„Schrebergarten, das ist nur was für Menschen mit Arthrose“, dachte Wolfgang Krüger noch bis vor vier Jahren. Inzwischen trifft man den Psychotherapeuten häufiger in Latzhosen und Strohhut zwischen Bohnenstangen und Kräuterkübeln an.
So wie an diesem Vormittag, als er über frisch gemähten Rasen steigt und Johannisbeeren pflückt. Eine Mauer aus gestutzter Hecke und sauber geordneten Brennholzstapeln verschluckt den Verkehrslärm.
Vier Tage in der Woche verbringt der Berliner nahe dem Mierendorffplatz im Schrebergarten, den er mit seiner Partnerin hat. „Der Garten hat mir ein inneres Maß verschafft“, sagt er. Und darüber hat er ein Buch geschrieben.
Schrebergarten ist spießig
Krügers Bekehrung zum eingefleischten Schrebergärtner ging eine tiefe Abneigung voraus. Prollig und kitschig sei das, in einen Topf zu werfen mit Gartenzwergen und Neuschwanstein. Die Schrebergärtner, das waren die gleichen Spießer, die ihren Alltagsfrust in altmodischen Schlagern und Rotweinpartys ertränkten. So ein Spießer wollte der 67-Jährige nie sein.
Dann bat ihn ein Freund, für vier Wochen auf seine Datsche südlich von Köpenick aufzupassen. Morgens Blumen gießen, nachmittags in der Sonne dösen. „Das klang nach Urlaub vor der Haustür“, sagt Krüger. Doch nach ein paar Tagen zwischen sauber gemähten Rasenflächen und Gartenhäuschen von der gesetzlich vorgeschriebenen Maximalhöhe von 2,60 Metern fühlte sich das Urlaubsdomizil mehr „wie ein Käfig“ an: „Was man da alles mitbekam: Links von mir hörte ich, wie groß der Hundehaufen ist, rechts von mir die Angebote beim Supermarkt.“
Manchmal drehte ein Nachbar das Kofferradio hoch, weil er gerade Ehekrach hatte. Krüger wagte die Rebellion. Eine Woche lang mähte er den Rasen nicht. Die Gänseblümchen, die durch das Gras wuchsen, sahen doch nett aus. Auch die Brennnesseln im Blumenbeet ließ er stehen – „wegen der Schmetterlinge“, sagt er. Am nächsten Morgen lag ein Zweig vor seiner Tür: Die Ansage in einer Kleingartenkolonie, sich besser an die Regeln zu halten. Nach vier Wochen wusste Krüger: Diese zwanghafte Welt war nicht seine.
Zum Frühstück unterm Pflaumenbaum
Doch dann lernte der Paartherapeut vor vier Jahren seine Partnerin kennen, eine Berliner Künstlerin – eine Frau mit Schrebergarten. Krüger hatte Zweifel. Aber als er die Laube betrat, da passierte es: Er fühlte sich an einen Kindheitstraum erinnert. Zum Frühstück unter einem Pflaumenbaum sitzen und dabei Kaffee trinken, das wollte er immer schon. „Und das Verrückte war: Hier gab es einen“, sagt er. Statt penibel gepflegter Hecken sprossen wilde Rosen, Gräser und Tomatenpflanzen aus der Erde. Über den Gartenzaun fielen keine Ermahnungen, den Rasen zu mähen, sondern „ungezwungene Fünfminuten-Gespräche, die man sonst nur vom Dorf kennt“. Da merkte Krüger, dass Schrebergarten auch anders funktioniere.
Früher habe er acht Stunden am Tag den Bildschirm angestarrt. Jetzt sitzt er mit seinem Laptop meistens auf einer Bank auf der Südseite. Vor ihm auf dem Tisch steht selbst angesetzter Holundersirup. Am Ende des Gartens summt es aus einem Bienenstock, der jedes Jahr viele Liter Honig einbringt. „Ich spüre, wie der Wind weht. Sehe, wie die Zweige sich bewegen“, sagt er. Er glaubt, dass ihn der Schrebergarten verändert hat. „Es erdet einen. Man bekommt wieder ein Gespür für die Zeit.“
„Großstädte brauchen eine Schneise der Ruhe“
Mittlerweile sei Krüger „richtiggehend missionarisch“ geworden. Seine Verwandtschaft und seinen Freundeskreis habe er gefragt, ob sie sich um eine Parzelle bewerben möchten. In seiner Kolonie arbeitet er als Vorstand und kümmert sich um die Buchhaltung. „Viele Leute denken wie ich damals, dass Schrebergärten langweilig sind“, sagt er. „Und das Schlimme ist, es stimmt ja teilweise.“
Krüger will, dass neue Bewohner in die Parzellen einziehen und sie verändern. „Großstädte brauchen eine Schneise der Ruhe“, sagt er. „So viele Menschen im sozialen Miteinander haben viel mehr seelische Probleme“, sagt er. Seit er viel Zeit in der Laube verbringe, sei er ruhiger geworden. „Man sieht, wie langsam die Dinge wachsen“, sagt er. Der Schrebergarten habe ihn, den Psychotherapeuten, therapiert.
Dr. Wolfgang Krüger: „Tomaten, Nachbarn, Gartenzwerge – Wie ich Laubenpieper wurde.“ Books on Demand, 8,40 Euro.