Angesichts der steigenden Zahl fremdenfeindlicher Übergriffe auf Asylunterkünfte verschärft sich die Diskussion, ob Fremdenhass als überwiegend ostdeutsches Problem zu betrachten ist. Vor diesem Hintergrund warnte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag indirekt vor einer neuen Spaltung in Deutschland. Sie wolle nicht bewerten, ob die Ablehnung von Flüchtlingen im Osten mehr oder weniger ausgeprägt sei: „Ich will daraus auch keinen Ost-West-Konflikt machen.“ Sie sei besorgt, „dass wir solchen Hass und solche Stimmung in unserem Land haben“, sagte Merkel.
„Dummheit und Rassismus haben keine Adresse“
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Roger Lewentz (SPD), sieht in Ostdeutschland „eine größere Bereitschaft zu einer fremdenfeindlichen Radikalisierung“. Im Osten lebten deutlich weniger Flüchtlinge und Migranten als im Westen, und doch sei die Aggressivität dort besonders hoch. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nahm den Osten gegen Vorwürfe in Schutz. Er halte solche Diskussionen nicht für hilfreich. Auch im Westen gebe es rechtsextreme politische Kriminelle, sagte er.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt findet die Ost-West-Diskussion sei nur bedingt hilfreich. Man solle das Problem jetzt in Deutschland nicht „gegenseitig hin- und herschieben“. Allerdings gelte es auch „dem Problem ins Auge zu schauen“, dass im Osten trotz deutlich geringerer Bevölkerungszahl etwa die Hälfte der rechten und rassistisch motivierten Straftaten stattfinde, sagte sie.
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi warnte vor pauschalen Urteilen. „Was in Dresden und in der Umgebung passiert, ist ja nicht typisch für Ostdeutschland“, sagte Gysi. Auch dort gebe es „klare Mehrheiten“ gegen Rechtsextremismus. Als ein gesamtdeutsches Problem sieht Linken-Parteichefin Katja Kipping die Fremdenfeindlichkeit. „Dummheit und Rassismus haben keine Adresse“, sagte Kipping im RBB.
Die Spur der Zündler
Tröglitz. Freital. Heidenau. Nauen. Die Spur der Zündler an Flüchtlingsheimen führt durch die ganze Republik. Zeigt sich aber besonders ausgeprägt im Osten des Landes. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hat es in Deutschland mehr Angriffe auf Flüchtlingsheime gegeben als im gesamten Jahr 2014. Bis Ende Juni 2015 wurden bundesweit 202 Übergriffe gezählt. Im gesamten Vorjahr waren es 198 Fälle – und auch das war schon eine Verdreifachung im Vergleich zu 2013. Und von den 202 Attacken im ersten Halbjahr 2015 gingen rund 85 Prozent auf das Konto von „rechtsmotivierten Tätern“.
Auch in Berlin steigen die Zahlen: 65 Gewalttaten von Rechtsextremisten im ersten Halbjahr 2015. In der ersten Jahreshälfte 2014 wurden 55 solcher Taten gezählt. Insgesamt waren Rechtsextremisten im ersten Halbjahr für 697 Straftaten verantwortlich. Und: Viele Taten werden im Zusammenhang mit Flüchtlingsheimen verübt.
Schwerpunkte sind Mitte, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick und Pankow. Dort wo auch die meisten Unterkünfte für Asylbewerber stehen oder noch gebaut werden sollen. So ist beispielsweise in Marzahn-Hellersdorf eine deutliche Zunahme rassistischer Vorfälle registriert worden. Allein im ersten Halbjahr 2015 seien dort 84 rechtsextreme und fremdenfeindliche Vorfälle bekanntgeworden, so die Antirassistische Registerstelle an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Dies sei eine Verdopplung der Zahlen. Im ganzen Jahr 2014 waren dort 85 rassistische Vorfälle erfasst worden.
Rechtsextreme Hetze gegen Flüchtlingsunterkünfte
Vergangene Woche gab es einen versuchten Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft am Blumberger Damm. Mehrere Männer und mindestens eine Frau warfen in der Nacht zu Freitag brennende Holzlatten über den Zaun vor dem Heim. Verletzt wurde niemand. Bereits in der Planungs- und Bauphase des Container-Flüchtlingsheims hatte es immer wieder Proteste gegeben. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wurden die meisten Demonstrationen von der rechtsextremen NPD organisiert.
Und auch mit Facebook-Seiten betreiben die Rechtsextremen Hetze gegen Flüchtlingsunterkünfte. 50 Fälle hat die Polizei allein im vergangen Jahr gezählt. Meist handelte es sich um Facebook-Seiten der „Bürgerbewegung Hellersdorf“, der „Bürgerbewegung Marzahn“ sowie verschiedener Seiten mit dem Titel „Nein zum Heim“ etwa in Köpenick und „Kein Asylanten-Containerdorf“ in Buch, Falkenberg und Lichtenberg.
Laut Senatsinnenverwaltung sind die Betreiber der Seiten zwar nicht bekannt. Nach Einschätzung der Behörde gebe es aber eine „Symbiose“ zwischen virtuellem und realem Protest zwischen den anonymen „Nein-zum-Heim“-Seiten auf Facebook und der NPD. „Das ist kein Zufall“, meint Tom Schreiber, Sprecher für Verfassungsschutz in der SPD-Abgeordnetenhausfraktion. „Dahinter steckt die Strategie, im Umfeld von Flüchtlingsheimen präsent zu sein und Zulauf von Wutbürgern und aus dem Bürgerlichen Lager zu bekommen.“
NPD in Hellersdorf viertstärkste politische Kraft
Das hat funktioniert. Bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 kam die NPD landesweit nur auf 1,5 Prozent. Im Umfeld des Hellersdorfer Asylbewerberwohnheims in der Carola-Neher-Straße, wurde sie aber mit 10,4 Prozent viertstärkste politische Kraft. Gegen das Heim hatte die NPD vor der Wahl Stimmung gemacht. Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) warnt aber davor, mit dem Finger nur Richtung Ostbezirke zu zeigen. „Wir hatten auch in der Flüchtlingsunterkunft an der Soorstraße in Westend Vorfälle. Anfang Juni wurde vor der Unterkunft ein Behälter mit brennbarer Flüssigkeit gefunden.“
Wer steckt hinter solchen Attacken? Nicht immer ist es so eindeutig wie im Fall der Rechtsextremisten, die am Sonnabend in der Ringbahn eine Familie fremdenfeindlich beleidigten. Der Berliner Verfassungsschutz registriert in seinem Jahresbericht 2014 im Rechtsextremismus mit nun 1355 Personen einen leichten Zuwachs. Vereinsverbote und Schließungen von Treffpunkten hätten die Szene geschwächt. Infrastruktur fänden Rechtsextremisten nur noch in der NPD, sowie bei der Partei „Die Rechte“ und dem Landesverband der Partei „Der III. Weg“.
Bianca Klose hält die im Rahmen von den Bärgida und „Nein zum Heim“-Aufmärschen radikalisierten rechten Hooligans und gewaltbereiten Rassisten für zahlenmäßig stärker als den harten Kern der organisierten Neonazis. Klose verweist aber auch auf den alltäglichen Rassismus und auf die Hetze in den sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook. „Das hat qualitativ wie quantitativ zugenommen“, sagt Klose.
Das musste auch Bundestagsvizepräsidenten Petra Pau (Linke) erfahren. Ein Mann mit dem Pseudonym „Vincent Vega“ hatte sie auf Facebook mit dem Tode bedroht. Pau stellte Anzeige wegen Bedrohung. Vor wenigen Tagen bekam sie nach einem halben Jahr Ermittlungen Post von der Staatsanwaltschaft: Man sehe keine Chance für eine erfolgreiche Klage. Da mag Pau es als Hohn empfinden, wenn jetzt Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) erklärt: „Auch das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. Wenn Hemmschwellen im Netz sinken, dann tun sie das irgendwann auch auf der Straße. Die Berliner Polizei wird bei Volksverhetzung im Internet konsequent ermitteln.“
Angriffe auf Wahlkreisbüros
Doch es geht nicht alleine um Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Auch jene, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzen und Stellung gegen fremdenfeindliche Hetze beziehen, sind im Fokus der Extremisten. In den Jahren 2012 bis 2014 zählte die Polizei 20 Angriffe mit rechtsextremem Hintergrund auf Parteigebäude und Wahlkreisbüros in Berlin. In keinem der Fälle konnten Tatverdächtige ermittelt werden.
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