Linien und Strukturen – das alles fasziniert Jörg Nicht. Mit seinen urbanen Motiven zieht der Instagramer „jn“ auch andere in seinen Bann: Das Wachstum seiner Fangemeinde hat sich parallel zu dem des sozialen Netzwerks vollzogen. Aktuell hat er weltweit 551.000 Abonnenten und gehört damit zu den populärsten Instagramern Berlins.
Die Hauptstadt ist fotogen im Quadrat. „Das trendige Berlin ist für viele ein Sehnsuchtsort“, erklärt der 42-Jährige den Erfolg der hiesigen Instagramer. Klassische Berlin-Motive, etwa von der Museumsinsel, sind ein Selbstläufer. Zwei Fotos am Tag sind die Zielmarke von „jn“, und dafür sammelt er stundenlang Motive. Rund ein Drittel der Bilder entsteht noch immer mit dem Smartphone, der Rest mit Profikameras. Auch wenn er längst davon leben könnte – den erfolgreichen Instagramern winken lukrative Werbe-Aufträge – will sich Nicht beruflich nicht aufs Netz verlassen. Er arbeitet weiter als Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität Berlin.
Die BVG ist ein Lieblingsmotiv der Instagramer
Ein Riesenerfolg sind auch seine geometrisch gebauten Fotos von der U-Bahnrampe an der Eberswalder Straße. „Da fotografiere ich unheimlich gerne“, sagt „jn“, der sich schon als Kind für Bahnen interessierte. Der Mauerpark zählt ebenfalls zu seinen Lieblingsmotiven. Doch auch im Foto-Netzwerk wechseln die Moden. Mal sind es verlassene Orte, mal springende Menschen oder Wendeltreppen. „Momentan interessieren sich alle für Natur“, hat „jn“ beobachtet.
Zwar ändern sich die Trends, doch einige Instagram-Regeln scheinen unveränderlich. Reduktion zum Beispiel. Sie ist nach Jörg Nichts Erfahrung wesentlich für die Optik des sozialen Netzwerks: „Der Bildinhalt muss schnell zu erfassen sein.“Bei den Fotos von Konrad Langer, konaction, ist das so. Sie sind klar und symmetrisch. Langer selbst beschreibt seinen Stil als formell und minimalistisch. Das kommt an. Inzwischen folgen 122.000 Abonnenten dem gebürtigen Cottbuser, der 2013 nach Berlin kam und kurz darauf bei Instagram einstieg .
Langer arbeitet mit Agenturen zusammen, macht Fotoproduktionen, bewirbt Produkte und berät Firmen und Einrichtungen, die eine Instagram-Kampagne planen. Inzwischen kann er gut davon leben. Kürzlich hat er eine Kampagne für die Fotogalerie c/o gemacht. Auch für Google oder Adidas hat er schon gearbeitet.
Unterwegs mit dem Smartphone
„Ich lade täglich mindestens ein Foto hoch“, sagt er. Sein Leitthema ist die Stadt. Dabei geht es ihm vor allem um Orte, die die meisten nicht als schön bezeichnen würden. „Ich versuche, sie so zu fotografieren, dass sie interessant werden“, sagt er. Oft sind auch Menschen auf seinen Bildern, meist Freunde. Es macht ihm Spaß, sie in seine Kombinationen einzubauen, Architektur und Menschen in Relation zueinander zu setzen. Sein Anspruch ist es, aktuell zu sein: Fotos, die er postet, sind zu 80 Prozent nicht älter als drei Tage. Berlin sei ein guter Ort für Instagramer, sagt Langer.
„Es gibt viel zu sehen, die Stadt verändert sich noch immer, es ist nie langweilig.“ Langer ist kürzlich von Neukölln an den Westhafen nach Moabit gezogen. „Eine andere Ecke, die ich mir erobern kann“, sagt er. Aber auch die Randgebiete Berlins interessieren ihn: Gropiusstadt, Marzahn, das Märkische Viertel. Er versucht, diesen Plattenbausiedlungen und Trabantenstädten ein Gesicht zu geben, ihre Schönheit zu finden und zu zeigen, wie die Leute dort leben. Kindheitserinnerungen an den Osten Deutschlands prägen dabei nicht selten seine Sicht auf die Dinge.
Langer, der in Leipzig Journalistik und Sozialwissenschaft studiert hat, fotografiert ausschließlich mit dem Smartphone. „Für mich ist das die Philosophie von Instagram“, sagt er. Auch das Foto eines Hinterhofs im Prenzlauer Berg ist so entstanden. Wir blicken auf unsanierte graue Fassaden, die noch so aussehen wie Anfang der 1990-er-Jahre viele Berliner Hinterhöfe ausgesehen haben. Das Foto wirkt durch die klare Struktur, erzählt aber auch ein Stück Stadtgeschichte
Zu denen mit den meisten Klicks gehört Michael Schulz – „berlinstagram“ ist sein Name in der Community. Er hat ihn selbst kreiert. „Das war ein Geistesblitz.“ Dieser Name verbinde die Stadt und das Medium, sagt er, sei einprägsam und bringe sein Anliegen auf den Punkt: Fotos von Berlin zu machen, die erzählen, wie diese Stadt tickt, die ihren Alltag abbilden, ihre Architektur und in besonders gelungenen Momenten auch ihre Menschen.
Naturfotos sind im Kommen
Eins von Schulz` Lieblingsfotos ist ein Draufblick auf eine Gruppe von Leuten, die an einer langen Tafel sitzen und speisen. „Diese Szene spielt sich auf dem Bürgersteig vor einem Supermarkt ab“, sagt er. Ah, Berlin, sagen die Leute, wenn sie dieses Foto sehen. „Es löst dieses typische Berlin-Gefühl aus, zeigt aber auch einen bestimmten Moment, den man so nicht wieder fotografieren kann“, sagt Schulz. Genau das suche er.
Schulz fotografiert seit fünf Jahren in Berlin. Er kennt inzwischen jeden Winkel dieser Stadt, hat vertraute Ansichten aus jeder Perspektive und bei jedem Wetter vor der Linse gehabt. Egal, ob in Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte oder Neukölln. „Diese Bezirke habe ich komplett durchfotografiert“, sagt er. 2016 will er sich deshalb auch mal Steglitz und Marzahn-Hellersdorf vornehmen. Sein Stil sei, keinen Stil zu haben, sagt Schulz, der sich nicht festlegen lassen will. Ihm folgen 446.000 Menschen, jedes Foto hat 5000 bis 10.000 Klicks.
Diese enorme Reichweit ermöglicht es ihm, von seinen Fotos zu leben. Er nennt es das „Glück der ersten Stunde.“ Schulz, der aus der Werbebranche kommt, ist von Anfang an bei Instagram dabei. Seit eineinhalb Jahren hauptberuflich. Er berät Firmen, betreut deren Instagram-Accounts und fotografiert für Tourismusverbände und Reiseveranstalter. 2015 hat er seinen persönlichen Rekord aufgestellt. „Ich war in mehr als 20 Ländern unterwegs und das, obwohl ich Flugangst habe“, sagt er. Wer bei Instagram Erfolg haben wolle, müsse viel reisen. Schulz schätzt die Lage so ein: „Urbane Motive sind fast durch. Klicks bringen vor allem Naturaufnahmen.“
Instagram ist auch ein großes Geschäft
Wie alle anderen hat auch „berlinstagram“ mit dem Handy angefangen zu fotografieren. Eine richtige Kamera hat er erst seit einem Jahr. Das sei wie beim Autofahren. „Wenn man es endlich kann, will man auch ein gutes Auto haben. „Man müsse allerdings viel Zeit investieren, um sich mit der Technik vertraut zu machen. „Ich lerne immer noch“, sagt Schulz. Es lohne sich aber, nicht zuletzt, weil gute Nachtaufnahmen möglich seien. „Die sind zurzeit mein Ding.“
Schulz ist gerade in L.A., er macht dort Fotos für den Instagram-Auftritt einer Automarke. „Ein toller Job“, sagt er. „Aber auch Arbeit. Das ist, wie mit den Eltern zu verreisen, man kann nicht nur abhängen, sondern muss sich auch ständig etwas angucken.“ Auffällig ist, dass in Berlin nur wenige Frauen zu den Instagram-Stars gehören. Eine von ihnen ist Uwa Scholz, die auch nicht erklären kann, warum das so ist. In Wien, sagt sie, seien jedenfalls „die Frauen die Stars“.
Uwa (Uwa2000) ist seit fünf Jahren bei Instagram und stellt mindestens ein Foto am Tag auf die Plattform. Die Stadt gehört zu ihren Themen. Im Kiez um die Bergmannstraße zum Beispiel, wo sie wohnt, entdeckt sie immer wieder etwas Neues.„Ich lasse mich gern treiben, schaue, was auf mich zukommt“, sagt Uwa, die auch gern mit anderen Instagramern unterwegs ist. Im Mai wird sie mit fünf Frauen den Ätna besteigen. Italienische Instagramer haben das organisiert. Ihr Geld verdient sie mit Werbung, „am liebsten für Veranstaltungen wie für das Berlin Festival, dass im vergangenen Jahr in der Arena stattfand“. Es müsse schon passen, sagt Uwa. Fotos von Autos oder Kleidung seien keine Herausforderung für sie. „Das ist langweilig.“
Berliner Szene als Impulsgeber
Für die deutsche Szene ist Berlin von Anfang an Impulsgeber gewesen, erzählt Thomas Kakareko, kurz „thomas_k“: „Das deutsche Instagram hat in Berlin angefangen.“Er gehört zu den Pionieren der Plattform, war schon 2010 dabei. Kontinuierlich sei seine Fangemeinde gewachsen, erzählt der 30-Jährige. Mit coolen Bildern, die in jedes Lifestyle-Magazin passen, hat er bis heute sagenhafte 652.000 Abonnenten gewonnen.
Eines seiner aktuellen Pics zeigt eine melancholisch blickende junge Frau im cremefarbenen Mantel, die auf einer Dachterrasse steht. Eine Haarsträhne fällt ihr ins Gesicht – die tief unter ihr verlaufende Hochbahntrasse der U1 sorgt für urbanes Flair. Überhaupt die BVG, sie ist ein Lieblingsmotiv der Berliner. Auch Kakareko fotografiert gerne in U-Bahnhöfen, inzwischen hauptsächlich mit Profikameras, der gestiegenen technischen Ansprüche wegen. So entdeckt er im Görlitzer Bahnhof auf dem Bahnsteig gegenüber ein ineinander versunkenes Paar.
Der Fotograf ist für die Liebenden weit weg. So soll es sein, findet Kakareko: „Ich bin immer auf der Suche nach echten Gefühlen.“ Doch gerade wenn man authentisch bleiben will, ist es für Instagramer nicht einfach, Menschen in unbeobachteten Momenten zu fotografieren. Viele haben Angst vor einer Klage. Zu den Lieblingsmotiven von thomas_k gehören auch städtische Architekturen, gern blickt er von oben, durch Fenster und Bullaugen. Der Betrachter hat das Gefühl, an einem intimen Moment teilzuhaben.
Drei bis vier Stunden am Tag ist er unterwegs, um am Ende zwei Bilder zu posten. Das Geheimnis der erfolgreichen Instagramer? Auch Kakareko fällt dazu vor allem ein Wort ein: „Reduktion“. Mit seinen Abonnenten gehört er zu den Instagramern, die davon leben können, mit Werbefotografie und Workshops Geld verdienen und mit Fotoaufträgen weltweit unterwegs sind. Vor drei Jahren hat er mit anderen „visumate“ gegründet, eine Agentur für visuelle Markenkommunikation.
Ist ein Leben ohne Instagram für ihn überhaupt noch vorstellbar? Kakareko muss über die Frage lachen. „Das erste, was ich morgens mache ist: Ich nehme mein Handy und checke meinen Feed.“