Potsdam wird seinem preußischen Erbe gerecht, zumindest, was die Ordnungsliebe betrifft. Die Stadt und zwei Hauseigentümer treffen sich wohl bald beim Amtsgericht, und das wegen ein paar frecher Grasbüschel, die unerlaubt zwischen den historischen Pflastersteinen des Neuen Marktes hervorlugten. Eben jene stachen Ende Juni einem aufmerksamen Inspekteur des Ordnungsamtes in die Augen. Der Beamte schoss zwei Beweisfotos, auf denen das Spontanbiotop auf Gehweg und Hauswand des Bürgerhauses Am Neuen Markt 2 gut zu erkennen ist. So gingen am 29. Juni zwei gleichlautende schriftliche Verwarnungen bei Claudia Frank und Wolfgang Probandt, den Eigentümern des Hauses, ein.
„Ob da ein Blatt liegt oder drei Gräser wachsen, da wollen die gleich ein Verwarnungsgeld!“, kritisiert Claudia Frank, man könnte die Leute vorher doch darauf hinweisen. Das, so Stadtsprecher Jan Brunzlow, sei eine „Kann-Regelung“. „Wenn man in einer Einfamilienhaussiedlung jemanden am Zaun sieht, kann man das machen, aber wir klingeln doch wegen Grasbüscheln nicht die Häuser durch.“
Fotos von zugewachsenen Straßen
Laut Verwarnung sind die Hauseigentümer „ihren Anliegerpflichten (…) nicht nachgekommen“, denn: „Der Gehweg wurde nicht sauber gehalten.“ Die Stadt berief sich unter anderem auf die Straßenreinigungssatzung der Landeshauptstadt Potsdam, die besagt, zur Reinigung von Gehwegen gehöre auch die Beseitigung von Unkraut.
25 Euro Verwarnungsgeld pro Kopf sollten entrichtet werden, doch da hatte die Stadt die Rechnung ohne die kampferprobten Eigentümer gemacht. Claudia Frank und ihr Mann sind nämlich Rechtsanwälte mit einer Kanzlei in Grunewald. „Überall in der Stadt findet man verwucherte Gehwege und Plätze“, so Frank, mit den eigenen Reinigungspflichten nehme es Potsdam nicht so genau. In der Tat wurden im Zuge der mittlerweile schon überregional bekannt gewordenen „Potsdamer Unkraut-Posse“ Beschwerden von Potsdamern laut, die Fotos von zugewachsenen Straßen schickten.
„Am Neuen Markt gucken wir genauer hin“
Leider könne sich die Stadt selbst keine Bußgelder ausstellen, so Brunzlow. „Ich muss ehrlicherweise sagen, am Neuen Markt gucken wir genauer hin als am Stadtrand, das ist eben ein Touristenmagnet“, so der Stadtsprecher. Zweimal täglich patrouillieren dort zwei Mitarbeiter des Ordnungsamtes. Anscheinend äußerst gründlich. 210.000 Bußgeldbescheide habe man 2014 in Potsdam insgesamt erlassen, 614 davon Verstöße gegen die Straßenreinigungssatzung.
„Das Typische ist doch, die Stadt macht etwas, und man lässt es sich gefallen“, so Frank, die sich wünscht, die Bürger würden sich wehren. So wie sie und ihr Mann. Auf dem den Verwarnungen beigefügten Formularen kreuzten sie „Der Verstoß wird nicht zugegeben“ an, mit der Begründung, das Gras wachse nicht auf dem Gehweg, der sauber gehalten worden sei, sondern am Haus.
Verwarnung nicht akzeptiert
Das ließ die Stadt nicht auf sich sitzen, Ende August kamen dann zwei Bußgeldbescheide, für jeden einen. „Ihre Einwände wurden geprüft, konnten Sie jedoch nicht von dem Vorwurf entlasten, die Ordnungswidrigkeit begangen zu haben.“ Und zwei Bußgelder, inklusive Verfahrensgebühr und Verwaltungsauslagen in Höhe von jeweils 53,50 Euro. Und was machen zwei Rechtsanwälte in so einem Fall? Genau. Sie erheben Einspruch. Zunächst einmal gegen die Erlassung von zwei Bescheiden, da Frank und Probandt eine GbR bilden und die Stadt gegen diese einen einzigen Bescheid hätte erlassen müssen.
„Das ist doch Vorsatz“, meint Frank. Seit Wochen riefen Leute bei ihr an, Eheleute, die fragen, ob sie wirklich zwei Bußgelder bezahlen müssten. „Natürlich nicht, aber das macht die Stadt systematisch. Die Leute wissen es ja nicht, das ist eine Einnahmequelle.“ In ihrem Einspruch argumentiert das Paar weiter, es sei bedauerlich, dass der Herr von der Stadtverwaltung „nicht in der Lage ist, die Täter zu erwischen und zu fotografieren, die einmal wöchentlich unser Objekt mit Graffiti beschädigen“, sondern „offensichtlich nur auf Pflanzen sein Augenmerk“ richte.
Stadt will nicht nachgeben
Weiterhin argumentieren sie, es handele sich hier um Gras, und das sei kein Unkraut. „Als Hauseigentümerin bin ich nicht verpflichtet, täglich nach kleinsten Grashalmen zu forschen“, schreibt Frank. Einmal die Woche reiche völlig aus. „Unser Hausmeister macht wöchentlich sauber, der geht auf alle Viere, um die Grasbüschel zu entfernen“, berichtet die Rechtsanwältin. Im Sommer sei der Boden wegen der Hitze steinhart gewesen, da habe er nur die Halme abreißen können. Und bei Regen sprieße es dann wie wild. „Abflammen!“ lautet der Tipp von Stadtsprecher Brunzlow. „Das geht bis in die Wurzel und klappt auch bei Regen sehr gut.“ Er gebe zu, dass es am Neuen Markt mit dem historischen Pflaster schwieriger sei.
Eine Reaktion von Stadtseite auf den Einspruch kam bisher noch nicht. „Die merken, sie sind diesmal an den Falschen geraten“, freut sich Claudia Frank. „Sie hatten keine Ahnung, das wir Anwälte sind, dass wir uns wehren und nun sitzen sie wie ein Kaninchen vor dem Loch.“ Und die Stadt? Die hat nun zwei Möglichkeiten. Entweder sie gibt Frank und Probandt doch noch recht. „Das werden wir selbstverständlich nicht tun“, sagt Brunzlow. Auch, wenn so etwas nach weiteren Prüfungen nicht gänzlich ausgeschlossen sei, ergänzt er kurz darauf.