Wolfang Ischinger

Ein Mann von Welt, der in Berlin ein Zuhause gefunden hat

| Lesedauer: 12 Minuten
Jochim Stoltenberg
Wolfgang Ischinger am  Gendarmenmarkt

Wolfgang Ischinger am Gendarmenmarkt

Foto: Amin Akhtar

Die Berliner Morgenpost trifft Menschen, die etwas bewegen. Heute: Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz.

Zwischen den Jahren hat er noch einmal ordentlich Kraft getankt. Beim Skilaufen in der Französischen Schweiz, wo Wolfgang Ischinger, wie er bescheiden formuliert, ein „Hüttchen“ hat. Er wird sie in den nächsten Wochen brauchen. Als Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz versammelt der einstige Spitzendiplomat vom 12. bis zum 14. Februar Staatspräsidenten, Regierungschefs und die wichtigsten Minister der Großmächte um sich. In der Hoffnung, die Krisen dieser Welt zumindest ein wenig zu entschärfen. Eine solch internationale Bühne als mittlerweile wichtigstes Forum für sicherheits- und außenpolitische Probleme will wohlvorbereitet sein, kostet manch schlaflose Nacht.

Wir haben uns noch ganz entspannt in Berlin getroffen. Hier wohnt er, seit er 2008 als einer der profiliertesten Diplomaten Deutschlands aus dem Auswärtigen Amt ausgeschieden ist, um die Leitung der Münchner Konferenz zu übernehmen. „Wenn man Außenpolitik betreiben will, wenn man sich in internationalen Beziehungen tummeln will, dann muss man das in Berlin tun. Hier in Berlin spielt die Musik. Selbst eingefleischte Bayern, die zu Recht das schöne München lieben, haben inzwischen respektvoll anerkannt, dass in Berlin doch etwas mehr los ist.“

Wasser, Wald und gute Luft

Und dass man auch in Berlin gut leben kann. „Ich wohne mit meiner Familie im Südwesten Berlins, am Griebnitzsee. Von dort bin ich in einer halben Stunde in der Innenstadt, morgens höre ich die Vögel zwitschern, sehe die Enten auf dem See, habe Wasser, Wald und gute Luft um mich. Meine ausländischen Freunde staunen immer, dass Berlin auch eine Wasserstadt ist.“ Hat der Herr Botschafter a. D. sich denn auch schon ein Boot angeschafft? „Noch nicht. Aber ein Motorbootführerschein steht auf meiner privaten Prioritätenliste.“

Wir haben uns mitten in der Stadt verabredet. Ich hole Wolfgang Ischinger in der Hertie School of Governance an der Friedrichstraße ab. Eine private Hochschule, an der er seit dem Herbst vergangenen Jahres Sicherheits-, Verteidigungs- und Außenpolitik lehrt. „Die öffentlichen deutschen Hochschulen haben mit diesem Themenbereich oft Probleme. Es gibt dort Gruppen, die diese Fragen aus pazifistischen, ideologischen und politischen Gründen boykottieren.“

Sein Kleidungsstil ist britisch

Nach dieser akademischen Kurzintervention machen wir uns auf den Weg. Über die Jägerstraße zum Gendarmenmarkt. Wolfgang Ischinger setzt auch als Privatmensch wie an diesem Nachmittag äußerlich auf Stil: Zur Steppjacke der edleren Art trägt er eine graue Flanellhose und braune Halbschuhe. Very british. London war von 2006 bis 2008 nach Washington seine letzte Station als Botschafter. Doch zu Wichtigerem, zur gegenwärtigen Weltlage. Wie krisenhaft ist sie?

„Ich glaube, die Lage in und um Europa war in den letzten zwei Jahrzehnten noch nie so gefährlich wie zur Zeit. Wir unterschätzen die Risiken der gegenwärtigen Krise. Erst kurz vor Weihnachten haben wir mit dem türkisch-russischen Luftzwischenfall erlebt, wie gefährlich die Lage ist. Wie soll der syrische Bürgerkrieg beendet werden? Eine Lösung ist jetzt noch schwieriger geworden durch den aktuellen Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Oder wie wird verhindert, dass aus Missverständnis jemand auf den falschen Knopf drückt? Das alles macht mich besorgt.“

Mit Russland im Gespräch bleiben

Und was ist mit Putins Russland? „Ich prophezeie, dass beim nächsten Nato-Gipfel Anfang Juli in Warschau eine heftige Debatte zwischen denen ausbrechen wird, die das Bündnis noch viel entschiedener gegen Russland positionieren wollen. Zu ihnen werden wohl die drei baltischen Staaten, Polen und nun auch die Türkei zählen. Auf der anderen Seite die, die wie Deutschland einen Weg suchen, um mit Russland im Gespräch zu bleiben. Ich plädiere für das klassische Modell der Doppelstrategie: einerseits Verteidigung und damit klare Kante zeigen, dass die Unverletzlichkeit des gesamten Nato-Raums gilt. Diese Prämisse ist zu kombinieren mit dem fortdauernden Angebot zu kooperieren.“ Der Westen also müsse die Tür offen halten, Putin erkennen, dass sein Land ohne die Zusammenarbeit mit Westeuropa keine gute Zukunft hat.

Wir machen Halt am Deutschen Dom, wo unser Fotograf Amin Akhtar die Kamera klicken lässt. Er bittet Wolfgang Ischinger, ein paar Stufen des Doms zu erklimmen. Kein Problem für ihn, dem man seine 69 Lebensjahre kaum ansieht. Beruflich hat er alle Höhen erreicht, die zu erreichen waren. Auch sportlich treibt es ihn in die Höhe. Im Winter zur Abfahrt im Tiefschnee, im Sommer mit Seil und Pickel den Berg hinauf. „Wenn’s schwieriger wird, auch mit einem Bergführer.“

Leichter schwäbischer Akzent

Unter vier Außenministern (Genscher, Kinkel, Fischer, Steinmeier) hat der studierte Jurist und in Nürtingen nahe Stuttgart aufgewachsene Ischinger, in dessen bestem Hochdeutsch bisweilen ein leichter schwäbischer Akzent anklingt, gedient. Sein Lehrmeister war Hans-Dietrich Genscher. In den 80er-Jahren stieg der angehende Diplomat zu einem der engsten Mitarbeiter des weltweit geschätzten Ministers auf, der so viel durch die Welt jettete, dass er sich selbst einmal mitten über dem Atlantik begegnet sein soll. Was war Genschers Erfolgsgeheimnis, das er sich beim Chef abgeguckt hat? „In der Außenpolitik ist nichts wichtiger als Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit. Es gibt nichts Schlimmeres, als jetzt das eine und ein Jahr später das andere zu sagen. Genscher genoss dank seiner Verlässlichkeit in West wie Ost größte Anerkennung. Er hatte ein unglaublich präzises Gedächtnis. Auch über Jahre war in seinen Erklärungen zu wichtigen Fragen kein Widerspruch zu entdecken. Das hat mich geprägt ...“

Und wie war das mit dem Neuling und Außenseiter Joschka Fischer von den Grünen, der 1998 die FDP-Domäne Auswärtiges Amt übernahm? Der habe sich schon als Oppositionspolitiker systematisch auf dieses Amt vorbereitet – viel angelesen, das Gespräch mit Experten gesucht und dabei viele kluge Fragen gestellt. Auch die, warum zur Durchsetzung des Friedens auch militärische Mittel nötig sein können. Eine für die Grünen damals ganz entscheidende Frage. Als politischer Direktor im AA war Ischinger Mitte der 90er-Jahre entscheidend beteiligt an den erfolgreichen Verhandlungen für das Dayton-Abkommen, das den ethnischen Krieg um Bosnien-Herzegowina befriedet hat. Dank einer Doppelstrategie aus Diplomatie und militärischem Druck.

Serbiens Völkermord im Kosovo

Ein Vorgehen, das Fischer als Minister 1999 in der Kosovokrise übernahm. Damals galt es, Serbiens Völkermord im Kosovo zu stoppen. Fischer stimmte, kaum im Amt, zu, dass erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten in einen Kampfeinsatz geschickt wurden. Deutsche Tornados bombardierten Belgrad mit dem Ziel, die serbische Regierung zum Einlenken zu zwingen. Gleichzeitig wurde ihr ein Friedensplan vorgelegt. Wieder eine erfolgreiche Doppelstrategie. Und wohl auch kein Zufall, dass Ischinger als Staatssekretär seine Hände im Spiel hatte. Zudem hatte Fischer den Nicht-Grünen Ischinger befördert und damit zu seinem wichtigsten Mitarbeiter gemacht. Das überraschte damals viele, kündete aber auch vom Vertrauen des einen wie von der Beamtenloyalität des anderen.

2001 schickte Fischer seinen Staatssekretär als Botschafter nach Washington, Deutschlands wichtigste Auslandsmission. Während des Zerwürfnisses zwischen George W. Bush und Bundeskanzler Gerhard Schröder wegen des Irakkriegs konnte Ischinger dank seines engen Netzwerks auch in Amerika helfen, das deutsch-amerikanische Verhältnis nicht völlig vereisen zu lassen.

Die neue Herausforderung

Da das Wetter an diesem Tag nicht gerade einladend ist, verlegen wir den Rest unseres Spaziergangs ins Café „Fassbender & Rausch“ an der Charlottenstraße. Bei Bratapfel im Schokoladenmantel und Espresso und Cappuccino sprechen wir endlich über das, was Wolfgang Ischinger und dessen Konferenz bald wieder weltweit in die Schlagzeilen bringen wird. Um die Leitung der Konferenz 2008 zu übernehmen, hat er sich als Beamter beurlauben lassen. Weil er unabhängig und nicht als weisungsgebundener Beamter die neue Herausforderung annehmen wollte. „Sonst hätte die Münchner Sicherheitskonferenz ihren unabhängigen Charakter verloren, und wir hätten sie gleich ins Berliner Auswärtige Amt verlegen können.“

Wieder war der Musterdiplomat, der ebenso zielstrebig und ehrgeizig ist wie bisweilen auch ein bisschen eitel, in seinem Element: Kontakte knüpfen, Krisen entschärfen, Friedenslösungen ausloten, auf internationaler Bühne moderieren. Wer wird diesmal kommen? „Wir haben mehr Wünsche, als wir auch nur halbwegs erfüllen können. Garantiert sind der amerikanische Außenminister John Kerry und sein russischer Kollege Sergej Lawrow dabei, auch wieder namhafte US-Senatoren, Staatsoberhäupter aus dem nahöstlichen Raum, stark vertreten natürlich nationale und europäische Experten. Die Zahl der wichtigen Delegationen wird wahrscheinlich alle bisherigen Rekorde sprengen. Mit einer gewissen Bitterkeit müssen wir feststellen, dass, je schlimmer die Krisen, desto größer das Interesse an der Konferenz. Mir wäre es lieber, wir könnten über erfolgreiche Krisenprävention reden. Im Augenblick haben wir zu viele Baustellen.“ Syrien, Ukraine, nach dem Konflikt zwischen Ankara und Moskau nun auch noch der zwischen Riad und Teheran.

Keine Lösungen in München

Auch wenn keine Lösungen in München erwartet werden, bleibt das Bemühen um zumindest besseres gegenseitiges Verstehen, um Vertrauensbildung mehr als Selbstzweck. Bei allem Andrang soll die Konferenz nicht zur großen Schaubühne verkommen. „Wir haben die wunderbare Ausrede, dass der Ballsaal im ‚Bayerischen Hof‘ eben nur so groß ist, wie er ist, die Teilnehmerzahl damit begrenzt. Wir wollen auch kein zweites Davos schaffen, nicht über alle Fragen der Welt reden. Sicherheitspolitik in all ihren Facetten ist unser Kern, nicht allgemeine Talkrunden. Mit Befriedigung erfüllt mich, dass die US-Regierung entschieden hat, nach München statt nach Davos zu gehen. Mir kommt dabei mein über Jahrzehnte aufgebautes persönliches Netzwerk zugute. Es hilft, die richtigen Leute anzusprechen, auch um Rat zu fragen, wer muss was mit wem bereden, damit wir weiterkommen hin zu einer friedlicheren Welt.“

Der erprobte Krisenmanager auf dem Balkan und jüngst auch in der Ukraine hätte ein solches Ziel vor Jahren in München fast erreicht. „Da hatten sich Amerikaner, Russen und Chinesen, also alle relevanten Player, fast schon auf einen Text für eine Resolution im Uno- Sicherheitsrat verständigt, um den Krieg in Syrien zu beenden. Gescheitert ist die Friedensinitiative in letzter Sekunde an Formulierungsfragen. Das zeigt, wie kompliziert solche Verhandlungen sind. Inzwischen sind weitere 200.000 Menschen umgekommen.“

Noch immer als Krisenbändiger gebraucht

Bei alledem ist Wolfgang Ischinger ein fröhlicher Mensch geblieben, Ausweis dafür, dass der Ruf, Diplomaten seien im Umgang stocksteif und unnahbar, auch mal ein falscher ist. „Ich lache so gern. Diplomaten können auch fröhliche Menschen sein. Ich bin glücklich, ein Naturell zu haben, dass ich alles, was ich gemacht habe, gern getan habe.“ Und noch immer, nun bald 70, ist sein Rat gefragt, wird er zwischen Skilauf und Bergsteigen, Sicherheitskonferenz und Hertie-School-Professur als Krisenbändiger in die eine oder andere Problemregion gebeten. „Mir macht das Leben Freude“, sagt Wolfgang Ischinger beim Abschied. Ich glaub’s ihm aufs Wort.