Der Senat hat seinen Haushaltsplanentwurf für die Jahre 2016/17 vorgelegt und dem Abgeordnetenhaus zugeleitet. SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagt, was er davon hält.
Berliner Morgenpost: Herr Saleh, die Ausgaben des Landes steigen beträchtlich. Sie hatten Bedenken geäußert, dass die Senatspläne den Rahmen sprengen könnten.
Raed Saleh: Wir müssen drei Dinge berücksichtigen. Wir müssen weiterhin investieren. Das heißt, wir müssen das Wachstum der Stadt finanzieren und aufhören, von der Substanz zu zehren. Zweitens müssen wir weiter Schulden abtragen. Und drittens müssen wir die Veränderungen sozial begleiten. Die Stadt darf nicht auseinanderdriften. Deshalb muss man auch an den richtigen Stellen mehr Personal erlauben.
Ist das denn jetzt passiert?
Der Entwurf ist erst einmal gut. Aber kein Haushaltsentwurf verlässt das Parlament so, wie er reingekommen ist. Wir werden schauen, wo er den Anspruch einer wachsenden Stadt erfüllt.
Aber dem Parlament bleibt doch fast kein Spielraum mehr. Schuldentilgung ist im Plan fast nicht mehr vorgesehen. Alles, was eingenommen wird, wird sofort ausgegeben. Investieren wir wenigstens genug?
Wir werden wie immer Korrekturen vornehmen. Wir schauen, wie wir das Programm der Brennpunktschulen auf die Berufsschulen ausweiten. Wir werden uns natürlich auch die Investitionsquote anschauen. Ich möchte aber den Beratungen der Fraktion und mit dem Koalitionspartner nicht vorgreifen.
Sie hatten mal gefordert, die Kita-Gebühren für Kinder von null bis zwei Jahren abzuschaffen. Haben sie sich mit diesem Vorstoß eine blutige Nase geholt?
Im Gegenteil. Unser Antrag sieht vor, dass der Senat bis Dezember einen Fahrplan entwickeln soll, wie perspektivisch die Gebührenfreiheit eingeführt und gleichzeitig die Qualität der Kitas verbessert wird. Dieses Vorhaben erstreckt sich über die nächsten Haushalte. Wir gehen mit dem Projekt gerne in den nächsten Wahlkampf und werben für eine bessere Qualität in den Kitas und Gebührenfreiheit. Gerade in Berlin sind die Themen Bildung, Aufstieg und Chancen für alle besonders wichtig, um die Stadt zusammenhalten.
Aber arme Familien zahlen jetzt schon keine Kita-Gebühren. Ist ihr Plan ein Subventionsprogramm für die Mittelschicht?
Was spricht denn eigentlich gegen die Entlastung der Mittelschicht? Wenn zwei Eltern Mindestlohn verdienen, zahlen sie heute 100 Euro Kitagebühren, jeden Monat. Die perspektivische Einführung der Gebührenfreiheit sorgt dafür, dass in Berlin die Bildung von der Kita bis zur Universität kostenfrei ist. Für mich ist aber ganz klar: Wir wollen auch die Qualität verbessern. Kitas sind längst keine Orte mehr, wo Kinder bloß aufbewahrt werden, sie sind echte Bildungseinrichtungen.
Sie haben sich früh das Thema Personalentwicklung im öffentlichen Dienst zu eigen gemacht. Ist das Thema mit dem neuen Haushalt jetzt erledigt?
Vor drei Jahren habe ich gesagt, es ist an manchen Stellen schon fünf nach zwölf, was das Personal im Landesdienst angeht. Wir hatten uns damals von der Zielzahl von 100.000 Mitarbeitern verabschiedet, was der Senat jetzt nachvollzogen hat: Bis 2017 werden 3000 neue Stellen geschaffen. Wir hatten zehn Millionen Euro für Wissenstransfer und eine Ausbildungsoffensive bereit gestellt. Trotzdem erwarte ich, dass man nicht nur mehr Stellen schafft, sondern dass der Innensenator Frank Henkel uns auch mal einen Fahrplan vorlegt. Wie genau ist die langfristige Personalentwicklungsplanung im Land Berlin? Da müsste man mal ein ernsthaftes Konzept vorlegen, das die Grundlage für die nächsten Jahre sein kann. Wie viele Leute scheiden aus? Wie viele muss man ersetzen? Welche Aufgaben muss das Land erledigen? Wo bekomme ich die Auszubildenden her? Zu all diesen Fragen fehlt mir beim Innensenator eine Gesamtstrategie.
Sind sie zufrieden mit dem, was der Senat beim Thema Mieten und Wohnen nachlegt?
Steigende Mieten und Verdrängung sind ein Problem. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Es gibt zu viele Verlierer im Wachstumsprozess der Stadt. Die SPD legt einen Schwerpunkt auf bezahlbare Mieten und Neubau. Wir werden dafür mehr Mittel zur Verfügung stellen. Das muss langfristig gesichert sein.
Reicht das aus, um das Mietenvolksbegehren dazu zu bringen, dass sie auf einen Volksentscheid verzichten?
Der Senat tut viel für den Neubau und den Bestand – zum Beispiel durch die Mietenbremse und das Umwandlungsverbot. Wir hatten im Parlament eine Anhörung mit der Initiative. Auch sonst ist inzwischen mein Eindruck, dass die Initiative bereit ist, sich an wichtigen Punkten zu korrigieren und an einer Lösung mit der Politik interessiert ist.
Der Finanzsenator sagt, es gibt nur zwei Großprojekte zur gleichen Zeit. Derzeit sind das Flughafen und Staatsoper, danach ist das ICC auf der Liste mit 200 Millionen Euro für die Schadstoffsanierung. Ist das so in ihrem Sinne?
Wir werden zukünftige Vorhaben nur dann unterstützen, wenn wir eine belastbare Kostenkalkulation haben. Für das ICC wollen wir maximal 200 Millionen Euro geben und schließen die Beteiligung Privater nicht aus. Es darf kein Fass ohne Boden geben. Wir werden sehen, was die Kostenschätzung ergibt.
Wenn die Kostenschätzung nun aber 300 statt 200 Millionen ergeben sollte, wäre das für sie akzeptabel?
Der Senat geht von 200 Millionen Euro aus. Ich gehe davon aus, dass der Senat Zahlen, die er nennt, seriös untermauern kann. Es muss seriös geplant werden, damit es nicht scheibchenweise zu Kostenerhöhungen kommt wie bei der Staatsoper.
Ein Landesprojekt ist lange und seriös geplant: das ist der Umbau des Flughafengeländes Tegel zu einem Gewerbe- und Technologiepark. Jetzt hieß es, der Senat wolle dieses Projekt nach hinten schieben. Muss man da nicht mehr Tempo machen?
Natürlich. Tegel ist ein ganz wichtiges Projekt. Solche Zukunftsorte sind überaus wichtig für Berlin. Dort gibt es Studenten, Kooperationspartner, Mitarbeiter. Tegel ist ein weiterer Anker für die Berliner Wirtschaft, da sollte es keine weiteren Verzögerungen geben.
Wie viele Wohnungen stellen sie sich denn in Tegel vor?
Unsere Fachpolitiker sprechen von 5000 Wohnungen neben dem Technologiepark.
Der Finanzsenator möchte die Investitionen der landeseigenen Betriebe wie BVG oder Wasserbetriebe bezahlen, indem er Finanzierungsgesellschaften gründet. Was halten Sie von solchen Konzepten?
Es stecken durchaus Risiken in unserem Haushalt. Deswegen ist es wichtig, dass wir das Geld jetzt nicht nur konsumtiv ausgeben, sondern wirklich in die Zukunft investieren. Da sind die landeseigenen Unternehmen ganz wichtig. Nicht gut wäre es, wenn man aus den Gesellschaften das Geld herauszieht.
Genau das ist aber geplant für die Jahre 2019 und 2020, weil ein Defizit droht.
Man darf die landeseigenen Gesellschaften nicht gefährden. In den 90er- Jahren hat man Kapital aus den Unternehmen gezogen, das war nicht gut. Wir können froh sein, wie gut sich BVG oder BSR entwickelt haben. Aus deren Substanz den Haushalt und Mehrausgaben in Berlin zu finanzieren, das stelle ich erst einmal in Frage.
Ihre Fraktion hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das hat Änderungsbedarf beim Neutralitätsgesetz festgestellt, so dass Kopftücher bei muslimischen Lehrerinnen in Schulen und Kitas erlaubt werden müssten. Werden sie das Gesetz ändern?
Das Neutralitätsgesetz ist eine gute Lösung. Aber es gibt eine Rechtsprechung des Verfassungsgerichts. Das sagt, dass man Frauen mit Kopftuch nicht den Lehrerberuf verbieten kann.
Sind sie denn für oder gegen die Möglichkeit, Kopftuch zu tragen?
Ich vertrete eine liberale Haltung und kann mir mehr Vielfalt vorstellen.