Berliner Luft

Berliner Luft aus einer Neuköllner Metzgerei

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Katrin Lange
Marijan Jordan in seinem Erfinderladen in Prenzlauer Berg – zwischen ganz vielen Dosen seiner Berliner Luft

Marijan Jordan in seinem Erfinderladen in Prenzlauer Berg – zwischen ganz vielen Dosen seiner Berliner Luft

Foto: Reto Klar

Ein Österreicher lässt Berliner Großstadtluft in Dosen pressen und verkauft sie als Souvenir – nicht nur an Touristen.

Es sollte ein Neuanfang sein, in einer anderen Stadt. „Für einen Österreicher kommt da nur Berlin infrage“, sagt Marijan Jordan. Er hat schottisch-kroatische Wurzeln und ist in Salzburg aufgewachsen. „Salzburg ist die Dritte Liga Nord und Berlin die Champions League“, versucht sich der 42-Jährige an einer Erklärung. Vor allem wenn man viele neue Ideen hat.

2006 zog er also in die Hauptstadt, und Prenzlauer Berg war genau der Kiez, den er gesucht hatte: kreativ, offen, neugierig. Doch dann passierte etwas, womit er nicht gerechnet hatte: „Ein Stück Heimat fehlte“, sagt Jordan. Die Berge, die Kühe auf der Weide, der frische Landgeruch der Bauernhöfe. Vielleicht auch ein bisschen Methangas. Zu diesem Zeitpunkt hätte er gern eine Dose mit frischer Alpenluft bekommen, erzählt er. Nur so, als Geschenk gegen das Heimweh. Doch es gibt nur die Berliner Luft in Dosen, davon hatte er ja genug.

Optimaler Genuss bei 27 Grad

Das ist sein Auftrag: Seit seinem Studium der Informatik und Kommunikationswissenschaft in Salzburg erfindet er Produkte, die überraschend und originell sind. Das hat er dann auch zu seinem Beruf gemacht, heute nennt er sich Erfinder und Erfinderberater.

Mit der Alpenluft in der Dose erweiterte er also seine Produktpalette. Er war der erste, der den Duft eines Biobauernhofes in ein Blechkorsett presste. Für den Inhalt verantwortlich ist ein Biobauernhof in Oberösterreich, der zwischen Mischgemüse und Tomaten einfach nur Luft in der Dose verschließt. Gestillt wird die Sehnsucht mit dem obligatorischen Bild einer Kuh vor schneebedeckten Bergen und der Warnung vor Methangas.

Doch schon bald wurde Erfinder Marijan Jordan bewusst: So viele Österreicher leiden offenbar nicht unter Heimweh in der Fremde. Was gefragt ist, ist die Berliner Luft. Von Touristen als Souvenir, von Weggezogenen, die sich zurücksehnen und als Geschenk für Freunde, die neu in der Stadt begrüßt werden. Jordan sah sich die Dosen an, die bereits auf dem Markt waren und beurteilte ihre Gestaltung.

Das Ergebnis: „Nicht optimal“, wie er es ausdrückt. Also hat er sich dann doch die Berliner Luft vorgenommen – auf die es kein Patent gibt –, um sie neu zu gestalten. Alles, was jeder Tourist unbedingt in Berlin gesehen und erlebt haben muss, hat er in das Design integriert: ein Stück Mauer, den Fernsehturm am Alexanderplatz, eine Currywurstbude natürlich, die U-Bahn und den Berliner Bären auf einem Leierkasten. Der Leierkastenmann auf dem Bild, der nicht ganz zufällig eine Ähnlichkeit mit Marijan Jordan hat, beschallt selbstverständlich die Straße mit der Berlinhymne „Berliner Luft“ – und die Noten tanzen über das Bild. Dazu verrät ein Knorke-Stempel, dass der optimale Genuss bei 27 Grad liegt. Auf der Rückseite gibt es außerdem einen Serviervorschlag für Berliner Luft als Nachtisch – mit Zutaten wie Himbeeren, Grenadine und Champagner ein garantierter Genuss.

Nachdem die Dose mithilfe eines Grafikers neu gestaltet wurde, musste ein Hersteller gefunden werden. Das war gar nicht so einfach. Mit kleinen Serien von 200 Stück geben sich große Abfüller schließlich gar nicht erst ab. Also musste der Erfinder einen kleinen Betrieb finden, der seine Maschine kurz freimachen kann. Und so saß er eines Tages schließlich mit seinen ersten fünf Kartons der neu designten Dose in einem Taxi. Ziel war ein Neuköllner Metzger. Der hat eine halbautomatische Dosen-Abfüllanlage, mit der er sonst Gulasch konserviert.

Berliner Luft aus einer Neuköllner Metzgerei? „Natürlich hat er die Maschine zwischendurch gereinigt“, sagt Jordan, als er den fragenden Blick sieht. Und Luft sei schließlich Luft, egal wo in Berlin. Das sehen Experten sicher anders. Doch mittlerweile lässt der 42-Jährige seine Dosen auch von anderen Abfüllern in anderen Bezirken verschließen, auf Anlagen, bei denen vorher zum Beispiel Bohnen, Erbsen oder Mais über das Band liefen.

Heute gehört seine Berliner Luft (Kostenpunkt: 4,95 Euro) zum festen Sortiment in seinem Erfinderladen in Prenzlauer Berg. „Manche kaufen die Dose als Mitbringsel für den kompletten Freundeskreis“, sagt Mitarbeiterin Kathrin Henneberger. Die konservierte Luft sei auch ein Neidfaktor, ergänzt ihr Kollege Eric Mieth. Oder diene dazu, Freunde einzuladen, die lange nicht mehr in Berlin waren. „Ist da wirklich Berliner Luft drin?“ – ja, diese Frage hätten sie auch schon zu hören bekommen. Es ist auch vorgekommen, dass einer die Dose aufgemacht und sich beschwert hat, dass nichts drin sei.

Die „Berliner Luft“ steht zwischen Hunderten anderen Scherzartikeln oder Souvenirs. Da ist zum Beispiel eine schwarze Tasse, Marienerscheinung genannt, weil sie sich mit heißem Tee oder Kaffee weiß färbt und das Madonnen-Bildnis zeigt. Oder es gibt einen Büroschlaf-Aktenordner, in dem ein kleines Kissen abgeheftet ist. Und ein Milchpuzzle mit 266 glatt-weißen Teilen findet man auch hier.

Die drei Artikel stammen alle aus der Ideenschmiede von Marijan Jordan und seinem Kollegen Gerhard Muthenthaler. Andere Produkte wie ein Berlin-Kamm, in dem alle Wahrzeichen der Stadt am Griff eingearbeitet sind, ein Frust-Schutzmittel und ein Solar-Schlüsselanhänger zum Handy aufladen haben die beiden oft als Erfinderberater betreut – also den Weg von der Idee bis zur Marktreife geebnet. Mehr als 800 Läden beliefern sie heute weltweit.

Immer eine Dose im Regal

Seit 17 Jahren ist Marijan Jordan im Geschäft mit den Erfindungen. Angefangen hat es im Studium, als er und ein Kommilitone die Idee für ein Brettspiel hatten, aber keinen Ansprechpartner fanden, um ihre Kreativität umzusetzen. Ebenfalls vom Winde verweht ist die Idee einer Kontaktuhr. Die sollte persönliche Daten seines Trägers speichern, wie zum Beispiel „tanzt gern Tango“ oder „hasst Krümel im Bett“. Sobald diese Angaben mit einem anderen Kontaktuhrenträger übereinstimmen, sollten die beiden Zeitmesser miteinander kommunizieren. Es sollte eine Art Singlebörse sein, im Zeitalter des Internets. „Das Netz entfernt die Menschen, jeder sitzt in seinem Kämmerlein“, sagt der Erfinder. Er hatte einige Termine, unter anderem bei einem großen Schweizer Uhrenhersteller. Doch schließlich scheiterte es am Eigenkapital von 120.000 D-Mark. So ist Marijan Jordan selbst Erfinderberater geworden.

Für den Fall, dass ihn das Heimweh nach Österreich packt, hat er immer eine Dose Alpenfrische im Regal.

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