Alle drei Minuten dem Ruhm ein Stück näher: Kulturastaatssekretär Tim Renner erklärt, warum Berlin internationale Musikmacher anzieht.
Nach drei Minuten erklingt wieder das schrille Signal. An den langen Reihen im Club „Haus Ungarn“ am Alexanderplatz rutschen Hunderte junger Menschen hastig einen Stuhl weiter zum angrenzenden Tisch, wo schon der nächste Gesprächspartner wartet. „Reden wir über die Karriere“, ist der verbindende Gedanke dieses Abends, bei dem selbstbewusste Sängerinnen, unentdeckte Stars und wild entschlossene Selbstdarsteller auf Initiative der Universität der Künste (UdK) bis in die Nacht jenen begegnen, die ihnen mit dem richtigen YouTube-Clip, der maßgeschneiderten Webseite oder einer polierten Studioaufnahme den ersehnten Durchbruch verschaffen sollen.
Julie zum Beispiel braucht eine Menge Geld. Genug, um nach Südkorea zu fliegen. Die Einladung zum Festival „Jazz’n Seoul“ hat sie bereits. Julie und ihr Mitmusiker könnten dort gratis übernachten. Nur irgendwie hinkommen müssen sie. „Ich will hier Leute suchen, die Fördergelder vergeben, oder darüber Bescheid wissen“ sagt die 32-Jährige. Ihr schwarzer Rollkragenpullover unter braunem, klassisch geschnittenem Jackett zeigt, dass sie sich musikalisch im Jazz verortet.
Berlin soll die Stadt werden, in der sich ihre Träume von internationalen Tourneen und der Musik als Hauptberuf erfüllen. Die Dänin aus einem Örtchen südlich von Kopenhagen wollte immer schon Jazzsängerin werden. „Dafür bin ich nach Paris gegangen und habe zehn Jahre dort gelebt. Aber es hat einfach nie geklappt.“
Die Neuberlinerin sucht nach den richtigen Kontakten
Also versuchte sie es in Berlin. Im September 2012 zog sie um. Für den Lebensunterhalt übernahm sie Jobs in PR und Kommunikation. Nebenher sammelte die Neuberlinerin aus Friedrichshain Kontakte. Im Mai 2015 dann ein erster Erfolg. Der passende Mitmusiker war gefunden, Julie gründete das Duo „Blue Thyme“. Live kommt die Musik aus dem Computer, dazu singt Julie ihre Texte. Manchmal spielt sie auch Querflöte. „Jazz und Hip-Hop“ sei das. „Die Texte handeln von Berlin. Von meinem Leben hier.“ Kurz vor Beginn dieses Abends hat sie einen neuen Job bei einem Versandunternehmen angenommen.

Die Sirene schrillt und neben Julie rücken die Besucher einen Stuhl weiter. „Berlin Music Meetup - Speed Networking für selbstvermarktende Musikerinnen und Musiker“ nennen die Veranstalter ihre Nacht. Üblicherweise findet allmonatlich ein „Berliner Musiker Treff“ statt. Heute wird in größeren Rahmen das dreijährige Bestehen der Reihe begangen. Das Projekt „DigiMediaL_musik“ der UdK vernetzt seit 2009 die Musikszene. Etwa, indem man mehr als 500 Musikern, Managern und Produzenten eine berufsbegleitende Weiterbildung bot. Das fördert die Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds.
Man braucht kein Label mehr, das die Rechnung übernimmt
Nach der Begrüßung durch UdK-Präsident Martin Rennert kommt Kultur-Staatssekretär Tim Renner (SPD), und macht den Gästen im Haus Ungarn erstmal etwas Mut. Früher war er Chef bei Medienriese Universal Music. Dann Radio-Gründer. Er gilt als Entdecker der Band „Rammstein“. „Als ich in Ihrem Alter war“, sagt der 50-Jährige, „kostete eine Plattenproduktion 40.000 Mark.“ Inzwischen brauche man kein Label mehr, das die Rechnung übernimmt. Heute könne Musik am Rechner produziert und zum Verkauf im Internet vorbereitet werden. „Aber wieso kommen all die Leute nach Berlin?“, fragt Renner. „Der Grund: Sie suchen Menschen, mit denen sie sich für ein Projekt vernetzen können. Sie wissen: Einen Teil können sie richtig gut leisten. Aber es gibt jemanden, der einen anderen Part viel besser kann.“
In der Schweiz kosten die Mitarbeiter viel mehr
Den Part, selbst aufgenommene Songs auf die Verkaufsseiten von Anbietern wie iTunes oder Amazon zu bringen, bietet an diesem Abend Französin Sarah Schwaab. Das einstige Start-up-Unternehmen iMusician aus der Schweiz hat 20.000 Nutzer. Jüngst wurde in Berlin ein Büro mit fünf Mitarbeitern eröffnet. Sarah Schwaab sagt: „Wir sind auch wegen des Kostenfaktors gekommen: In der Schweiz kosten Mitarbeiter viel mehr als hier.“ Und: „Die Lust der Leute, ein Projekt zu starten, ist groß in Berlin. Diese Veranstaltung ist das beste Beispiel.“

Der Geräuschpegel im Saal steigt, die Menschen haben sich in Stimmung geredet. Klar sind Künstler und Dienstleister zu unterscheiden. Leute wie Sarah Schwaab, Veranstalter Bernd Brecht oder Thomas Anker, der sich um Vermarktung kümmert, sind unauffällig gekleidet. Die Musiker dagegen legen auf Unauffälligkeit wenig Wert. Die Gitarristen Rightly aus Manchester und Jeal aus Lüttich tragen ihr Instrument weithin gut sichtbar auf dem Rücken. Eine große junge Frau hat auf ihr Namenskärtchen am Pullover „Singer/Songwriter“ geschrieben und trägt große, perlenverzierte Ohrhänger, auf denen problemlos je ein Papagei Platz fände. Im Haar trägt sie nach Flamenco-Art eine Rose.
Am Ende des Abends hat Jazzerin Julie zwar noch nicht ihre Flugtickets beisammen. „Aber ich habe jemanden kennen gelernt, der weiß, wo ich Fördergeld bekommen kann.“ Ihrem Traum vom Erfolg ist sie vielleicht ein bisschen näher gekommen.
Nächster Berliner Musiker Treff: 9. 11., 20 Uhr, Zosch, Tucholskystraße 30, Mitte, www.digimedial.de/musikertreff