Konjunkturbericht

Berlins Wirtschaft hat laut IHK ungetrübte Aussichten

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Jürgen Stüber

Die Wirtschaft der Hauptstadt ist vor größeren Verwerfungen und Krisen weitgehend verschont geblieben.

Berlin.  Das Konjunkturklima in der Berliner Wirtschaft ist ungetrübt positiv. Das geht aus dem am Montag vorgelegten Konjunkturbericht der Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie der Handwerkskammer Berlin hervor. Insbesondere bei den privaten Dienstleistungen steigt die Beschäftigung. Die Kaufkraft nimmt zu. Die Steuereinnahmen wachsen. Mit diesen drei Trends beschrieb Christian Wiesenhütter, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin, die aktuelle Lage der Hauptstadt-Konjunktur. „Es gab auch keine größeren ökonomischen Verwerfungen.“ Die Daten seien allerdings vor dem Beginn der VW-Krise erhoben worden. Auf die Berliner Wirtschaft wirken sich der stabile Euro, der niedrige Ölpreis und die niedrigen Zinsen positiv aus.

Der Dienstleistungssektor erzeugt nach Wiesenhütters Worten die Wachstumsenergie für die ganze Wirtschaft. „Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass dieser Bereich wenig wertschöpfend ist.“ Im Dienstleistungsbiotop finden Einzelhändler Märkte – zunehmend auch mit Hilfe des Netzes.

Ferner bricht die Zahl der Touristen Rekorde. In Berliner wurden im ersten Halbjahr 2015 insgesamt 5,8 Millionen Gäste begrüßt, von denen 2,2 Millionen aus dem Ausland kamen. Das waren insgesamt 4,9 Prozent beziehungsweise 9,0 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, wie das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg errechnet hat. Auch das Gastgewerbe erzielte im ersten Halbjahr 2015 nach vorläufigen Berechnungen fünf Prozent höhere Umsätze als noch ein Jahr zuvor.

Wirtschaft erwartet höhere Beschäftigung

„Die Konjunkturstimmung ist ungetrübt wie vor sechs Monaten“, sagte Wiesenhütter. Der von der IHK ermittelte Index, der sich aus dem Verhältnis von Geschäftslage und Geschäftserwartungen ergibt, liegt wie schon vor einem halben Jahr bei 136 Punkten. Bei einem Wert von 100 wären beide Salden gleich.

„Wir glauben, dass sich die wachsende Binnennachfrage weiter stabilisiert.“ Als Indiz dafür sieht Wiesenhütter den Arbeitsmarkt. Die Beschäftigtenzahlen steigen in Berlin seit drei Jahren. Der Zuwachs ist dem Konjunkturbericht zufolge seit Februar 2012 höher als in allen anderen Bundesländern: So waren der offiziellen Statistik zufolge im zweiten Quartal 2015 insgesamt 1.829.300 Personen in Berlin erwerbstätig. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2014 stieg die Erwerbstätigkeit um 24.300 Menschen an. Im ersten Quartal dieses Jahres war der Anstieg mit 28.100 Personen gegenüber dem Vorjahresquartal noch stärker ausgefallen. Dieser Trend kurbelt die Kaufkraft in Berlin an: Sie stieg nach Wiesenhütters Worten um 700 Millionen Euro.

Unternehmen wollten zuletzt 2009 Personal abbauen, lautet ein weiterer Trend des Berichts. Bewirkt hat das vor allem die Konjunktur der beschäftigungsintensiven Dienstleistungsbranchen. Insgesamt haben die Beschäftigungspläne gegenüber dem Frühjahr um acht Punkte zugelegt. Beim Handwerk wurde ein Plus von elf Zählern errechnet, im Handel ein Plus von 14.

Erwartungen der Unternehmen leicht gesunken

Die Geschäfte der Berliner Wirtschaft laufen im Herbst 2015 besser als im Frühjahr. Allerdings sind die Erwartungen der Unternehmen nicht mehr ganz so hoch wie bei der vorigen Befragung. „Der Saldo gewinnt bei der Bewertung der Geschäftslage gegenüber dem Frühjahr sechs Punkte dazu und liegt bei nunmehr 46 Zählern“, sagte Jürgen Wittke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer. Bei den Erwartungen, die sich aus positiven und negativen Prognosen ergeben, gab es jedoch einen Einbruch um fünf auf 27 Zähler.

Motoren dieser Entwicklung sind nach Wittkes Worten die Bau- und die Dienstleistungsbranchen, das Gastgewerbe und das Handwerk. Das Berliner Handwerk erlebe zur Zeit fast ein Allzeithoch, sagte Wittke. Man müsse zurück bis zum Jahr 1992 schauen, um einen besseren Wert zu finden. „88 Prozent der Betriebe sind zufrieden oder sehr zufrieden mit ihren Ergebnissen“, sagt Wittke. „Ihre Kapazitäten sind zu 86,5 Prozent ausgereizt.“

Gute Investitionslaune

Hauptmotor dieser Entwicklung sei der gewerbliche Bereich, der anderen Betrieben zuliefert. Auch das Ausbaugewerbe stehe positiv da. Nur im Bauhauptgewerbe seien die Erwartung gedämpfter. „Aber auch hier sind die Ergebnisse auf hohem Niveau.“ Positiv entwickelt sich nach Kammerangaben das Nahrungsmittel-Handwerk. Auch die Kfz-Branche habe ihr Problemkind-Image verloren.

Die Investitionslaune in der Berliner Wirtschaft ist im Herbst 2015 gut, wenn auch etwas zurückhaltender als noch im Frühjahr oder im Herbst des Vorjahres. Der Saldo der Investitionsplanungen zählt 29 Punkte, vier Zähler weniger als noch im Frühjahr. Auf diesem noch hohen Niveau zeigt der Indikator im Handwerk und im Handel gestiegene Investitionsneigungen an. Im Dienstleistungs- und Gastgewerbe ist die Investitionsfreude etwas zurückgegangen.

IHK erwartet positive Impulse durch Flüchtlinge

Die Berliner Industrie blickt zwar zuversichtlich in die Zukunft, will aber weniger Jobs schaffen als bei der Frühjahrsumfrage. Es gibt Berichte über zurückgegangene Kapazitätsauslastungen. Allerdings bessere sich die Auftragslage deutlich, heißt es in dem Konjunkturbericht. Fast 40 Prozent der Unternehmen verzeichnen steigende Auftragseingänge.

Fraglich ist, wie sich die Flüchtlingskrise auf die Entwicklung der Berliner Konjunktur auswirken wird. Als die Studie erhoben wurde, war dieses Thema noch nicht so präsent wie heute. Christian Wiesenhütter rechnet damit, dass die ersten Asylbewerber im Februar oder März dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden. „Dafür müssen wir dann gerüstet sein.“

Asylbewerber sollen Deutsch lernen

Das Allerwichtigste sei, dass sie schnell die deutsche Sprache lernen. Ferner empfiehlt er Praktikumsbörsen, wo die Neuberliner ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen und den hiesigen Arbeitsmarkt kennenlernen könnten. „Arbeitskräfte aus Syrien könnten in Berlin zehn Prozent unseres Fachkräftemangels ausgleichen“, wagte Wiesenhütter eine Prognose. Ferner erwartet er vorsichtig geschätzt 3000 Syrer mit einem Hochschul- oder Berufsabschluss.

Jürgen Wittke mahnt, das Thema Flüchtlinge gelassen anzugehen: „Wir haben auch in der Vergangenheit jährlich 35.000 bis 40.000 Neuberliner aufgenommen.“ Doch aus der jüngsten Vergangenheit müsse man eine Lehre ziehen. „Wir müssen bei der Prüfung der Asylverfahren an Tempo zulegen, damit die Leute nicht zum Nichtstun verdammt werden und man später erst wieder ihre Motivation aufbauen muss. Das Erlernen der deutschen Sprache ist dabei ein ganz wesentlicher Schlüssel.“

Nach seiner Erfahrung handelt es sich vor allem bei Menschen aus Syrien um motivierte Leute mit überdurchschnittlichen Vorkenntnissen. „Wir müssen Asylbewerber als große Chance begreifen. Vor fünf Jahren haben wir die demografische Entwicklung nur mit negativem Vorzeichen diskutiert.“