In immer mehr Geschäften muss man für Plastiktüten Geld bezahlen. Ein Charlottenburger Kiez geht einen besonderen Weg für weniger Müll.

In Berlin gehen täglich im Durchschnitt rund 710.000 Einweg-Plastiktüten über die Ladentheken. Meist werden sie nur ein einziges Mal für durchschnittlich 25 Minuten benutzt. Dann landen sie im Müll. Etwa 43 Tonnen Rohöl werden benötigt, um allein die Kunststoff-Tragetaschen für den Tagesverbrauch in Berlin herzustellen.

In der Natur halten sie sich allerdings deutlich länger. Erst nach 400 Jahren sind sie annähernd zersetzt. Bis dahin haben der Kunststoff und seine Abbauprodukte nicht nur Grünanlagen und Gewässer verschmutzt, sondern auch wildlebende Tieren den Tod gebracht. Sie verfangen sich darin, nehmen die zerfetzten Kleinteile mit ihrer Nahrung auf und verhungern schließlich mit vollem Magen. Über Tiere landen Mikroplastikpartikel auch in menschlicher Nahrung.

Lebensmittelgeschäft Özen Kardesler an der Seelingstraße
Lebensmittelgeschäft Özen Kardesler an der Seelingstraße © BM | Birger Prüter

Am Klausenerplatz soll jetzt mit der Aktion „Kiezbäume statt Plastiktüten“ etwas gegen die Verschwendung von Verpackungsmüll getan werden. Ganz vorn dabei ist das türkische Lebensmittelgeschäft Özen Kardesler. Dort werden künftig für jede Plastiktüte, die ein Kunde nicht möchte, fünf Cent in eine Box gesteckt. Im Herbst, so das angestrebte Ziel, sollen von dem Geld dann ein oder vielleicht sogar mehrere Bäume gekauft werden.

Die CO2-Emissionen senken

„Wir sind stolz, dass wir Özen Kardesler für die Aktion gewinnen konnten“, sagt der bezirkliche Klima-Manager Birger Prüter. Gerade türkische Lebensmittelgeschäfte stünden oft im Verdacht, für jeden Kleinigkeit kostenlos eine Tüte herauszugeben. Doch die beiden Chefs des Supermarkts Kadir und Fatih Özen waren sofort Feuer und Flamme von der Idee, sagt Prüter. Jetzt sucht er gemeinsam mit dem Unternehmernetzwerk Klausenerplatz nach weiteren Ladenbesitzern, die sich der Aktion anschließen wollen.

„Mit der Einbindung ansässiger Geschäfte möchten wir im Rahmen unseres Klimaschutzkonzepts zur Senkung der CO2-Emissionen beitragen und den kommunalen Klimaschutz erlebbar machen“, sagt Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann (SPD). Wenn mindestens 500 Euro zusammenkommen, unterstützt der Berliner Senat das Vorhaben im Rahmen seiner Kampagne ‚Stadtbäume für Berlin‘ mit weiteren 500 Euro.

Was für den kleinen Kiez ein großer Schritt werden kann, ist lange nicht genug, meint Thomas Fischer, Leiter für Kreislaufwirtschaft der Deutschen Umwelthilfe. „Deutschland muss einfach schneller etwas tun, um den Verbrauch von Plastiktüten einzudämmen,“ sagt er. Der Handel sei leider immer noch nicht bereit, sich von diesem preiswerten Marketinginstrument zu verabschieden.

Bis 2025 nur noch 40 Tüten pro Jahr und Kopf

Die EU sieht vor, dass in allen Mitgliedsstaaten bis 2019 die Zahl der Tüten auf 90 und bis 2025 auf 40 pro Kopf und Jahr reduziert werden muss. „Deutschland liegt derzeit mit 76 Tüten pro Kopf vordergründig nicht so schlecht da“, sagt Fischer, doch andere Länder wie Irland oder Dänemark machten vor, dass da noch viel mehr machbar wäre. „Irland hatte früher einen Verbrauch von 328 Tüten pro Kopf pro Jahr. Jetzt sind es nur noch 16, nachdem der Gesetzgeber einen Festpreis für solche Tragetaschen festgelegt hat“, so Fischer. Dänemark wiederum belegt die Stoffe, aus denen die Tüten sind, mit einer Materialsteuer. Ein Däne benutzt nur noch vier Tüten im Jahr. „Für die Händler lohnt sich die Herstellung gar nicht mehr“, sagt Fischer.

Die EU will bis 2019 die Zahl der Tüten auf 90 und bis 2025 auf 40 pro Kopf und Jahr reduzieren
Die EU will bis 2019 die Zahl der Tüten auf 90 und bis 2025 auf 40 pro Kopf und Jahr reduzieren © picture alliance / ZB | dpa Picture-Alliance / Jens Büttner

Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, reagiert deutlich unwirsch auf die Forderung der Natur- und Umweltschützer: „Diese Argumentation langweilt mich inzwischen zu Tode“, sagt er. Deutschland stünde im Vergleich zum europäischen Ausland so viel besser da.

Der Selbstverpflichtungs-Vereinbarung des deutschen Einzelhandels, die zum 1. April in Kraft trete, seien 80 Unternehmen beigetreten. „Wir allein erreichen damit mehr als 50 Prozent des gesamten Plastiktütenverbrauchs in Deutschland“, sagt Busch-Petersen und ist zuversichtlich: „Wir erfüllen damit die für 2025 geforderte EU-Norm schon 2018.“

Das Bundesumweltministerium zeigt sich indes weniger glücklich mit dem Maß der Selbstverpflichtungsbereitschaft der Händler. „Die Ministerin hat noch einmal bekräftigt, dass für eine freiwillige Lösung zentrale Bedingungen erfüllt sein müssen: Mindestens 80 Prozent Teilnehmer innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten. Der Handelsverband Deutschland hat nun bis März Zeit, die kritische Menge zusammenzubringen“, so Ministeriumssprecher Nikolai Fichtner.

Viele Berliner Geschäfte stellen sich um

Einige Berliner Geschäfte und Handelsketten haben ihr Tütengebahren bereits umgestellt. So muss man bei Karstadt bereits ab März eine größenabhängige Gebühr von fünf, zehn, 20 oder 30 Cent pro Exemplar zahlen. Ab April schafft auch C&A die kostenlose Plastiktüte ab. Dafür, so eine Mitarbeiterin, seien sie stabiler und wegen eines höheren Recyclinganteils umweltfreundlicher.

Auch Karstadt schafft die Gratis-Plastiktüte ab
Auch Karstadt schafft die Gratis-Plastiktüte ab © pa/dpa

H&M hingegen hat einer Sprecherin zufolge keine Änderungen vorgesehen. Die Tüten des Unternehmens bestünden aber bereits aus Recyclingmaterial. Zudem werde jeder Kunde beim Einkauf darauf hingewiesen, dass er die Tüte zurückbringen könne. In den Drogeriemärkten Rossmann und DM sind die kleinen Plastiktüten, die sogenannten Hemdchentüten, bereits abgeschafft worden. Größere kosten zwischen zehn und 20 Cent. Angeboten werden auch Stoffbeutel, die zurückgebracht werden können.

Kaiser’s setzt auf Alternativen. Neben Plastiktüten in zwei Größen bietet die Lebensmittelkette Stoffbeutel zu 89 Cent an. Auch die Technikmärkte Saturn und Media Markt haben vergangenes Jahr Neuerungen eingeführt. Kunststofftüten sind an den Kassen nur noch auf Nachfrage erhältlich, je nach Markt und Tütengröße variieren die Preise zwischen fünf und 50 Cent. Alternativ werden langlebige Permanenttragetaschen aus Recyclingmaterial angeboten, die umgetauscht werden können, wenn sie kaputt sind. Seither ist der Verbrauch an Tüten um 80 Prozent zurückgegangen, sagt eine Sprecherin.

Gesetzlich festgelegter Tütenpreis von 20 Cent?

Für Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe geht das noch immer noch schnell genug: „Jede recycelte Plastiktüte ist immer noch eine Plastiktüte und schadet der Umwelt, wenn sie nicht ordentlich entsorgt wird. Seine Organisation fordert deshalb auch für Deutschland einen gesetzlich festgelegten Tütenpreis von mindestens 20 Cent und entsprechende Sanktionen. „Das Geld darf auch nicht mehr an den Handel zur Refinanzierung neuer Plastiktüten zurückfließen, sondern Naturschutzverbänden zur Beseitigung der Schäden durch Plastikmüll oder für Sensibilisierungsprogramme für die Bürger.

Im Klausenerplatz-Kiez wird schon über die Ladentheke hinweg sensibilisiert. „Es läuft gut“, sagt Kadir Özen, auch wenn nach einer Woche noch keine Reichtümer in der Spendenbox zu finden seien. „Aber wir reden über die Aktion mit den Kunden im Laden und das bringt ja auch was“, meint er.