Er nervt, dieser Abgesang. Er nervt auch jene, die darüber schreiben. All die Texte über eine Stadt, die mal so aufregend war und jetzt immer langweiliger wird, sind wie mit der Copy-Paste-Funktion verfasst. Austauschbare Sätze.
Austauschbar wie das Stadtbild, um das es geht. Aus heterogenen werden homogene Strukturen. Aber auch, wenn man sich wiederholt, fällt es schwer, die Veränderungen zu ignorieren. Diese brachiale und trotzdem stillschweigende Walze tuckert unaufhörlich durch Berlin, macht alles dem Erdboden gleich. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die „Pony Bar“ an der Alten Schönhauser Straße in Mitte raus muss. Wegen Lärmbelästigung, heißt es. In zweiter Instanz bekam der Vermieter Recht. Wer in den Laden zieht, ist nicht bekannt. Die Bar schließt im März, dann gab es sie fast 13 Jahre. Damit fällt der letzte Grund weg, abends in diese Gegend zu kommen. Kneipen und Clubs wie „Alt Berlin“ oder „WMF“ sind vergessen. Tagsüber stromern Touristen und Menschen, die hier arbeiten, herum, nachts wirkt es wie ausgestorben.
"Schön ruhig und todlangweilig" - die Diskussion auf Facebook
Auch wenn man nie in der „Pony Bar“ war, steht sie für das große Ganze. Dinosaurier wie sie kann man in dieser Gegend nunmehr an einer Hand abzählen: Da gibt es noch den „Mädchenitaliener“, etwas weiter das „Blaue Band“ und „Macchina-Caffe“, einen Laden, der mit Kaffee und Kaffeemaschinen seit 1998 den Zeitgeist trifft. Ein anderes Urgestein auf der Neuen Schönhauser Straße setzt auch auf Kaffee, muss aber ebenfalls gehen. Die Berliner Kette „Caras“, einer der ersten Coffeeshops der Stadt, schließt an diesem Wochenende nach 15 Jahren ihre Filiale. „Der Vermieter hat die Miete um mehr als das Doppelte erhöht“, sagt Filialleiter Alex Rohkann. Es überrascht nicht, dass ein Klamottenladen einziehen wird, „Tiger of Sweden“. Gegenüber wird gerade der „Fred Perry“-Shop renoviert.
Genau das scheint die Philosophie: Für Vermieter zählt Verlässlichkeit. Flagship- und Concept Stores können hohe Mieten zahlen, auch ein Verlustgeschäft stemmen. Das schafft Sicherheit. Auch für Anwohner: Mit Klamottenläden muss hier niemand Lärm zu später Stunde beklagen. Gutbürgerliches Miteinander, während Besonderheiten weggedrückt werden. An diesem Sonnabend war auch der letzte Tag vom „Pan Asia“ an der Rosenthaler Straße. Von einem nicht mehr laufenden Geschäft und utopischer Mieterhöhung war die Rede. Auf Nachfrage der Berliner Morgenpost sagt Geschäftsführer Roland Mary nur: „Wir wollten nicht mehr verlängern, weil uns die Gegend nicht mehr zusagt – der Charakter, da im Hinterhof.“
Steffi Goebel, Vorstandsvorsitzende im „Haus Schwarzenberg e.V.“ an der Rosenthaler Straße, das als fast einzige Kulturinstitution auffällt, sagt: „In der Gegend findet keine soziale Durchmischung mehr statt.“ Nur nocxh für wenige Berliner gebe es einen Grund herzukommen. Kinos, Galerien, Cafés wie in diesem Haus gibt es auch woanders. Daher bestimmen Touristen das Geschäft. Besuchergruppen schlängeln sich durch den mit Graffiti bemalten und plakatierten Hinterhof – Relikt vergangener Zeiten. Seit 1996 ist hier das „Kino Central“ ansässig. Geschäftsführerin Iris Praefke: „Es hat sich fast schon ein museales Flair entwickelt.“ Alle laufen mit Kameras, sehen die Welt im Display. Ihr Kollege Wulf Sörgel sagt: „Die Bedeutung vom Haus Schwarzenberg nimmt zu, weil so etwas immer rarer wird.“
Wieder auf der Straße, wird einem der geleckte Planungstenor in Perfektion demonstriert. „Hugo Boss“, „Starbucks“, Turnschuhgeschäfte, alleine fünf Läden unter Schirmherrschaft der schwedischen Kette „H&M“ auf wenigen Metern. Umso erfreulicher, dass Haus Schwarzenberg 2015 Mietsicherheit für die nächsten zehn Jahre bekam. Charaktervolles hat in dem Spiel sonst nicht mal mehr eine Startaufstellung.
Und so passiert es, dass das Gesicht der Stadt immer einheitlicher modelliert wird. Maßgebliche Bildhauer sind die eher Unkreativen: Investoren und Großunternehmer. „Wir brauchen ein Bewusstsein in der Bevölkerung für das Problem und einen politischen Willen, um das zu stoppen“, sagt Goebel. Übrigens fällt das Austauschbare bereits in der S-Bahn auf. Denn mittlerweile ähneln sich sogar die Bahnhöfe. Bäcker, Kiosk, Imbiss. „Bei der Auswahl der Mieter wird auf Professionalität und Verlässlichkeit geachtet“, erklärt die „Deutsche Bahn“ auf Nachfrage. Also auch hier: Verlässlichkeit als Argument.
Kreative im Konflikt mit wirtschaftlichen Zwängen
Ein Urgestein in der Gegend, das sich nicht sorgen muss, ist „Monsieur Vuong“. Das Restaurant war einer der ersten Vietnamesen der Stadt und hält sich an der Alten Schönhauser Straße seit 14 Jahren. Damals stand Opa Vuong, ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können, im Restaurant. Heute lächelt er nur noch von einem Foto. Tan Vuong, Bruder des Gründers, sagt: „60 Prozent unserer Gäste sind nach wie vor Stammkunden.“ Trotzdem beklagt auch er: „Alles wird so langweilig. Die Stadt sollte sich auf ihre Qualitäten besinnen und sich mal was trauen. Hier sieht es schon aus wie auf der Friedrichstraße.“
Man fragt sich, für wen diese Eintönigkeit erschaffen wird. Für Touristen? Wie Neu-Berliner sind sie wichtige Faktoren für die Stadt. Der kürzlich veröffentlichte „Zugezogenen-Atlas“ der Morgenpost vermeldet 48 Prozent echte Berliner. Aber wieso meint man, dass dieser Einheitsbrei Fremde anzieht?
An einer Hauswand unweit der „Pony Bar“ klebt ein Plakat. „Reclaim your City“ steht da. Reclaim – zurückerobern. Das Plakat warb 2015 für einen Kongress mit Kunst- und Kulturschaffenden. Es ging um ihr Dilemma: Dass sie Teil der Aufwertung von Stadtteilen sind, sich aber die Frage stellen, wie Kreativität in diese Prozesse eingreifen kann, um gesellschaftlichen statt marktwirtschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Gehört wurden sie damit offenbar nicht. Die Texte über den Abgesang werden vermutlich nicht weniger. Auch wenn einem die Worte ausgehen.