Der Fall eines Neubaus in Halensee ist ein Lehrstück über die Schwierigkeiten, die in Berlin beim Umgang mit Investoren auftreten.
Hinter dem Zaun rattern die Züge, etwas weiter hinten dröhnt die Stadtautobahn. Hier sollen bald Kinder spielen, auf einem sechs Meter breiten Streifen zwischen einem siebengeschossigen Neubau und der Bahntrasse, zwischen Entlüftungsschächten der Tiefgarage. So sehen es die Planungen für das neue Wohngebäude an der Seesener Straße in Halensee vor. Der Investor hat sich in einem städtebaulichen Vertrag mit dem Bezirk verpflichtet, als Gegenleistung für das Entgegenkommen des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf eine Kita mit 26 Plätzen in dem Gebäude einzurichten. Dafür durfte er höher bauen.
Aber es ist fraglich, ob die Kita-Aufsicht die Freifläche akzeptieren und den Betrieb genehmigen wird. Die Behörde hält das Gelände für „ungeeignet“, weil die Kinder „Lärm- und Abgasemissionen ausgesetzt“ seien. So steht es in einer Mail der Einrichtungsaufsicht Kita an die grüne Bezirksverordnete Nadja Rouhani.
Bedingung für die Genehmigung ist kaum erfüllbar
Kritiker sprechen von einem „Schwarzbau“, weil das 56 Millionen Euro teure Projekt mit 217 Wohnungen unter Bedingungen genehmigt wurde, die womöglich nicht erfüllbar sind. „Die Kita ist Voraussetzung für die Baugenehmigung“, sagte Charlottenburg-Wilmersdorfs Baustadtrat Marc Schulte (SPD).
Der Fall in Halensee ist ein Lehrstück für die Schwierigkeiten, die in Berlin beim Umgang mit Investoren auftreten. Und für die Probleme der öffentlichen Hand, den Unternehmen eine Gegenleistung für einen für sie äußerst lukrativen Verwaltungsakt abzuringen: Denn mit einer Baugenehmigung steigt der Wert eines Grundstücks exponentiell. Das Areal an der Seesener Straße ging 2008 für 1,75 Millionen Euro vom Eisenbahnvermögen der Vivico an die Sanus AG aus Zossen. Als der Entwickler 2013 das Gelände mit dem geplanten Bauvorhaben an die Apothekerversorgung Niedersachsen weiterverkaufte, wurde der Wert des Grundes mit 10,1 Millionen Euro angegeben.
Wobei es in Berlin ein Planwerk gibt, das zum Dealen zwischen Baustadträten und Investoren geradezu einlädt. Der Baunutzungsplan von 1958 überzieht den gesamten Westteil der Stadt. Zahlreiche Brachen, Kleingartenflächen und Gewerbezonen sind als Bauflächen ausgewiesen. Meist darf man dort nur niedrige Häuser in lockerer Bauweise erstellen. Mit dieser grundsätzlichen Bau-Erlaubnis werden die Bauherren dann beim Bezirk vorstellig, es wird verhandelt, meist dürfen die Investoren mehr bauen als der Plan vorgibt. Das ist in Berlins Westbezirken Alltag, wie eine Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linken ergeben hat. Die Oppositionspartei fordert deshalb, den Baunutzungsplan abzuschaffen. „Er enthält Baurechte, die der Flächennutzungsplan gar nicht vorsieht“, sagte die Linken-Bauexpertin Katrin Lompscher.
An der Grenze zum „Rechtsmissbrauch“
Im Falle der Seesener Straße genehmigte der Baustadtrat 2013 sieben Geschosse statt der üblichen fünf. Der Städtebauliche Vertrag, der die Kita vorschreibt, wurde erst ein gutes Jahr später abgeschlossen. In der Verwaltung gab es Widerstände. das Grünflächenamt war mit dem Grünkonzept nicht einverstanden. Die Mitarbeiter dort empfahlen, dass der Bauherr die gesamten eigentlich vorgeschriebenen zusätzlichen Grünflächen durch Geldzahlung ablöst. Das hätte mehr als eine Million Euro gekostet. Der Bezirk beließ es jedoch dabei, nur ein Viertel der Fläche abzulösen. Die restlichen 600 Quadratmeter sollten auf dem Gelände entstehen, auf dem Streifen zwischen Gebäude und Bahnlinie. Der Justiziar des Bauamtes hält das für an der Grenze zum „Rechtsmissbrauch“, er trage die „blödsinnige Lösung“ nicht mit, wie er in einem internen Vermerk schreibt.
Baustadtrat Schulte räumt ein, dass er als genehmigende Stelle oft in einem „Dilemma“ stecke, wenn Investoren mit Verweis auf den Bauordnungsplan von 1958 bei ihm vorstellig würden. Er habe nur enge Entscheidungsspielräume. Mache er keinen Handel mit den Bauherren, dann könnten diese eine Baugenehmigung nach Paragraf 34 des Baugesetzes verlangen. Dieser sieht vor, dass Neubauten, die sich in die Umgebung einpassen, grundsätzlich zulässig sind. Also versuche er, lieber eine Gegenleistung für den Bezirk herauszuholen.
Uralt-Planungsrecht auch beim Konflikt um Kolonie Oeynhausen
Was passiert, wenn eine Bebauung auf einem von dem Uralt-Plan als Bauland ausgewiesenen Grundstück untersagt werden soll, ist wenige Kilometer von der Seesener Straße entfernt an der Wilmersdorfer Kleingartenanlage Oeynhausen zu besichtigen. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) und ein Bürgerentscheid waren dafür, die Lauben dort zu erhalten. Der Bezirk zögert, weil er millionenschwere Schadensersatzforderungen des Luxemburger Fonds fürchtet, der das Areal zum Preis von Grünland erwarb und als Bauland weiter verkaufte. Inzwischen ist ein Bauantrag eingereicht worden, der Bezirk prüft.
Die Bezirksverordnete Nadja Rouhani verlangt in dieser Woche in der BVV Aufklärung von Schulte, warum er die Seesener Straße so hoch bauen lässt. Und sie fordert für das bis an den Kurfürstendamm reichende Nachbargrundstück einen Bebauungsplan, damit auch die gewählten Volksvertreter mit entscheiden können. Das Gelände ist bereits verkauft, für 13 Millionen Euro.