Mario Czaja gilt als Hoffnungsträger der Berliner CDU. Nicht wenige sehen in dem 39-Jährigen aus dem östlichen Ortsteil Mahlsdorf den kommenden Mann der Partei. Aber der eloquente Betriebswirt hat ein Problem. Als Sozialsenator ist er zuständig für das wohl schwierigste Thema, das die Berliner Landespolitik derzeit zu bieten hat: die Unterbringung einer immer weiter steigenden Zahl von Flüchtlingen und besonders die Zustände im völlig überlasteten Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), wo es eine ungewöhnliche Nähe zwischen behördlichen Entscheidern und privaten Auftragnehmern gibt.
Es ist vor allem seine Kommunikationspolitik über die Missstände in dieser nachgeordneten Behörde, die Czaja in Bedrängnis bringt. Denn dass im Lageso vieles im Argen liegt, ist offenkundig. Zahlreiche Heime werden ohne ordentlich ausgehandelte Verträge betrieben. Die Stadt reicht Millionen Euro auf unklarer Grundlage an Betreiber aus. Czaja selbst räumt ein, dass die Behörde ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen könne. Staatsanwälte, Rechnungshof, Wirtschaftsprüfer und interne Revision ermitteln zum Teil seit Monaten, um diese für eine deutsche Behörde sehr unübliche Praxis aufzuklären, ohne dass Czaja vorliegende Ergebnisse bekannt machte. Und auch eigentlich gut gemeinte Aktionen wie der runde Tisch zur Flüchtlingsfrage vergangene Woche sorgen für Ärger. Czaja wollte das Treffen mit 45 Teilnehmern zum Entscheidungsgremium aufwerten. Der Widerspruch der SPD verhinderte dies. Czaja soll zuständig bleiben.
Auch die SPD ist verärgert
Der Christdemokrat stößt potenzielle Alliierte vor den Kopf, die er doch eigentlich braucht für sein Bestreben, die Aufnahme von Flüchtlingen zu einem Anliegen der gesamten Stadt zu machen. „Wir sind verärgert“, hieß es auch in Kreisen des Koalitionspartners SPD. Und die CDU schwieg, als Czaja am Mittwochmorgen im Sozialausschuss unter dem Feuer der Opposition stand.
Die Sondersitzung, die Grüne, Linke und Piraten durchgesetzt hatten, bezeichnete Czaja als „Effekthascherei“ und ließ die vielen Fragen der Opposition an einer Mauer des Schweigens abprallen. Informationen über die Lage im Lageso und über die zweifelhafte Gestaltung von Verträgen blieb Czaja schuldig. Er verwies auf den Schlussbericht der Wirtschaftsprüfer, die die Vergabe von 16 Aufträgen an die privaten Betreiber Pewobe und Gierso untersuchen. Diese Kontrakte sollen nun noch mit sechs Verträgen mit anderen Betreibern abgeglichen werden. Der Bericht solle nun um „Handlungsempfehlungen“ für die Behörde erweitert werden und am 17. Juni mit dem Senator besprochen werden. Danach soll es dann wieder eine Ausschusssitzung geben. Ob die Öffentlichkeit etwas über die Inhalte des Prüfberichtes erfahren soll, blieb unklar.
Czaja lehnte es ab, über Zwischenberichte der Prüfer Auskunft zu geben. Stattdessen verwies er auf 87 schriftliche Anfragen aus dem Parlament, die sein Haus bereits beantwortet habe. Dennoch blieb bei den Parlamentariern der Eindruck, von Czaja hingehalten zu werden.
Am Dienstag vergangener Woche hatte der Senator sich mit einem Hilferuf an die Senatskollegen gewandt, um zusätzliches Personal aus anderen Ressorts ins Lageso zu holen. In diesem Zusammenhang waren aus Koalitionskreisen Informationen bekannt geworden, dass die Prüfer bei allen der untersuchten Verträge Mängel festgestellt haben sollen. Czaja wollte darüber zwar nichts sagen. Dennoch verwies er darauf, dass schon wegen des Zwischenberichts der Prüfer die Fachaufsicht mit den Lageso-Mitarbeitern über Änderungen des Verwaltungshandelns gesprochen werde. Was verändert werde, sagte Czaja nicht.
Wegen des wachsenden Zustroms von Flüchtlingen muss das Lageso oft sehr kurzfristig neue Unterkünfte in Betrieb nehmen, ehe die Details abschließend geregelt sind. Czaja selbst hatte vergangene Woche den Senat informiert, dass von etwa 60 Flüchtlingsheimen derzeit 33 entweder ohne Vertrag betrieben werden oder dass eine Vertragsverlängerung ansteht. Der Senator sagte im Ausschuss, dass in 22 Fällen nur vorläufig verhandelte Tagessätze gezahlt würden.
„Ab jetzt geht es um Ihren Kopf“
Die Abgeordneten reagierten unzufrieden, zumal Czaja bisher stets um Unterstützung auch der Opposition in der schwierigen Flüchtlingsfrage geworben hatte. Der Grünen-Abgeordnete Heiko Thomas erhöhte den Druck auf den Christdemokraten. Er könne ja Czajas Hilferuf angesichts der Schwierigkeiten im Lageso verstehen, sagte Thomas. „Aber ab heute tragen Sie die komplette Verantwortung alleine“, sagte der Grüne und ärgerte sich über Czajas Vorwurf der „Effekthascherei“. Mit dieser Äußerung sei Czaja jetzt „ganz alleine“, sagte Thomas: „Alles was jetzt passiert, werden wir nur noch Ihnen vor die Füße rollen. Ab jetzt geht es um Ihren Kopf.“
Der Pirat Alexander Spies verstand die Geheimniskrämerei nicht. „In dem Bericht müssen ja schreckliche Dinge drin stehen“, sagte der Abgeordnete. Die CDU hielt sich in der Sitzung zurück. Es gab von der Union nur eine Wortmeldung. Zu den Angriffen der Opposition gab es kein Wort der CDU-Parlamentarier.
Pirat Fabio Reinhardt, der sich ausgiebig um die Flüchtlingsthematik kümmert, warf Czaja vor, seine Behörde nicht im Griff zu haben. Er machte seinen Angriff fest an der Frage, wem denn das Grundstück an der Haarlemer Straße in Neukölln gehöre. Berlin hat darauf ein Flüchtlingsheim errichtet, der Betreibervertrag mit der Firma Pewobe läuft aber nur bis Ende 2015. Czaja konnte lange nicht sagen, mit welchem neuen Eigentümer das Land denn nun verhandeln müsse, um einen drohenden Abriss des acht Millionen Euro teuren Gebäudes nach kaum zwei Jahren zu verhindern. Erst auf mehrfache Nachfrage ließ sich Czaja den Namen eines Luxemburger Fonds entlocken, mit dem das Lageso über eine Nutzung des Geländes verhandeln werde.
Für die SPD sagte die Abgeordnete Ülker Radziwill, auch sie wolle mehr Informationen. Nikolaus Karsten (SPD) fragte, ob es sichergestellt sei, dass dem Land Berlin in der Zwischenzeit bis zur Vorlage des Wirtschaftsprüferberichts und der Umsetzung der daraus folgenden Handlungsempfehlungen kein Schaden entstehe. Czaja erwiderte, es sei seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dem Land kein Schaden entstünde.