Die Idee war schon gewagt: einen Spielplatz auf einem Friedhof zu errichten. Lärmende Kinder neben ewig Ruhenden? Doch es hat gut in den ersten Jahren funktioniert, dieses Zusammenspiel der scheinbaren Gegensätze auf dem Friedhofspark in Prenzlauer Berg. Nun aber haben sich über Jahre angestaute Befindlichkeiten zu einer Welle des Unmuts aufgetürmt, die den Park zwischen Pappelallee und Lychener Straße überrollt. Zu viele Menschen, zu wenig Respekt, sagen die einen. Zu viel Schikane, sagen die anderen. Und so richtig Schuld hat eigentlich niemand.
Zumindest an diesem Tag liegt die Grünanlage ruhig da, ein Vater spielt mit seiner kleinen Tochter auf dem Spielplatz. Vereinzelt schieben Mütter ihre schlafenden Babys über die Wege. „Gerade die Mischnutzung finde ich hier so schön“, schwärmt Denise Bliesener. Oft kommt die Frau aus Prenzlauer Berg mit ihrer halbjährigen Tochter hierher. „Aber alles in einem gewissen Maß. Wenn hier Riesenpicknicks stattfinden, ist das unangemessen.“
Was ist angemessen, was nicht?
Was angemessen ist und was nicht, darum geht es hier seit Jahren. Baut man einen Spielplatz auf einem Friedhof, vertraut man in das Anstandsgefühl der Menschen? Wie unterschiedlich dies ausgeprägt ist, offenbart sich erst später. „Das ist ein kulturhistorisches Denkmal“, donnert Anke Reuther und haut mit der Faust auf den Tisch. Beim Thema Friedhofspark gehen die Emotionen mit der sonst sehr freundlichen Vorsitzenden der Freireligiösen Gemeinde, der die Anlage gehört, durch.
Verständlich, hängt an dem Stück Grün für ihre Gemeinde doch sehr viel mehr als ein paar spielende Kinder. Dafür genügt ein Blick in die Geschichte. Seit 1847 gehört das Grundstück der Gemeinde, die sich zwei Jahre zuvor gründete. Sowohl während des NS- als auch während des DDR-Regimes verboten, bekam sie den Park erst 1998 wieder zurück. Dazwischen ist viel passiert. Berliner kennen den Ort als „Dissidentenfriedhof“, hier fanden freidenkende Sozialdemokraten, Nichtgläubige, Frauenrechtlerinnen wie Agnes Wabnitz oder Heinrich Roller, Begründer eines Stenografiesystems und selbst Freireligiöser, eine letzte Ruhestätte.
Zu Ostzeiten bis 1970 als städtischer Friedhof genutzt, gestaltete das Bezirksamt den Ort nach dem Fall der Mauer und nach Ablauf der 20-jährigen Ruhezeit mit dem Einverständnis der Gemeinde zur öffentlich zugänglichen Denkmalanlage um, an der Mauer zur Lychener Straße wurde ein Spielplatz errichtet. Kinder waren damals rar im Viertel. „Wir sind dem Diesseits ja zugewandt, zum Leben gehören Kinder“, versichert Anke Reuther. „Doch den demografischen Wandel konnte damals niemand absehen.“
Verbot von Kinderfesten, Grillen und Klettern auf Grabsteinen
Nun hat er sie eingeholt. Die Nachmittage seien bei schönem Wetter geprägt von Massen spielender Kinder, die die Grabsteine mit Schippen und Kreide bearbeiten würden. Auch Kindergeburtstage würden hier ausgerichtet, bestätigt eine Anwohnerin, die öfter herkommt. „Es wurde mit den Jahren einfach immer voller“, sagt sie. Die Gemeinde hat zwar ein Schild am Eingang angebracht, das auf das Verbot von Kinderfesten, Grillen, Klettern auf Grabsteinen hinweist. Umsonst, meint auch die Anwohnerin. „An Wochenenden wurde hier gegrillt mit Boxen voller Fressalien, das geht zu weit.“
Auch der Bezirk findet scharfe Worte. „Die derzeitige Nutzungssituation ist zumindest teilweise völlig inakzeptabel“, so der Pankower Stadtrat für Stadtentwicklung Jens-Holger Kirchner (Grüne). „Es scheint ein großes Missverständnis in dieser Stadt zu sein, überall, wo es ein bisschen lockerer zugeht, gleich wild Party zu machen.“ Nun ist auf Wunsch der Gemeinde ein Abbau des Spielplatzes im Gespräch, womit eine weitere Konfliktpartei auf den Plan tritt: Die umliegenden Kitas, die den Park nutzen.
Als Kitas hier noch dringend benötigt wurden, zeigte sich der Bezirk dankbar über jede Elterninitiative. So auch 2004, als ein deutsch-französischer Kinderladen an der Lychener Straße eröffnete. Für die Betriebserlaubnis müssen Kitas eine Grünfläche vorweisen können. Für die ersten, die kamen, gab Gemeindevorsitzende Anke Reuther noch bereitwillig die Genehmigung, den Spielplatz auf dem Friedhofspark dafür anzugeben.
Schlüsselvermehrung und Kette am Tor
Die Elterninitiative und andere Kitas erhielten einen Schlüssel für den wegen Vandalismusvorfällen ansonsten geschlossenen Zugang von der Lychener Straße. „Doch es öffneten immer mehr Kitas und plötzlich fand eine wundersame Schlüsselvermehrung statt“, so Reuther wütend. Alle Einrichtungen habe man zur Rede gestellt, keiner will es gewesen sein.
„Warum sollten wir denn Schlüssel nachmachen“, fragt Elternsprecher Christophe Bourdoiseau entnervt. Ein „Kleinkrieg“ herrsche seit Jahren, und die Leidtragenden seien Kinder, Eltern und Erzieher. „Sie schikanieren uns, jeden Morgen lassen sich die Erzieher überraschen, ob sie wieder eine Kette am Tor vorfinden und außen herum zum Eingang Pappelallee müssen.“
Ja, zeitweise habe man eine Kette am Tor angebracht, bestätigt Anke Reuther, denn die Schlüsselsituation sei „unbeherrschbar“. Selbst am Wochenende und nachts finde sie das Tor manchmal offen, und zu viele Kitas nutzten mittlerweile den Park. „Ist das unsere Schuld?“, echauffiert sich der Elternsprecher. „Die Eltern haben so eine Wut auf die Gemeinde, sie sollen mit uns reden!“ Das Gespräch habe man gesucht, kocht die Gemeindevorsitzende, doch die Fluktuation in den Kitas sei zu hoch.
Die Gemeinde denkt über einen Teilverkauf nach
Kurz – die Fronten sind verhärtet, die Gemeinde will den Spielplatz abbauen lassen. Dazu würde der Bezirk 460.000 Euro bereitstellen. Doch auch hier gibt es Uneinigkeit. „Der Ort müsste dazu zur öffentlichen Grünanlage umgewidmet werden“, so Stadtrat Kirchner. „Das ist mental nicht einfach für die Gemeinde, es darf ja keine Enteignung sein.“ Für Anke Reuther undenkbar, „das wäre unser Todesurteil“.
Eine Repräsentanz im Park wünscht sich die Gemeinde, doch den Bau einer solchen deckt die Summe vom Bezirk nicht ab. Deshalb gebe es nun Überlegungen, Randbereiche des Geländes entweder zu veräußern oder dort ein Mietshaus mit integriertem Gemeindebüro und Ausstellungsraum errichten zu lassen, um ständige Einnahmen für den maroden Gemeindehaushalt zu akquirieren. „Die Verkaufspläne kamen für uns sehr überraschend“, so Kirchner. Es wird kein einfacher Prozess, das weiß er. „Alle Seiten zufriedenzustellen“, so der Stadtrat, „das ist in Berlin völlig unmöglich.“