Schulen

Der holprige Start in das neue Schuljahr

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Florentine Anders
Zum neuen Schuljahr besuchen etwa 70 Prozent mehr Kinder ohne Deutschkenntnisse spezielle Willkommensklassen als im vergangenen Schuljahrer. Auch dafür werden mehr Lehrer benötigt

Zum neuen Schuljahr besuchen etwa 70 Prozent mehr Kinder ohne Deutschkenntnisse spezielle Willkommensklassen als im vergangenen Schuljahrer. Auch dafür werden mehr Lehrer benötigt

Foto: Britta Pedersen / dpa

Wenn kurz nach dem Ende der Ferien Lehrer ausfallen, müssen die Schulen improvisieren. Zu viele Schüler bei zu wenig Lehrern im Unterricht.

Lehrer, die plötzlich langfristig erkrankt sind, Schüler, die ohne Vorwarnung weggezogen sind, oder Kinder, die neu nach Berlin kommen: Jedes neue Schuljahr hält Überraschungen bereit. Nach einer stichprobenartigen Abfrage der Berliner Morgenpost verlief der erste Schultag aber ohne größere Katastrophen, dennoch gab es Probleme. Einige davon sind nur schwer zu lösen.

An der Clay-Sekundarschule in Neukölln etwa sind vier Deutschlehrer nach den Sommerferien langfristig krankgeschrieben. „Jetzt ist es schwer, Ersatz zu finden, denn in den Nachrückerlisten sind kaum verfügbare Bewerber zu finden“, sagt Schulleiter Lothar Semmel. Kein Wunder, denn Berlin hat zum neuen Schuljahr 1500 Lehrer neu eingestellt, in Brandenburg waren es 1100.

Jeder siebte neu eingestellte Lehrer in Berlin kommt aus Bayern

Erschwerend kommt hinzu, dass im Nachbarland die Lehrer verbeamtet werden. Nach Angaben des Brandenburger Bildungsministeriums sind 40 in Berlin ausgebildete Referendare an Brandenburger Schulen eingestellt worden. Jeder siebte neu eingestellte Lehrer in Berlin kommt nun aus Bayern, in den Mangelfächern konnte der Bedarf nur mithilfe von 300 Quereinsteigern gedeckt werden.

Auch das Oberstufenzentrum für Kraftfahrzeugtechnik in Charlottenburg hatte sich auf eine Deutschlehrerin aus Bayern gefreut, doch die hatte plötzlich abgesagt, weil sie doch noch in ihrem Heimatland eine Stelle bekommen hat. „Jetzt muss ich wieder Bewerbungsgespräche führen“, sagt Schulleiter Ronald Rahmig.

Quereinsteiger müssen Hürden überwinden

Einen Fachkräftemangel gebe es zudem in den Fächern Kfz-Technik und Elektrotechnik. Hier könne nur durch Umstrukturierung der Unterricht gesichert werden. Quereinsteiger würden sich zwar bewerben, doch die Hürden seien hoch, denn die Seiteneinsteiger müssen oft ein zweites Fach studieren.

An der Herman-Nohl-Grundschule in Neukölln müssen noch drei offene Stellen besetzt werden. „Wir hoffen, dass jetzt noch Bewerber zu finden sind“, sagt die Schulleiterin Ilona Bernsdorf.

Mehr Lehrer werden auch durch die Flüchtlingskinder benötigt. Zum neuen Schuljahr besuchen etwa 70 Prozent mehr Kinder ohne Deutschkenntnisse spezielle Willkommensklassen als im vergangenen Schuljahr, teilt die Senatsbildungsverwaltung mit. Doch niemand weiß, wie viele genau noch in den kommenden Wochen hinzukommen. Zum Schulstart haben Kitas, Schulen und Jugendämter einen überarbeiteten Leitfaden erhalten, der darüber informiert, wie die Kinder schnell integriert werden können.

Heiße Phase für Initiative startet

Für die Initiative „Bildet Berlin!“beginnt mit dem Schulstart die heiße Phase der Unterschriftensammlung. Sie planen ein Volksbegehren für Unterrichtsgarantie. Noch drei Monate haben die Initiatoren Zeit, um die 20.000 nötigen Unterschriften zu sammeln. „Wir sind optimistisch. 10.500 Unterschriften sind schon allein in den zwei Monaten vor den Ferien zusammengekommen“, sagt der Mitinitiator Florian Bublys von der Lehrerinitiative.

Auf den ersten Elternversammlungen wolle man nun noch einmal verstärkt für das Anliegen werben. Ziel ist eine Vertretungsreserve an den Schulen von zehn Prozent. „Gerade zu Beginn des Schuljahres finden häufig Klassenfahrten oder Exkursionen statt, da ist bei einer hundertprozentigen Personalausstattung der Unterrichtsausfall vorprogrammiert“, sagt Bublys.

Neben den Personalproblemen gibt es an vielen Schulen ein Raumproblem. Die Eltern der Thomas-Mann-Grundschule in Prenzlauer Berg haben sich mit einem offenen Brief an die Bildungsstadträtin des Bezirks, Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD), gewandt. Sie sehen das pädagogische Konzept der Schule gefährdet. Am Freitag werden hier 115 Erstklässler eingeschult, und dafür muss eine zusätzliche erste Klasse eingerichtet werden.

Gestaffelte Essenszeiten

Schon zum vergangenen Schuljahr mussten zwei zusätzliche Klassen aufgenommen werden. Obwohl die Schulmensa vergrößert worden sei, müssten die Kinder in mehreren Durchgängen essen und hätten dadurch weniger Zeit, und auch die Hofpausen müssten gestaffelt stattfinden, weil der neu gestaltete Schulhof zu klein sei, heißt es in dem Brief.

Die Bildungsstadträtin kann die Sorgen der Eltern verstehen. Doch der Bezirk sei verpflichtet, allen zugezogenen Kindern einen Schulplatz zuzuweisen. Die allgemeine Schulpflicht sei in der Abwägung rechtlich höher zu bewerten als die wünschenswerte Anzahl von Lerngruppen sowie ein schulpädagogisches Profil, schreibt die Stadträtin in der Antwort, die den Eltern zum Schulstart zugegangen ist.

„Immer mehr Fachräume und Freizeiträume müssen im Bezirk Pankow mit Klassen belegt werden. So wie der Thomas-Mann-Grundschule gehe es fast allen Grundschulen im Bezirk. Und noch immer würden Tausende neue Wohnungen gebaut“, so Zürn-Kasztantowicz.

Schulstart erwartungsgemäß ruhig

Sabine Gryczke, Schulleiterin der Gustav-Falke-Grundschule in Mitte, weiß, dass sie Glück hat. Die Schule muss nur 17 Schüler mehr aufnehmen als ursprünglich geplant, und das, obwohl sich im Bezirk kurz vor den Ferien herausstellte, dass Hunderte Schüler mehr angemeldet worden sind als eigentlich prognostiziert. „Wir konnten alle Schüler auf die bestehenden Klassen verteilen“, sagt die neue Schulleiterin, die am Montag ihren ersten Tag im laufenden Betrieb der Schule hatte.

Für Norman Heise, Vorsitzender des Landeselternausschusses, verlief der Schulstart erwartungsgemäß ruhig. „Am ersten Tag haben die meisten Schüler ohnehin kaum Unterricht“, sagt Heise. Wo es tatsächlich klemmt, werde sich erst in den nächsten Tagen zeigen.

Vor allem wolle sich der Landeselternausschuss genauer ansehen, wie die Mangelfächer an den Grundschulen besetzt sind. Auch die Ausstattung der Grundschulen mit Erziehern will die Elternvertretung genauer unter die Lupe nehmen.