Wieder nutzt der Senat die Berliner Stadtreinigung (BSR), um drohende Haushaltslöcher zu schließen. Der neue Unternehmensvertrag mit der Anstalt öffentlichen Rechts, der bis 2030 gelten soll, sieht eine vorzeitige Gewinnabführung der BSR ans Land vor. 225 Millionen Euro soll das Unternehmen an den Finanzsenator überweisen. 2016 und 2017 fließen kleinere Beträge, der große Griff in die Kasse der Müllmänner folgt ein Jahr später. Damit wiederholt der Senat eine Praxis von 2000.
Die BSR möchte zu diesem Paragrafen im neuen Unternehmensvertrag lieber nichts sagen. Sprecherin Sabine Thümler verweist auf den Finanzsenator.
Senator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) braucht das Geld, um ein drohendes Haushaltsloch 2019 zu stopfen. Denn in diesem Jahr rutscht das ansonsten durchaus solide finanzierte Berlin in einen Engpass, weil auf einen Schlag die letzte Rate des Solidarpaktes Ost als Einnahme wegfällt. Der Griff in die Kasse der Landesbetriebe soll sicherstellen, dass die Hauptstadt nicht ins Minus gerät, keine neuen Kredite aufnehmen muss und so die Schuldenbremse des Grundgesetzes einhalten kann.
Extrazahlung wurde bisher nicht veröffentlicht
Die Zahlung der BSR ans Land wird mit den erwarteten Gewinnen von 15 Millionen Euro pro Jahr verrechnet, die das Unternehmen sonst in den kommenden 15 Jahren jeweils ans Land abführen müsste. Als der Senat den Vertrag Mitte Oktober beschlossen und darüber in einer Pressemitteilung informiert hat, wurde die Zahlung der BSR mit keinem Wort thematisiert.
Die Gebühren des Monopolisten für Hausmüllabfuhr und Straßenreinigung sind eigentlich so kalkuliert, dass sie nur die Kosten decken dürfen. Ein angesichts eines Jahresumsatzes von 500 Millionen Euro relativ kleiner Überschuss sei aber in der Kalkulation der von den Berlinern zu zahlenden Gebühren enthalten, sagte Eva Henkel, Sprecherin des Finanzsenators und BSR-Aufsichtsratschefs Kollatz-Ahnen. Er beträgt eben jene 15 Millionen Euro.
Im Unternehmensvertrag ist festgeschrieben, dass die Gebühren bis 2020 nur um maximal 1,9 Prozent steigen dürfen. „Die Ausschüttung zwingt die BSR, weiterhin effizient zu arbeiten“, sagte Henkel. Denn wenn die Gewinne aus irgendwelchen Gründen niedriger ausfallen, trägt das Unternehmen das Risiko. Das Land hat seinen Anteil ja bereits kassiert.
Klage gegen den vermeintlichen Schattenhaushalt
Für langjährige Beobachter bedeutet der Vorgriff in die Kasse der BSR ein Déjà-vu. Schon im Jahr 2000, kurz vor Inkrafttreten des nun zum Jahresende auslaufenden Unternehmensvertrages, hatte sich das Land bedient. Der damalige Finanzsenator Peter Kurth (CDU) brauchte Geld, um nicht mehr Schulden aufzunehmen, als in diesem Jahr investiert werden sollte. In einem solchen Fall wäre der Haushalt verfassungswidrig gewesen.
Dagegen wirkten 805 Millionen Mark (411 Mio. Euro) der BSR. 350 Millionen Mark nahm der Senat seinerzeit aus dem Stammkapital der Anstalt. 455 Millionen Mark, also fast die gleiche Summe, wie nun in Rede steht, zahlte die BSR als vorweggenommene Gewinnausschüttung. Die Fraktion der Grünen klagte gegen den vermeintlichen Schattenhaushalt vor dem Landesverfassungsgericht, auch weil das Landesparlament diese Zahlung nicht bewilligt hatte.
Die Richter lehnten die Klage jedoch 2003 ab. Das Recht des Haushaltsgesetzgebers sei nicht verletzt worden. Zudem habe die Aktion die ansonsten beabsichtigte Privatisierung der BSR vermieden.
Auch wenn heute niemand ernsthaft den Verkauf der BSR fordert und die Haushaltslage heute ungleich besser ist als vor 15 Jahren, stößt der Senatsplan der Opposition sauer auf. „Das ist ein Rückfall in längst vergangene Zeiten“, schimpft der haushaltspolitische Sprecher der Grünen, Jochen Esser, der schon bei der Klage Anfang des Jahrtausends dabei war. Der Unterschied sei nur, dass seinerzeit die BSR sofort das Geld überweisen musste, während sie heute erst 2018 zahlen soll. „Die dürfen das Geld erst mal behalten, weil der Senat es nicht jetzt braucht, sondern erst 2019“, sagte Esser.
Finanzsenator sieht kein Risiko für die Stadtreinigungsbetriebe
Der Finanzsenator argumentiert, es sei kein Risiko, der ohnehin vom Land abgesicherten Anstalt des öffentlichen Rechts Kapital zu entziehen. Der Vertrag sichert der BSR auch die Grundlage für ihr Geschäft zu: Für 15 Jahre verpflichtet sich das Land, die Bürger bei Straßenreinigung und Hausmüllabfuhr zu verpflichten, die Dienste der BSR in Anspruch zu nehmen und Konkurrenz in diesen Bereichen auszuschließen. Zudem wird die BSR, wenn die Bezirke mitmachen, künftig stärker herangezogen, um Parks zu reinigen.
Kritiker wie Esser halten den Griff in die BSR-Kasse gleichwohl für gewagt. Denn niemand könne sagen, ob das Monopol der BSR tatsächlich dauerhaft hält. Denn sowohl auf der Bundesebene als auch in der Europäischen Union gebe es immer wieder Bestrebungen, auch privaten Entsorgungsbetrieben den Zugang zu zumindest Teilen dieses Geschäfts zu eröffnen.
Außerdem, so bemängelt der Grünen-Politiker, hat der Senat mit dem Vorgriff in die Kassen mögliche Potenziale zur Gebührensenkung ausgeschlossen. Im Vertrag wird festgelegt, dass das betriebsnotwendige Kapital der BSR für die gesamte Laufzeit mit 5,1 Prozent verzinst werden soll. Diese Kalkulation schlägt voll auf die Gebühren durch. Angesichts des derzeitigen Zinsniveaus, das deutlich niedriger liegt, scheint das durchaus großzügig. Im Hause des Finanzsenators wird diese Regel mit dem Wunsch nach „Tarifkontinuität“ erklärt.
Die BSR ist nicht das einzige Unternehmen, das dem Land in den nächsten Jahren mit Sonderzahlungen finanziell aushelfen soll. Die Berliner Wasserbetriebe müssen 2016 14,4 und 2017 17,4 Millionen Euro zusätzlich ans Land abgeben.