Berlin. Die Taktik der Polizei ist im Görlitzer Park nicht aufgegangen. Die Razzien gegen Drogendealer sind wirkungslos.

Wenn Lisa Grundmann ihren Sohn zur Kita bringt, begleitet sie ein mulmiges Gefühl. Die junge Mutter wohnt in der Kreuzberger Falkensteinstraße, die Kita ist an der Glogauer Straße. Dazwischen liegt der Görlitzer Park, vier Minuten brauchen die beiden auf die andere Seite. „Hier werden Drogen gedealt, das zieht alle möglichen Leute an“, sagt die 31-Jährige. „Man weiß nie, wann die Situation in Aggression umbricht.“ So wie am Mittwochabend.

Um 19.15 Uhr eskaliert ein Streit zwischen zwei Männern neben der Terrasse des Restaurants „Edelweiss“. Schläge. Einer der Beteiligten sticht mit einem Gegenstand auf den anderen ein, der schreit um Hilfe. Polizisten hören es und eilen zum Ort des Geschehens. Um die massiven Attacken zu stoppen, feuert ein Beamter einen Schuss ab, dem Angreifer ins Bein. Beide Männer werden in Krankenhäuser abtransportiert. Das Opfer der Attacke trägt laut Polizeisprecher Stefan Redlich Kopfverletzungen davon. Jetzt ermittelt die Mordkommission – weil es zum Schuss aus der Pistole eines Polizisten kam.

Für den Einsatz der Schusswaffe durch Polizeibeamte gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dabei ist im allgemeinen der Einsatz einer Schusswaffe durch Polizeibeamte nur zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben zulässig. Die Waffe darf eingesetzt werden, wenn eine unmittelbar bevorstehende Straftat damit verhindert werden kann. Auch gegenüber einer Person die einer Straftat dringend verdächtig ist und sich der Festnahme oder Feststellung der Identität durch Flucht entziehen will, darf eine Schusswaffe eingesetzt werden. In jedem Fall darf der Gebrauch nur als letztes Mittel mit dem Ziel der Flucht- oder Angriffsunfähigkeit eingesetzt werden.

Am Donnerstag ist von der Aufregung im „Görli“ nichts mehr zu spüren. Der Wind wirbelt den Staub vom Platz am Amphitheater durch die Luft. Emel Öztürk ist mit zehn Kindern aus der Neumark-Grundschule in Schöneberg auf einem Spielplatz. Hat sie Angst, mit Kindern hierher zu kommen? „Nein, auf keinen Fall“, sagt sie. Von den Dealern würden sie nicht angesprochen. Sie deutet auf eine Gruppe junger, dunkelhäutiger Männer, die sich an einer Wegkreuzung in Stellung gebracht haben.

Um der Lage Herr zu werden, hat die Polizei ihre Kontrollen an den Hotspots des Drogenhandels verstärkt: Revaler Straße in Friedrichshain, Hasenheide in Neukölln. Allein im Görlitzer Park finden laut Polizei 40 bis 50 Razzien im Monat statt. Die Dealerszene aber zeigt sich unbeeindruckt – auch angesichts der sogenannten Null-Toleranz-Strategie im Park. Die hat der Senat im Frühjahr eingeführt.

Seit der neuen Regelung zur strengeren Verfolgung der Dealer habe sich das Verhalten von Käufern und Drogenhändlern im Park „nicht grundlegend geändert“, antwortete die Senatsinnenverwaltung am Donnerstag auf eine Parlamentarische Anfrage der Linke-Fraktion. Die Szene der Rauschgifthändler reagiere „sehr sensibel“, schrieb der Senat. Rücke die Polizei an, würden sich die Dealer in angrenzende Straßen „sowie den im Osten angrenzenden Schlesischen Busch“ verziehen. Die Beamten würden dann auch den Dealern folgen. Aber wenn die Polizei abgezogen ist, stünden die Dealer bald wieder an den Wegesrändern im Park.

Auch nach den gestrigen Schüssen hat sich daran nichts geändert. Lisa Grundmann sagt, sie fühle sich durch die Dealer nicht bedroht – und doch sei es ihr irgendwie unangenehm, ihr Kind jeden Morgen an ihnen vorbeizuführen.