Anwalt der Bürgerrechtler – und jahrelang ein Stasi-Spitzel
Er war schon lange aus der Öffentlichkeit verschwunden und doch einer, der im Gedächtnis haften blieb: Wolfgang Schnur, ehemaliger Rechtsanwalt in der DDR, führendes Mitglied der Evangelischen Kirche und Anwalt vieler Bürgerrechtler, nach dem Fall der Mauer dann Mitgründer der Partei Demokratischer Aufbruch – und ein Stasi-Spitzel, mehr als 20 Jahre lang. Nun ist Schnur im Alter von 71 Jahren in Wien an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben.
Schnur hat viele Menschen in seinem Leben getäuscht. Zu DDR-Zeiten hatte der gebürtige Rostocker eine eigene Rechtsanwaltskanzlei, und er engagierte sich früh in der Evangelischen Kirche. Dort stieg er bis zum Vizepräsidenten der Synode auf. So wurde er zum Vertrauten von vielen Bürgerrechtlern und Wehrdienstverweigerern – wie Stephan Krawcyzk, Freya Klier, Bärbel Bohley oder Vera Lengsfeld (damals noch Wollenberger). Nach dem Fall der Mauer gründete er den Demokratischen Aufbruch mit. Er holte Angela Merkel als Pressesprecherin an seine Seite und galt für den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) als Hoffnungsträger. Schnur, damals 45 Jahre alt, hätte 1990 der erste frei gewählte Ministerpräsident der DDR werden können. Doch wenige Tage vor der Wahl am 18. März wurde bekannt, dass er von 1965 bis 1989 als inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hat – als IM „Torsten“ und als „Dr. Ralf Schirmer“.
Schnur trat zurück, er zeigte keine Reue. 1993 wurde ihm die Anwaltszulassung entzogen, 1996 wurde er wegen Verrats von Krawczyk und Klier an die Stasi zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Schnur, mehrfach verheiratet und Vater von elf Kindern, versuchte als Berater Geld zu verdienen, soll aber in den letzten Jahren von Sozialhilfe gelebt haben. Schnur wird am 28. Januar in Berlin beerdigt.