Lebenshilfe

Die Frau, die Ordnung in unser Leben bringen will

| Lesedauer: 6 Minuten
Patrick Goldstein
Ein stetes Geben und Nehmen. Gabi Rimmele an ihrem Tauschmobil in Prenzlauer Berg. Dort gibt es nützliche und kuriose Fundstücke wie den original verpackte Schwangerschaftstest und edles Geschirr

Ein stetes Geben und Nehmen. Gabi Rimmele an ihrem Tauschmobil in Prenzlauer Berg. Dort gibt es nützliche und kuriose Fundstücke wie den original verpackte Schwangerschaftstest und edles Geschirr

Foto: David Heerde

Pappkartons in der Abstellkammer, Schränke voller Andenken - Gabi Rimmele bietet einen Weg an, alten Ballast abzuwerfen.

Gabi Rimmele hat eine Berliner Kiez-Institution erfunden: Sonnabends steht ihr Tauschmobil, ein ehemaliger Paketwagen, auf dem Wochenmarkt an der Seelower Straße in Prenzlauer Berg.

Monatlich mehr als 1200 Besucher geben seit bald drei Jahren ausgemusterte Kleidung, Bücher, Kinderwagen bei ihr ab, andere stöbern, suchen sich etwas aus oder statten gleich die ganze Familie mit den Fundstücken aus. Es ist das Gegenteil von Wegwerf- und Konsumgesellschaft.

Ein fast dörfliches Miteinander in der großen Stadt. Und alles gratis. Menschen zu helfen, die sich von Ballast, Souvenirs, und manchmal sogar Beziehungen befreien wollen, ist Rimmeles Mission. Wie das geht, schreibt die wochentags als Sozialarbeiterin und Entrümplungsberaterin tätige 44-jährige Prenzlauer Bergerin in ihrem am Dienstag erschienenen Selbsthilfebuch „Tausche Chaos gegen Leichtigkeit“. Patrick Goldstein hat sie getroffen.

Berliner Morgenpost Frau Rimmele, Was bringen Ihnen die Leute zum Tauschmobil?

Gabi Rimmele Alles Mögliche. Vom originalverpackten Schwangerschaftstest bis zum wunderschönen Goldrandgeschirr. Manche Frau hat im Scherz gefragt, ob sie ihren Partner abgeben darf.

Was lernt man da?

Die Menschen, die kommen, sind so vielfältig, und manches, was mir überhaupt nicht gefällt, bringen die Augen eines Anderen zum Leuchten. Einmal bekam ich Bücher zu einem für mich völlig abseitigen Architektur-Thema. Ich dachte: Die werde ich wohl irgendwann selbst entsorgen müssen. Eine halbe Stunde später steht da eine Frau und ruft: „Wow, genau diese Bücher brauche für das Fach, auf das ich mich gerade vorbereite.“ Also: Ich habe gelernt dass es Millionen von Perspektiven der Menschen gibt.

Was nehmen Sie nicht an?

Sachen, die kaputt sind, oder zu groß, oder alte Fernseher. Die will heute niemand mehr.

Wo steht denn der Wagen, wenn nicht Sonnabend ist?

Auf der Straße.

Das funktioniert in Berlin?

Einmal war eine Scheibe eingeschlagen, ohne, dass etwas gestohlen wurde. Zweimal wurden Spiegel gestohlen.

Was sagen die Menschen auf dem Markt, wenn Sie, wie jüngst, nach Wochen aus dem Urlaub wiederkommen?

„Wir haben das Tauschmobil vermisst“, und „Jetzt ist der Sonnabend wieder vollständig“. Eine Frau sagte, sie habe gerade eine Einladung ins Thermalbad bekommen - aber keinen Badeanzug. Im Tauschmobil hat sie dann gleich einen gefunden.

Gibt es Besucher, die immer nur abholen, nie abliefern? Leute, die die Dinge weiterverkaufen?

Wenn ich merke, dass jemand regelmäßig viel mitnimmt, frage ich nach. Oft erfahre ich dann, dass Sie es an die Familie oder Freunde weiter geben. Und das ist für mich dann super.

Ist das Ihr Lohn, das was Sie für Ihre Mühe zurück bekommen?

Ja, diese Gespräche mit den Menschen.

Sich ehrenamtlich auf den Wochenmarkt zu stellen, das Tauschmobil mit eigenen Mitteln und Spenden zu finanzieren - welchen tieferen Sinn hat das Ganze für Sie?

Es gibt sehr viele Menschen, die mit dem Thema „Loslassen“ zu kämpfen haben. Leute in meinem Alter sind mit dem Satz der Eltern groß geworden: „Das ist zu schön, um es wegzuwerfen.“ Das führt dazu, dass wir Dinge, die wir nicht mehr brauchen, nicht mehr einfach wegwerfen können. Irgendwann ist man überfordert und weiß nicht mehr, wo man anfangen soll, aufzuräumen.

Und da hilft Ihr Tauschmobil?

Ganz bestimmt. Ein Mann sagte mir neulich: „Es hat eine therapeutische Wirkung für mich. Ich kann meine Sachen herbringen, statt sie fortzuwerfen. Seitdem habe ich begonnen, bei mir daheim aufräumen.“

Ist das eine Altersfrage?

Es betrifft Menschen mittleren und fortgeschrittenen Alters. Besonders Menschen, die Krieg erlebt haben. 20- bis 30-Jährige sind stärker mit der Konsumgesellschaft groß geworden. Die können leichter loslassen.

Was spricht denn dagegen, Schuhe aus Babytagen der Kinder oder Zeitungen aufzuheben, die uns an schöne oder spannende Zeiten erinnern?

Gar nichts. Zu mir als Entrümplungsberaterin kommt man erst, wenn man davon überfordert ist, zu viel anzusammeln. Gerade Eltern stellen fest: Die Kisten mit den alten Stramplern stapeln sich, der Platz wird eng.

Was raten Sie dann?

Man hebt sich symbolisch zwei Elemente aus dieser Zeit auf.

Also allen Ballast abwerfen, bloß keine Bindungen aufbauen, um - im Wortsinn - unbeschwerter sein Leben zu leben?

Überhaupt nicht. Menschen, die in meine Beratung kommen, sollen sich fragen: Was brauche ich wirklich? Was tut mir gut? Menschen halten an alten Dingen fest und merken gar nicht, dass sie all das, was sie in ihrem Leben erlebt haben, längst in sich aufgenommen haben. Das versuche ich zu vermitteln.

Sie empfehlen auch, sein Leben von überflüssigen Aktivitäten zu entrümpeln.

In der Stadt machen die Leute ständig eine Aktivität nach der anderen. Und wenn sie Stress erleben, setzen sie noch einen Termin oben drauf - statt sich zu entscheiden, einfach mal etwas davon ganz wegzulassen.

Sogar seine Beziehungen sollten man ihrem Buch zufolge entrümpeln.

Das mag hart klingen. Aber mancher spürt, dass sich Beziehungen ansammeln und er nicht hinterherkommt, sie zu pflegen. Die Folge: Stress und ein schlechtes Gewissen. Wenn das öfter auftaucht, heißt das: Da stimmt etwas nicht in meiner Beziehung.

Wie bekommt man das in den Griff?

Ich rate nicht sofort, diese Bindungen zu kappen, sondern zu überlegen: Welche Menschen geben mir Kraft, wo kann ich meine Stärken ausleben? In welcher Beziehung fühle ich mich nicht wohl? Dann kann es auch mal sein, dass man zu dem Schluss kommt: Ich melde mich nicht mehr und beende das.

Tauschmobil Sa., 9.30-15.30 Uhr, Seelower Straße, Prenzlauer Berg, tauschmobil.de

Lesung, 16. September, 20 Uhr, Buchhandlung „Neues Kapitel“, Kopenhagener Straße 7, Prenzlauer Berg

Gabi Rimmele „Tausche Chaos gegen Leichtigkeit. So entrümpeln Sie Ihr Leben“, 184 S., 14,99 Euro, gabi-rimmele.de