Polizeieinsatz

Um 8.52 Uhr löste Rafik Y. seine Fußfessel

| Lesedauer: 6 Minuten
Andreas Gandzior, Steffen Pletl und Peter Oldenburger
Pletl / Schüsse an der Heerstraße

Pletl / Schüsse an der Heerstraße

Foto: Steffen Pletl

Der Terrorist, der in Spandau eine Polizistin angriff, war den Behörden als gefährlicher Islamist bekannt.

Wer war Rafik Y.? Für die Berliner Sicherheitsbehörden war der verstorbene Angreifer kein Unbekannter. Der 41-jährige Iraker, der am Donnerstagmorgen eine Polizeibeamtin mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt hatte und anschließend von einem Polizisten erschossen wurde, war ein vorbestrafter Terrorist.

Die Geschichte des Rafik Y. beginnt im Irak. Er wurde am 27. August 1974 in Bagdad (Irak) geboren. Unter der Herrschaft von Saddam Hussein saß der Kurde mehr als zwei Jahre im Gefängnis. Von 1997 an lebte er in Neukölln in der Gropiusstadt. Hier leitete er ein kleines Baugeschäft. Ende 2003 wurde er zum ersten Mal vorübergehend festgenommen. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden radikalisierte er sich mehr und mehr. Seit April 2004 war er Mitglied der Gruppe „Ansar al-Islam“ („Unterstützer des Islam“). Diese Gruppe plante ein Attentat in der deutschen Hauptstadt.

Berlin im Dezember 2004. Der damalige irakische Ministerpräsident Ijad Allawi war zu Gast in der deutschen Hauptstadt. Rafik Y., Mazen H. aus Augsburg und Ata R. aus Stuttgart, allesamt Mitglieder der Gruppe „Ansar al-Islam“, wollten den Staatsbesuch dazu nutzen, den Ministerpräsidenten umzubringen. Der Anschlagsort sollte die Deutsche Bank an der Charlottenstraße in Mitte sein, wo Allawi auf Wirtschaftsvertreter treffen sollte. Um 8.30 Uhr wollten die Terroristen zuschlagen. Doch deutsche Sicherheitskräfte konnten den Anschlag verhindern.

In der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 2004, eine Nacht vor dem geplanten Bombenanschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten, nahmen Beamte eines Berliner Spezialeinsatzkommandos (SEK) Rafik Y. fest. Zeitgleich wurden im gesamten Bundesgebiet mehrere Razzien durchgeführt und auch seine Komplizen festgenommen. Nach seiner Festnahme saß Rafik Y. in Untersuchungshaft in Mannheim.

Trotz der Festnahmen wurde der Ablauf des Staatsbesuchs geändert. Allawis Auftritt in der Deutschen Bank wurde abgesagt, das Regierungsviertel hermetisch abgeriegelt.

Der damals 33 Jahre alte Rafik Y. galt nach den Erkenntnissen als Planer des Attentates. Er wurde zudem wegen seiner Zugehörigkeit zu der Terrororganisation „Ansar al-Islam“ zu acht Jahren Haft verurteilt. Ata R. wurde vom Oberlandesgericht Stuttgart als Haupttäter zu zehn Jahren, der Komplize Mazen R. zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Wäre der Anschlag gelungen, hätte dies „dem Ansehen Deutschlands in der Welt schaden und die ausländischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich stören können“, sagte die Vorsitzende Richterin Christine Rebsam-Bender nach dem Urteil.

Rafik Y. wurde nach vollständiger Verbüßung der Haftzeit am 26. März 2013 aus dem Gefängnis entlassen. Danach verlagerte er seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Berlin, wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag bestätigten. Er galt aber weiter als gefährlich.

Der Haftentlassene stand danach unter Führungsaufsicht und musste eine elektronische Fußfessel tragen. Rafik Y. war zugleich der erste Berliner Ex-Häftling, der mit diesem Kontrollsystem, das auf zwei GPS-Sendern beruht, ausgestattet wurde. Zu den Auflagen gehörte auch, dass Rafik Y. sich von der islamistischen Szene fernhalten musste. Er durfte Berlin auch nicht verlassen, wie der ermittelnde Staatsanwalt Dirk Feuerberg auf einer Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag mitteilte.

Rafik Y. konnte nicht in den Irak abgeschoben werden

Nach seiner Rückkehr nach Berlin hatte Y. zunächst in Neukölln gelebt und galt als „Gefährder“, wie es im Polizeijargon heißt. Man habe versucht, den Islamisten abzuschieben, teilte Innensenator Frank Henkel (CDU) am Donnerstag mit. Doch weil Rafik Y. im Irak die Todesstrafe gedroht habe, sei das nicht möglich gewesen.

In Berlin wurde er aber wiederholt auffällig. Trotz der Führungsaufsicht der Polizei war Y. in der Vergangenheit mehrfach durch hohe Aggressivität in Erscheinung getreten: Ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung in vier Fällen lief gegen den Mann. Er hatte eine Amtsrichterin bedroht, eine Mitarbeiterin einer Sozialbehörde sowie einen Polizeibeamten in einem Abschnittsgebäude. Er machte zeitweise auch einen verwirrten Eindruck, hieß es aus Sicherheitskreisen.

Am Donnerstag hatte er seine Fußfessel um 8.52 Uhr entfernt. Bei der zentralen Überwachungsstelle für Fußfesseln in Hessen wurde Alarm ausgelöst. In Berlin fuhr daraufhin ein Polizeiwagen sofort zu seiner Adresse nach Spandau in ein Wohnheim. Dort wurde er aber nicht angetroffen. Nach derzeitigem Ermittlungsstand war der arbeitslose Rafik Y. offenbar bereits an der Heerstraße im Bereich zwischen Gatower Straße und Pichelsdorfer Straße unterwegs. Mindestens zwei Passanten bedrohte er mit seinem Messer. Ob Rafik Y. auch für einen Messerangriff in der Nähe verantwortlich war, prüfte die Polizei nach eigenen Angaben am Donnerstagabend noch. Es gebe eine räumliche Nähe zum späteren Tatort, sagte Staatsanwalt Feuerberg.

Messer mit neun Zentimeter langer Klinge

Nach Angaben der Polizei war das Messer, das Rafik Y. bei sich trug, 19 Zentimeter lang und hatte eine Klingenlänge von neun Zentimetern. Der genaue Tathergang, bei dem Rafik Y. erschossen wurde, war am Abend noch unklar. Die Polizistin wurde durch Messerstiche am Hals und an der Schulter sowie durch einen Schuss des Kollegen verletzt. Rafik Y. verstarb noch am Tatort. Die 44 Jahre alte Polizistin wurde in ein Krankenhaus geflogen. Sie befand sich am Abend nicht mehr in Lebensgefahr. Ermittler gehen bisher davon aus, dass Rafik Y. nicht gezielt Polizeibeamte angreifen wollte. Innensenator Frank Henkel (CDU) teilte mit: „Es gibt einige Anhaltspunkte, die gegen ein geplantes Vorgehen sprechen. Bei der Vorgeschichte der getöteten Person Y. kann jedoch eine religiöse Motivation nicht ausgeschlossen werden.“

Nach dem verhängnisvollen Angriff auf die Polizeioberkommissarin zeigten sich Augenzeugen entsetzt. Die Krankenschwester Alica B. hatte an einer Bushaltestelle gestanden, weil sie dort auf dem Weg zur Arbeit umsteigen wollte. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie noch, wie „eine Frau plötzlich zusammenbrach und auf den Gehweg fiel“, sagte die 32-Jährige. Anschließend habe sie mehrere Schüsse gehört.