Seine Sendung „Schlager der Woche“ war bei West- und Ost-Berlinern angesagt. Heute lebt Lord Knud zurückgezogen in Dahlem.
Eigentlich wollte Lord Knud sich im „Crackers“ treffen. Das ist ein vegetarisches Restaurant in Mitte. Ziemlich hip. Aber auch weit weg von seinem Zuhause. Wir treffen uns lieber bei ihm. Wer von dem Mann, der ein Urgestein im alten Berlin war, weiß, weiß wohl auch, dass er seit 40 Jahren in einem Bungalow in Dahlem lebt. Die Berliner Morgenpost besuchte ihn dort zuletzt 1999.
Wer ihn nicht kennt: Lord Knud war DJ und Radiomoderator beim Sender Rias. Seine Sendung hieß „Schlager der Woche“. Eine Art Evangelium für West-Berliner. Aber auch für Ost-Berliner, die über Ätherwellen den Sender empfangen konnten. Jeden Sonnabendmorgen um neun erklang seine Stimme. Geliebt und gleichermaßen kritisiert war er für seine pointierten Sätze, die wie Pfeile zwischen den Liedern wirkten.
Politisches, Provokationen, Witzeleien
Politisches. Provokationen. Witzeleien über seinen öffentlich ausgelebten Haschisch-Konsum: „Der Tag ist 24 Stunden lang, aber unterschiedlich breit.“ Manchmal grüßte er hinter dem Mikrofon alle Dealer im Gefängnis. Wegen seiner Unangepasstheit musste er bei Aus- und Einreise zwischen West und Ost warten, durfte für ein paar Jahre die DDR nicht besuchen. Bekannt war Lord Knud auch als Bassist der deutschen Beatles, wie sie die Presse nannte. Die Lords waren berühmt, sie verkauften 2,6 Millionen Platten. Als gelernter Schuhverkäufer drehte sich nicht eine Frau nach ihm um. Später als kleiner Star schrien sie vor Euphorie.
Gerade auf Platz eins mit der Single „Poor Boy“, da war er 20, musste ihm nach einem Autounfall, am Steuer sein Bandkollege, sein rechtes Bein amputiert werden. Zwangsläufig alterte er um ein paar Jahre. Am Ende war nur der Polizist schuld, der ihm am Tag vorher seinen Führerschein abgenommen hatte, sagt er. Von seiner ersten Gage hatte er sich einen Mercedes gekauft. Er sah darin aus wie ein 17-Jähriger, hatte lange Haare und fuhr 20 km/h zu schnell auf dem Hohenzollerndamm. Genug, um den Führersschein abgeben zu müssen. Da lag er in der Klinik und das Radio spielte ihn, die Lords. Damals brauchte er zwei Jahre, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, ohne Bein zu leben. Später zitiert er Sätze wie: „In der größten Tragik ist immer auch ein Witz.“
Zu Hause geht er ohne Stock, sonst gehört er zum Look
Zwischen den tief hängenden, wenn auch fast blätterlosen Bäumen ist Lord Knuds Bungalow kaum zu erkennen. Man muss sich ducken, wenn man durch die Einfahrt ohne Zaun zur Haustür läuft. Humpelnd öffnet er sie. Zu Hause geht er meist nicht am Stock, sonst gehört der zu seinem Look. Heute trägt er weiße Turnschuhe, weiße Jeans, knallorangenes T-Shirt, Mütze und ein massives Armband in Gold. Ohne diese hippen Klamotten würde er aussehen, wie ein 71-Jähriger eben aussieht: alt.
An den Wänden im Wohnzimmer hängen gerahmte Zeitungsausschnitte, in denen er Thema ist. Seine Mutter hatte die jahrelang gesammelt. Berliner Morgenpost, „B.Z.“, „taz“. Alle Lokalzeitungen der Hauptstadt einmal durch. Neues kam schon länger nicht dazu. Nur als sein alter Freund Udo Jürgens 2014 starb, wollten Journalisten wieder mit ihm sprechen. Der Schlagersänger und Lord Knud lernten sich 1967 kennen, waren bis Ende der 80er-Jahre eng befreundet. Auf dem Schreibtisch liegt ein Foto in schwarz-weiß von den beiden Männern. „Nein, ich vermisse ihn nicht“, sagt er. Sein Erfolg habe aus dem schlaksigen Freak Jürgen einen eher konservativen Kohl-Fan gemacht. „Unsere Freundschaft hatte ein Zeitfenster – so ist das doch oft.“
Ein guter Gastgeber
Zwei Bilder sind ihm neulich von der Wand gefallen. Man sieht, dass sie da eine ganze Weile gehangen haben müssen. Das Zimmer ist staubig. Mittlerweile ist seine Einrichtung wieder angesagt: gerade Linien kombiniert mit indigenen und antiken Gegenständen. Stereometrische Kakteen, chinesische Vasen, Schallplatten in Regalwänden.
Lord Knud ist ein charmanter Herr. Er gibt Komplimente, küsst die Hand zur Begrüßung. Ein guter Gastgeber. Er hat sogar eine Fusselrolle zur Hand. Denn seine Katzen Bellissima und Tiger haaren. Da wundert es fast, dass es heißt, er sei wegen eines frauenfeindlichen Kommentars damals aus dem Sender Rias geflogen. In Wahrheit war es wohl deshalb, weil sie eine neue Stimme brauchten. Was auch immer, Lord Knud hatte immer eine Haltung, er bereue nichts, sagt er. Und irgendwann sagt er doch, dass er lieber fern vom Schaugeschäft, wie er die Öffentlichkeit nennt, geblieben wäre. Denn das sei böse. In Bescheidenheit hätte er gerne gelebt, so wie seine Eltern es getan haben. Ein einfaches, aber gutes Leben.
Die Fenster in seinem Wohnzimmer sind riesig. Man hat einen freien Blick auf den verwilderten Garten. Die gut situierten Nachbarn seien von dem Anblick genervt. Ihm gefällt das so. Lord Knud fällt auf in dieser schicken Gegend. Während der 90er-Jahre, sagt er, habe er lange kein Geld gehabt. Aber über Geld spricht man nicht. „Cappuccino? Cola?“ Er geht in die Küche. Seine Version von Cappuccino ist übrigens: Heißes Wasser durch einen Einmalfilter in die Tasse gießen und Sprühsahne obendrauf. Ein österreichischer Einspänner in simpler Variante.
Lord Knud geht tatsächlich noch auf Partys
Lord Knud macht schon länger nicht mehr viel in der Küche. Nur wenn er Gäste hat. Manchmal sitzen bei ihm dann Max Raabe, Thomas Quasthoff oder Margarita Broich im Garten. Meistens aber geht er raus zum Essen, sagt er. Gerne nach Charlottenburg, zum Savignyplatz. „Muscheln essen!“ Der Osten der Stadt ist ihm oft zu weit. Nur zum Ausgehen treibt es ihn dann manchmal noch dorthin. Ja, Lord Knud geht tatsächlich noch auf Partys. Dabei hängt er gerne mit deutlich jüngeren Menschen rum. „Da halte ich es wie Lagerfeld.“ Komischerweise wirkt es, wenn er das sagt, nicht befremdlich. Denn er scheint einfach interessiert an der Jugend. Er will wissen, wie sie tickt, sagt er. „Außerdem habe ich ja selbst keine Kinder, an denen ich meine Realstudien durchführen kann.“ Er lacht.
Wenn er von diesen jungen Menschen spricht, die er im „Berghain“ trifft, tut er das in der zweiten Person Plural. „Ihr seid konstruktiver, bewusster und zielorientierter als wir früher.“ Während andere genau das kritisieren, bewundert Lord Knud das also. Heute würden Models auch nicht mehr bis fünf Uhr morgens mitfeiern, weiß er. Zu „Dschungel“-Zeiten – der legendäre Club in der Nürnberger Straße – war das anders. Oder auch im „Studio 54“ in New York habe nie jemand mit Vernunft an Morgen gedacht. Lord Knud auch nicht. Wahrscheinlich hatte er auch deshalb nie einen Alltag. „Das Wort klingt aber auch abstoßend.“ Einzig alltäglich sind seine Joints und zwar seit den 70er-Jahren. In einer Stunde raucht er gleich zwei. Schmerztherapie. Sein Wort. Ihn nerven die Menschen, die ihn damit aufziehen. „Manchmal bleibe ich lieber zu Hause, bevor ich mich wieder dafür rechtfertigen muss. Der Stoff lindert eben den Schmerz.“ Mit ernster Miene sagt er das und bricht kurz darauf wieder in sein markiges Gelächter aus.
Gerade sucht er eine Putzfrau. Das hat er noch vor kurzem auf seiner Facebook-Seite geschrieben. Er ist ziemlich aktiv in diesem Netzwerk. Man könne da so viel machen, „aber ich verstehe das alles nicht richtig“. Trotzdem pflegt er seinen Account sehr bewusst. Regelmäßig löscht er Fotos und mistet seine digitale Freundesliste aus. Journalisten, Schauspieler, ein paar DJs. Von ihnen bekommt er neue Musik geschickt. Kein Gang mehr zum Plattenladen nötig. „Von den Neuheiten habe ich ohnehin keine Ahnung mehr“, sagt er. Hinter ihm Mischpult, Mikro und Kopfhörer aus anderen Zeiten.
Heute ist der kauzig wirkende Typ vor allem allein
Scrollt man durch Lord Knuds Facebook-Seite, begegnen einem Fotos halbnackter Frauen. Alles ästhetische Bilder von Modestrecken. Früher hüpften solche in echt bei ihm im Haus herum, heute ist der kauzig wirkende Typ vor allem alleine. Um Frauen zu beeindrucken, so erzählen sich Bekannte von damals, habe er sich manchmal eine Gabel in die Beinprothese gerammt. „Hab’ ich das?“ Was er bestätigt, ist zumindest das Mikro und den Transistor, die er sich ins Bein einbauen ließ. Er wollte Gespräche mitschneiden. Nicht um Menschen hinterher bloßzustellen. Er fand es nur interessant, wie anders Leute sprechen, wenn sie kein Mikro vor der Nase haben. Offener, authentischer.
Facebook scheint wie sein Fenster in die fortlaufende Wirklichkeit. Den ganzen Tag läuft es. „Wie bei den Amis.“ Durch Dokumentationen, die spät nachts laufen, habe er mehr gelernt als in der Schule. Die dort transportierte Realität macht ihn noch mehr zu einem Menschen fatalistischer Gedanken. Er sagt: „Die Welt ist komplett im Arsch.“ Eine Katastrophe überlagert die andere. Von früher erzählt er hingegen mit Enthusiasmus. Vielleicht halten ihn seine Erinnerungen so jung. Vielleicht auch deshalb, weil viele seiner Geschichten, die er erzählt, aus einem exzessiven, fast zerstörerisch klingenden Leben stammen. Während er seit Jahrzehnten irgendwie unverändert scheint, hat sich seine Generation Stück für Stück entfernt von diesem vergangenen Leben.
Auch zum Schluss des Treffens erinnert er sich wieder daran. An seine Begegnung mit Boris Becker. Dieser rothaarige, kleine Junge, gerade frisch gekürter Wimbledon-Sieger. Ganz allein stand der 17-Jährige damals auf der Empore im „Dschungel“. Ein Freund von Lord Knud habe ihm etwas Haschisch gegeben. Und dann? „Das weiß ich nicht mehr.“ Vermutlich könnte man ein ganzes Buch über Anekdoten mit seinem Leben füllen. Von einem verrückten Früher erzählen, das kann er ja. Ein Jetzt ist natürlich auch da, aber es ist nichts, das ihn so bestimmt, wie es das Vergangene bis heute tut.