An Tag zwei der schwelenden Koalitionskrise haben sich die Fronten verhärtet. Die CDU droht mit dem Bruch des Bündnisses mit der SPD, sollte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Freitag im Bundesrat die Hand heben für den Antrag, die Ehe für Homosexuelle zu öffnen. Vonseiten der SPD gab es am Mittwoch keine belastbaren Hinweise darauf, wie sich der Senatschef in der Länderkammer verhalten wird. „Die Frage ist noch offen“, sagte Senatssprecherin Daniela Augenstein. In Berlin leben nach offiziellen Angaben rund 250.000 Homosexuelle und es gibt 13.000 eingetragene Lebenspartnerschaften.
Am Donnerstag wird es im Abgeordnetenhaus einen Vorgeschmack geben. Die Opposition hat eine Entschließung beantragt, mit der Berlin die Öffnung der Ehe unterstützt. Die SPD-Fraktion hat aber am Dienstag entschieden, das Bündnis mit der CDU nicht weiter zu belasten, und wird mit dafür sorgen, dass der Antrag in den Rechtsausschuss geschoben wird. Dennoch wird es eine Redeschlacht zur Sache geben. Die Fraktionschefs Raed Saleh (SPD) und Florian Graf (CDU) wollen sprechen.
Kommentar: Eine Koalition in der Krise
Saleh ist für die Homo-Ehe. Er wird der CDU ihre Zögerlichkeit vorhalten, dann aber einlenken und darlegen, warum sich die Parlamentarier eben doch an die üblichen Gepflogenheiten halten und nicht gegen den Partner stimmen werden. Salehs Position war immer, dass der Senat seine Konflikte auch im Senat austragen sollte. Deshalb lässt er den Ball in Müllers Feld liegen.
Grafs persönliche Position zur Homo-Ehe ist offiziell nicht bekannt. Vor der noch im Juli angestrebten Mitgliederbefragung zu dem Thema hält er sich wie die anderen CDU-Prominenten mit öffentlichen Äußerungen zurück. Er wird darauf hinweisen, dass es schlechter Stil sei, dem Koalitionspartner keine Zeit zu einer basisdemokratischen Entscheidungsfindung zu lassen. Gespannt sein darf man, ob Müller in die Debatte eingreift und sein Verhalten für den Folgetag im Bundesrat preisgibt. Er dürfe immer reden, hieß es aus der SPD. Der Regierungschef muss zudem damit rechnen, dass ihn die Opposition schon in der Fragestunde zu einer klaren Aussage nötigt, was er am Freitag zu tun gedenkt. Je nachdem, wie sich Müller entscheidet, sind folgende Szenarien denkbar:
Müller stimmt für Homo-Ehe
Sollte der Senatschef die Koalitionsraison vernachlässigen und im Bundesrat zum Tagesordnungspunkt 47b dem Antrag der rot-grün- und rot-rot-regierten Länder für die „Ehe für alle“ die Hand für das Land Berlin heben, stünde CDU-Landeschef Frank Henkel unter massivem Druck. Er möchte am Sonnabend beim Landesparteitag wiedergewählt werden. Nach seinen Vorankündigungen bliebe Henkel nur, die Koalition aufzukündigen, wenn er nicht als „lahme Ente“ dastehen möchte. Dabei hat die CDU in diesem Falle objektiv mehr zu verlieren als die SPD. Die Sozialdemokraten haben andere potenzielle Bündnispartner. Grüne und Linke stünden bereit, um zumindest bis zu Neuwahlen einzuspringen. Mit beiden Parteien könnte Müller. Wie Teilnehmer berichten, hatte er lange Widerstand geleistet, als 2011 sein Vorgänger Klaus Wowereit den Hebel umlegte und statt des von der Partei erhofften und von vielen erwarteten rot-grünen Bündnisses die Hand zur CDU ausstreckte. Bei Neuwahlen, womöglich im Herbst, könnte Müller immer noch als frischer Neuling punkten und von seinen guten persönlichen Sympathiewerten profitieren, die er womöglich einbüßt, je länger seine Amtszeit dauert. Für den Mut, den ungeliebten Koalitionspartner losgeworden zu sein, dürfte ihm der Dank seiner Parteifreunde gewiss sein. Außerdem ginge er dem Risiko aus dem Weg, dass das Volksbegehren zur Mietenpolitik parallel zum regulären Wahltermin im Herbst 2016 schlechte Stimmung gegen den Senat und das sozialdemokratische Kernprojekt Wohnungsbau und Mieten machen kann. Er liefe jedoch Gefahr, dass die Wähler ihm den Koalitionsbruch anlasten und die SPD abstrafen.
Henkel und die CDU stünden nach einem forcierten Ende von Rot-Schwarz ziemlich alleine da. Das eigentliche Wunschbündnis mit den Grünen ist nicht vorbereitet, sodass die Rückkehr auf die Oppositionsbank vorgezeichnet wäre. Die Christdemokraten müssten auch ihrer eigenen Klientel erklären, warum sie wegen eines Symbolthemas wie der Homo-Ehe die Stadt einem Linksbündnis überlassen.
Müller enthält sich
Bleibt Müllers Arm unten, ist die Koalition gerettet, aber Müller hätte verloren. Henkel würde auf seinem Parteitag für seine Unnachgiebigkeit gefeiert. Der Regierungschef müsste sich beim zeitgleich stattfindenden Konvent der SPD sicher kritische Anmerkungen gefallen lassen. Seine innerparteilichen Gegner würden sich bestätigt sehen in ihrer Einschätzung, dass Müller eben doch zu weich und unentschlossen sei, wenn es ernst wird. Und viele werden sich fragen, was die politische Inszenierung dieser Woche denn sollte und warum die „Ehe für alle“ nicht wie jedes andere strittige Thema auch in der Senatssitzung vor dem Bundesrat geklärt wurde. Dann wäre Berlin zwar nicht die Avantgarde in der Gleichstellung von Homosexuellen, die viele Sozialdemokraten gerne wären. Aber es wäre auch keine so bedeutende Neuigkeit, wenn sich ein koalitionsregiertes Land enthalten würde. Das Gleiche wird das von CDU und Grünen regierte Hessen auch tun, und auch in Frankfurt am Main gibt es eine große Schwulenszene.
Berlin stimmt nicht einheitlich
Theoretisch ist denkbar, dass Müller mit Ja stimmt und Henkel dann interveniert und ein Nein zu Protokoll gibt. Ähnliches geschah 2002, als es im Bundesrat ums Zuwanderungsgesetz ging. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) erklärte seine Zustimmung für das Land, sein Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sagte Nein. Der damalige Bundesratspräsident Klaus Wowereit wertete das als Ja von Brandenburg, das Bundesverfassungsgericht später als Enthaltung. Dass Berlin wissentlich einen solchen Eklat produziert, ist jedoch schwer vorstellbar.