Von der Flüchtlingsunterkunft bis zum Studentendorf: Berlin entdeckt das Wohnen im Container für sich. In Berlin-Schöneweide experimentiert Christian Bickelmann mit ausgedienten Hochseecontainern.

Die Zukunft beginnt mit Jenga-Steinen. Christian Bickelmann schiebt kleine Holzklötze über die Tischplatte, stapelt sie über-, hinter und nebeneinander. Was nach Spielzeug aussehen mag, sind für ihn die Grundsteine seiner Arbeit. „Wenn ich die zum Beispiel so hier übereinanderlege, wird das schon schwieriger.“ Mit „schwieriger“ meint Bickelmann vor allem: schwerer.

Denn macht sich der Mittdreißiger mit der geringelten Wollmütze richtig an die Arbeit, legt die hölzernen Miniaturmodelle weg und hantiert mit seinem wirklichen Material: tonnenschwere Schiffscontainer. In seiner Werkstatt wird aus den riesigen Boxen, in denen sonst Kleidung, Technik oder Müll über die Weltmeere reisen, etwas Neues: Architektur.

Von der Flüchtlingsunterkunft in Köpenick bis zum Studentendorf in Treptow: Berlin entdeckt das Wohnen im Container für sich. In den kommenden Monaten sollen in der Stadt weitere Containerdörfer für Flüchtlinge errichtet werden. Während diese Projekte vornehmlich aus Wohn- oder Bürocontainern entstehen, wird andernorts weiter experimentiert: mit ausgedienten Hochseecontainern.

Wie im Hamburger Hafen

Mitten in Schöneweide liegt das „Spreeknie“. Die Szenerie der Werkhalle der Boots- und Containermanufaktur erinnert an den Hamburger Hafen: Vor der sandfarbenen Werft türmen sich blaue, rote und grüne Frachtcontainer, auf manchen prangen chinesische Schriftzeichen.

Bickelmann, der Projektleiter für Containerarchitektur, stapft mit seinen schweren Arbeitsschuhen über den staubigen Boden Richtung Werkstatt. Über den donnernden Lärm von Metall auf Metall und kreischenden Sägen hinweg ruft er seinem Team aus Karosserieschlossern, Schweißern, Kfz-Mechanikern und Bootsbauern Anweisungen zu. Hämmer krachen auf Stahl, es wird geflext und geschweißt. Bickelmann zeigt auf einen frisch lackierten Metallkasten ganz in Schwarz. Sein neuestes Projekt.

Aus dem Frachtcontainer haben er und seine Mitarbeiter Wandteile herausgesägt, Strom- und Wasseranschlüsse eingebaut. „Der Kunde baut sich dann hier noch seinen Tresen rein und verkauft damit dann Bier auf Festivals. Oben drauf hat er eine kleine Terrasse. Da braucht er nur einmal Grundfläche und kann sie doppelt nutzen.“ Die Terrasse, eine zusammenklappbare Metallkonstruktion mit Geländer und Treppe, ist gerade fertig geworden, erklärt Bickelmann. „Das Ganze ist dann am Ende ein Riesenhingucker.“ Damit daraus ein Hingucker wurde, mussten Bickelmann und seine Leute bis zu 300 Arbeitsstunden in den Ausschank-Container stecken.

Container aus zweiter Hand sind zu riskant

Als der Container im Winter ankam, war er noch blau und an allen Seiten zu. Er hat eine lange Reise hinter sich: In China wurde er gefertigt, von einer europäischen Reederei für eine Fahrt gemietet und direkt nach Ankunft und Löschen in Hamburg weiterverkauft, für etwa 2500 Euro. Fast neu also. Die wenigsten Bauten, die in der Container Manufaktur angefertigt werden, sind aus wirklich alten, ausrangierten Containern. Bickelmann sind Container aus zweiter Hand zu riskant: „Weiß man ja nicht, was die da drin transportiert haben in den letzten zehn, 15 Jahren. Drogen, Waffen? Und dann kommt der hier an und ein entscheidendes Teil ist vielleicht schon verbogen.“

Bisher hat die Container Manufaktur Messestände, Ausstellungsräume, Werbewände gebaut. Mal für Mode-Designer Tommy Hilfiger, mal für das Berlin Musik Festival. Jedes Teil ein Unikat. Bald könnten, wenn es nach Firmenchef Nils Clausen ginge, auch langfristige Wohngelegenheiten hinzukommen. Upcycling nennt er das, was er mit den Schiffscontainern tut: sie immer neu erfinden, umbauen.

Vor fünf Jahren hat er die Manufaktur gegründet. Seine Werkhalle, in der er und seine Mannschaft bis heute über die Wintermonate historische Motorboote und Jachten restaurieren, hatte im Sommer meist leergestanden. Also beschloss er, nach Berlin zu holen, was in anderen Metropolen der Welt längst Alltag ist: die Containerarchitektur. Der studierte Architekt weiß: „Man kann mit Hochseecontainern auch permanente Häuser bauen.“

Reich der fünf Schritte

Dass das schon geschieht, erlebt man nur knappe zwei Seemeilen flussabwärts. Paul Riebe macht sich Abendbrot. Spaghetti mit Tomatensoße. Sein Zuhause ist ein lang gezogener Schlauch, mit fünf Schritten geht er vom Bad, vorbei an Küchenzeile und Schreibtisch bis zu seinem Bett. Mehr gibt es nicht. „Mir reicht das“, sagt der 18 Jahre alte Student für Game Design.

Paul wohnt in Frankie. Frankie, das ist das rostrote Studentenwohnheim im Plänterwald. Es wurde aus Schiffscontainern gezimmert, wie Bickelmann und Clausen sie in der Container Manufaktur bearbeiten. Auf dem Bausand hinter Frankie sollen bald die nächsten Containerhäuser stehen und irgendwann zu einem Frachtcontainerdorf mit Grillplätzen und Grünanlagen anwachsen. Ein Schweizer Architekturbüro hatte die Vision eines Studentendorfes aus Containern, für die 26 Quadratmeter großen Einzel-Apartments zahlt ein Bewohner 389 Euro im Monat.

Abgesehen vom ungewöhnlichen Grundriss merkt man innen nicht, dass man in einer überdimensionalen Transportbox steht, die schon tausende Kilometer Schiffsreise hinter sich hat. Die Wände sind wärme- und schallisoliert; Strom, Wasser und Internet funktionieren einwandfrei. Durch die verglaste Hinterwand fallen Sonnenstrahlen in die Einzimmer-Wohnung. Containerwohnen als Alternative zu Häusern aus Stein und Stahlträgern? „Es ist eigentlich nicht anders als in einer normalen Wohnung“, sagt Paul und zuckt mit den Schultern.

Bis auf die Fassade. Rotbraun zieht sich Rost über die ganze Außenwand, vier Stockwerke in die Höhe. In Zukunft soll er noch dunkler werden – alles eingeplant. Bickelmann, den Container-Fachmann aus Schöneweide, freut der Rost an den Metallwänden: „Die Container sind aus Cortenstahl. Der rostet nur an der Oberfläche und bildet so eine Schutzschicht. Wird also nie durchrosten. Nie!“