Berlin. Lange Schlangen vor einem Container. Bei Wind und Wetter warten Männer, Frauen und Kinder in Moabit. Anwohner schildern die Situation.

Wenn Lasse Walter an diesem Morgen auf seinem Balkon steht, dann sieht er dem Flüchtlingsproblem wieder ins Auge: Bis zur Straße ziehen sich die Schlangen mit den Asylsuchenden, die vor dem behelfsmäßigen Container des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) an der Turmstraße in Moabit warten. „Stundenlang, bei Wind und Wetter“, sagt der 36-Jährige. 15 Grad misst das Thermometer an diesem Vormittag.

Es ist windig. Einige Wartende haben sich in Decken gehüllt. Mütter mit ihren Kindern sitzen auf der Grasnarbe hinter den rotweißen Absperrungen. Babys schreien. Die meisten Erwachsenen starren zu Boden. Ab und zu setzt sich die Schlange für ein paar Schritte in Bewegung. Dann wieder Stillstand. Syrer, Albaner, Serben, Bosnier stehen hier dicht an dicht. Manchmal mehrere hundert Menschen. Seit früh um sechs harren sie hier im Innenhof aus, erst um acht Uhr öffnet die Behörde. Manche werden erst am Nachmittag bis zur Antragsannahme durchkommen. Die Stimmung ist angespannt.

„Wie in einer übervollen Bahnhofshalle ist das hier“, sagt Lasse Walter, der als selbstständiger Marketingberater nebenan im zweiten Stock wohnt und arbeitet. Er ärgert sich, dass die Flüchtlinge täglich mehrere Stunden im Freien stehen. Wütend ist er aber nicht auf die Asylbewerber, sondern auf das Landesamt. „In jeder anderen Behörde läuft das geordneter ab als hier“, sagt er. „Die Tausende Flüchtlinge, die jeden Monat nach Berlin kommen, die haben wir direkt unterm Balkon.“

Seit Monaten überlastet

Walter wollte nicht länger zusehen. Im April schrieb er eine erste Beschwerde-E-Mail an den Lageso-Präsidenten Franz Allert und Sozialsenator Mario Czaja (CDU). „Unmenschlich“ sei es, die Leute im Freien stehen zu lassen. Außerdem seien die hinteren Balkone seines Wohnhauses „nicht mehr benutzbar, wenn man von mehreren hundert wartenden Menschen beobachtet wird“, schrieb er. Im Juni, etwa anderthalb Monate später meldete sich das Beschwerdemanagement zurück, die Verwaltungsgebäude seien „seinerzeit nicht für diese Kundenströme konzipiert worden“. Auf Walters Vorschlag, ein effizienteres Wartenummernsystem einzuführen, kam keine Reaktion. Am Donnerstag hat sich Walter erneut an die Behörde gewandt – und diesmal auch an die Medien.

Zum Landesamt kommen täglich bis zu 1900 Asylbewerber. Manchmal ist es dort so überlaufen, dass die Behörde Neuankömmlingen zunächst nur einen Wohngutschein zuteilt. Mit dem dürfen sie in Berliner Hostels übernachten. Einen freien Schlafplatz müssen sie sich dann aber selber suchen. Das Lageso ist seit mindestens einem Jahr derart überlastet. Im vergangenen September musste die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber sogar für einige Tage geschlossen werden, weil die Mitarbeiter zunächst den über mehrere Wochen aufgelaufenen Antragsstau abarbeiten mussten. Die Zahl der Asylanträge sei förmlich explodiert, sagte Sozialsenator Czaja damals. Der Anstieg sei nicht vorhersehbar gewesen. Im Sommer und Herbst vergangenen Jahres nahm Berlin erstmals mehr als 1000 Flüchtlinge pro Monat auf.

Zwölf-Stunden-Tage keine Ausnahme

Doch diese Zahlen sind inzwischen Geschichte. Im Mai kamen fast 1900 neue Flüchtlinge nach Berlin, über tausend mehr als im Mai 2014. Im Juni wurden 2830 Zugänge registriert, fast 2000 mehr als ein Jahr zuvor. Eine Folge dieser Situation ist, dass die Mitarbeiter in der ZAA jeden Tag weit über die eigentlichen Öffnungszeiten hinaus arbeiten. Für sie seien Zwölf-Stunden-Tage keine Ausnahme mehr, erklärte die Senatssozialverwaltung.

„Die enorm ansteigenden Zahlen der Asylbewerber stellen das Lageso vor immense Herausforderungen. Die Mitarbeiter im Flüchtlingsbereich leisten tagtäglich eine große und nicht einfache Arbeit, um den Publikumsverkehr in der Turmstraße zu bewältigen“, sagte Czaja der Berliner Morgenpost. Der erreiche derzeit bis zu 1900 Gespräche pro Tag.

Im Lageso werde zudem intensiv daran gearbeitet, „die Situation sowohl für die Flüchtlinge als auch für die Mitarbeiter zu entlasten“. Dies geschehe vor allem durch die Einstellung von weiterem Personal für die Zentrale Aufnahme- und die Leistungsstelle sowie durch Erweiterung der Büroflächen.

Das ewige Hase-und-Igel-Spiel

Zunächst wurde das Personal in den Bereichen, in denen die materiellen Leistungen verwaltet und Unterkünfte für Asylbewerber organisiert werden, auf 130 Mitarbeiter aufgestockt. Mehr als 70 weitere Stellen verabredete Czaja zudem im Vorgriff auf den neuen Doppelhaushalt 2016/2017 mit der Senatsfinanzverwaltung. Sie sind im kommenden Landesetat verankert. Abhilfe gegen die Raumnot wird nun an der Turmstraße ebenfalls geschaffen. Laut Sozialverwaltung zögen Teile der Gesundheitsabteilung aus dem Hauptgebäude, um Platz für den Asylbereich zu erhalten.

In der Vergangenheit errichtete das Lageso Büro-Container, um des Andrangs Herr zu werden. Für die Flüchtlinge wurde ein großes Zelt aufgestellt, weil die Warteräume nicht ausreichten. Doch bislang hat der Anstieg der Flüchtlingszahlen jede dieser Verbesserungen wieder wettgemacht, es mutet an wie das ewige Hase-und-Igel-Spiel. Und so müssen Asylbewerber an der Turmstraße vorerst weiterhin stundenlang warten, selbst wenn sie nur eine Bescheinigung für eine Behörde oder einen Krankenschein brauchen. Die Bearbeitungszeiten reichten bis in den Abend hinein, bestätigte die Sozialverwaltung, anders sei der enorme Andrang nicht zu bewältigen.