Passanten fanden einen Mann, der an der Ecke Kurfürstendamm und Joachimsthaler Straße gestorben war, möglicherweise ist er erfroren.
Es muss ein Tod unter den Augen vieler Passanten gewesen sein. Doch auch der Notarzt konnte dem Mann nicht mehr helfen, den Passanten am frühen Sonnabendmorgen gegen sieben Uhr am Kurfürstendamm Ecke Joachimsthaler Straße gerufen hatten, an einer der belebtesten Ecken der Stadt. Ob es die Kälte war, die den Mann umbrachte, ist noch unklar. Ein Verbrechen schließt die Polizei aus. Nur eines scheint klar: Der Tote war obdachlos. Er hatte sich mit seinen Habseligkeiten unter das Vordach eines Kiosks an der Ecke Joachimsthaler Straße zurückgezogen.
Wie kann es sein, dass mitten in der Stadt ein Mensch stirbt? Zumal einer, den offenbar viele Menschen gekannt haben? Holger H., pensionierter Kriminalpolizist, hatte sich erst vergangene Woche um den Mann mit dem auffälligen karierten Trolley bemüht. Er habe ihn vor dem Hotel Kempinski gesehen, wo er morgens auf einer Bank saß, erinnert sich H. Weil er ihn auch schon am Abend zuvor an derselben Stelle gesehen habe, rief er die Polizei. „Der Beamte bot dem Obdachlosen Hilfe an.“ Doch es passierte, was H. als Polizist selbst oft erlebt hat: Der Angesprochene wies das Angebot zurück.
Viele erinnern sich an den Mann
Auch andere erinnern sich an den Mann, der sein Gepäck immer bei sich hatte. „Er war gestern noch am Imbiss an der Hardenbergstraße“, sagt eine Frau, die selbst seit vielen Jahren unter einer Brücke am Bahnhof Zoo lebt. Seit dem Einbruch der Kälte sei das Überleben auf der Straße hart geworden. „Wir haben gute Schlafsäcke, die für Minustemperaturen ausgelegt sind, aber viele Obdachlose habe nur dünne Decken aus Spenden.“ Dazu kommt: Immer mehr Menschen leben unter Brücken, in Gebüschen und Parks rund um den Zoo. Allein an der Hertzallee gibt es ein „Lager“ von 20 bis 30 Personen.
Dass früher oder später ein Mensch in der Kälte Berlins sterben würde, haben viele Helfer befürchtet. Nicht nur wegen der eisigen Temperaturen, die in Berlin schon bei minus zwölf Grad lagen. Auch wenn die Versorgung von Wohnungslosen an sich als gut gilt. Zwischen 3000 und 6000 Menschen leben in Berlin auf der Straße, schätzen Experten, für sie stehen nur 730 Betten in den Notübernachtungseinrichtungen zur Verfügung. Das sind zwar 170 mehr als im vergangenen Jahr. Doch auch diese sind größtenteils jede Nacht belegt.
Kommentar: Wer hat Schuld am Kältetod?
Dieter Puhl leitet die Bahnhofsmission am Bahnhof Zoo, die täglich zwischen 600 und 700 mittellose Gäste betreut. Der größte Teil von ihnen lebt auf der Straße. Viele leiden an psychischen Erkrankungen, Sucht, Demenz, viele sind mehrfach betroffen. Auch Puhl kennt die ablehnende Haltung Obdachloser gegenüber Hilfsangeboten. Dahinter stecke oft schlicht eines – die verlorene Hoffnung, dass eine Rückkehr in ein geregeltes Leben je wieder gelingen kann. Um diesen Menschen wirklich zu helfen, müsse die Obdachlosenhilfe ausgeweitet werden, „statt sie zurückzufahren, wie es seit zehn Jahren geschieht“.
Dass die Lebensbedingungen für Menschen ohne Wohnung schwieriger werden, beklagen auch Organisationen wie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungslosenhilfe (BAG). Deutschlandweit lebten 335.000 Menschen ohne Wohnung, so die BAG im November, in Berlin sind es rund 15.000. Wegen des angespannten Wohnungsmarkts könnte deutschlandweit im Jahr 2018 mehr als eine halbe Million Menschen wohnungslos sein. Sie konkurrieren mit der wachsenden Zahl an Flüchtlingen um den wenigen bezahlbaren Wohnraum.
In Berlin sind auch immer mehr soziale Einrichtungen in Raumnot. So hat Anfang Januar der Vermieter eines Gästehauses für Obdachlose in Moabit dem Betreiber gekündigt – 33 Bewohnern droht nun die Rückkehr auf die Straße. 2013 wurde deren einzige Notunterkunft für Obdachlose in Prenzlauer Berg gekündigt. Zwar fand die Einrichtung neue Räume, doch im selben Gebäude sind mittlerweile auch Flüchtlinge untergebracht. Und in Steglitz kämpft eine Wohngemeinschaft für Demenzkranke nach wie vor mit einem Vermieter, der ihr den Vertrag gekündigt hat.