Jugendarbeitslosigkeit

Jeder dritte Berliner Auszubildende bricht seine Lehre ab

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Andreas Abel

Foto: Daniel Naupold / dpa

Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Berlin besonders hoch. Mit effektiverer Beratung und mehr Angeboten wollen Senat und Berliner Wirtschaft jungen Leuten den Weg ins Berufsleben künftig erleichtern.

15.500 Berliner im Alter von 15 bis 24 Jahren waren Ende vergangenen Monats arbeitslos gemeldet. Die Quote betrug exakt zehn Prozent. Im bundesweiten Vergleich liegt Berlin damit zwar immer noch im Spitzenfeld, doch auf den zweiten Blick ist es eine eher gute Nachricht. Denn vor zwei Jahren, im April 2013, waren fast 20.000 arbeitslose Jugendliche bei der Bundesagentur für Arbeit registriert. Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) wertet die Entwicklung im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit als Erfolg. Kurz bevor sie Ende 2011 ihr Amt antrat, lag die Quote noch bei 14 Prozent. Bundesweit sank sie in diesem Zeitraum lediglich von sechs auf 5,2 Prozent.

Der Anteil derer unter den jungen Arbeitslosen, die keinen Schulabschluss haben, ist allerdings in Berlin kontinuierlich gewachsen. Statistiken der Bundesanstalt für Arbeit, die der Berliner Morgenpost vorliegen, belegen eindeutig, wie wichtig Schul- und Berufsabschlüsse sind, damit junge Menschen nicht in die Arbeitslosigkeit abrutschen. Im April 2013 hatte exakt jeder zehnte jugendliche Arbeitslose keinen Schulabschluss, ein Jahr später waren es bereits 13,3 Prozent und im April dieses Jahres 15,8 Prozent. Bei den jungen Arbeitslosen ohne Berufsabschluss ist die Entwicklung ähnlich. Im April 2013 lag ihr Anteil bei 70,9 Prozent, im April 2014 schon bei 74,3 Prozent und Ende vergangenen Monats bei 77,5 Prozent.

„Auf zu niedrigem Niveau“

Doch mit der Berufsausbildung junger Menschen in Berlin steht es nicht zum besten. Sie liege „unverändert auf zu niedrigem Niveau“, räumen die Mitglieder der „Sonderkommission Ausbildungsplätze und Fachkräfteentwicklung“ ein, die beim Regierenden Bürgermeister Michel Müller (SPD) angesiedelt ist. In der Kommission sind neben dem Senat Spitzenvertreter von Wirtschaftsverbänden, der Handwerks- und der Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie der Gewerkschaften und der Regionaldirektion Berlin der Bundesagentur für Arbeit vertreten. Die mit 33,9 Prozent bundesweit höchste Zahl der Ausbildungsabbrecher ist nur ein Indiz für den Verbesserungsbedarf .

Bei der Analyse des Ausbildungsmarktes differieren die Betrachtungsweisen von Senat und Wirtschaft allerdings weiterhin. Im vergangenen Jahr habe die Berliner Wirtschaft 1100 Ausbildungsplätze nicht besetzen können, erklärte IHK-Sprecher Leif Erichsen. Dies habe im Wesentlichen vier Gründe: den demografischen Bewerberrückgang, die zunehmende Akademisierung, also den wachsenden Anteil an Studenten, öffentlich-geförderte Ersatzmaßnahmen, die in Konkurrenz zu betrieblichen Ausbildungsplätzen stehen sowie die „fehlende Ausbildungsfähigkeit und -willigkeit junger Menschen“. Zu einer Last-Minute-Ausbildungsplatzbörse im vergangenen Jahr seien von 6500 Jugendlichen, die laut Bundesagentur für Arbeit eine Lehrstelle suchten, nur 1300 erschienen.

Arbeitssenatorin Kolat verweist hingegen darauf, dass laut einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit Ende September vergangenen Jahres knapp 21.000 Bewerbern für einen Ausbildungsplatz nur 14.400 Ausbildungsplätze gegenübergestanden hätten. „Obwohl in Berlin die Zahl der Arbeitsplätze steigt, sinkt die Ausbildungsquote und die Zahl der Betriebe, die ausbilden, auch. Das dürfen wir nicht hinnehmen“, sagte Kolat im Gespräch mit der Berliner Morgenpost. IHK-Sprecher Erichsen verweist darauf, dass die Zahl der kleinen Betriebe mit weniger als zehn Beschäftigten in Berlin besonders groß sei.

Diese Betriebe könnten nicht alle ausbilden. „Das Argument kann allein nicht überzeugen. Ich appelliere an die mittleren und großen Betriebe, noch mehr auszubilden“, konterte Kolat. Kleinere Betriebe könnten sich mit anderen zu einer Verbundausbildung zusammenschließen, der Senat fördere das. „Wir brauchen mehr Betriebe, die ausbilden“, stellte Kolat klar.

Gemeinsam wollen die Soko-Partner nun daran arbeiten, die Ausbildungsbedingungen zu verbessern. In der „Berliner Vereinbarung 2015–2020“ einigten sie sich dazu auf ein Bündel von Maßnahmen. Gemeinsames Ziel sei es, die Beratung und Unterstützung junger Menschen auf dem Weg von der Schule ins Berufsleben zu verbessern, die Zahl betrieblicher Ausbildungsplatzangebote zu erhöhen und vor allem die duale Ausbildung, also die Verbindung von Berufsschule und einer Lehre in einem Betrieb, zu stärken.

Zusätzliche Ausbildungsangebote

Wie berichtet, haben sich Wirtschaft und Handwerk bereit erklärt, der Bundesagentur bis 2020 schrittweise 1000 zusätzliche Ausbildungsplätze zu melden. Die Erhöhung des Angebots soll auch dazu beitragen, das im Bundesvergleich sehr hohe Durchschnittsalter von 21,2 Jahren bei Beginn der Ausbildung zu senken und die Quote der vorzeitigen Auflösung von Ausbildungsverträgen unter 30 Prozent zu drücken. Dazu will Kolat vor allem das Mentorenprogramm ausbauen und gemeinsam mit Handwerkskammer-Präsident Stephan Schwarz die Probleme branchenspezifisch analysieren. Denn die Abbrecherquoten reichen von zehn Prozent bei Verwaltungsangestellten und Mechatronikern bis zu rund 60 Prozent bei Gebäudereinigern und Friseuren.

Zwei weitere Maßnahmen, die von der Sonderkommission beschlossen wurden, sind die Förderung des dualen Studiums und die Verschiebung des Anmeldezeitraums für Oberstufenzentren (OSZ) um zwei Monate nach hinten. Die Berufsfachschulen schnappten bisher Betrieben potenzielle Bewerber um Ausbildungsplätze weg, weil die Schulabgänger sich sehr früh entscheiden mussten, auf ein OSZ zu wechseln.

Die wichtigsten Neuerungen sind allerdings die Reform der Berufs- und Studienorientierung an den Schulen sowie die Jugendberufsagentur, die in diesem Herbst in vier Bezirken startet und 2016 ausgeweitet werden soll. In den Anlaufstellen sollen Jugendliche Angebote von Jobcenter, Arbeitsagentur, Jugendamt und Schulen finden.

Die Agentur hat auch das Ziel, alle Jugendlichen zu erreichen. Bislang verschwinden nach Abschluss der zehnten Klasse Jahr für Jahr rund 3000 Jugendliche aus dem bislang sehr intransparenten System verschiedenster Förderprogramme. Die meisten tauchen vermutlich in Jobs ab.

„Gut ausgebildete Fachkräfte werden immer gebraucht“

Michael Müller betonte, Ausbildung sei nicht nur ein Schlüssel für die Zukunft der Jugendlichen, sondern auch für die Unternehmerseite wichtig, „die junge und gut ausgebildete Fachkräfte immer dringender braucht“. Handwerkskammer-Präsident Stephan Schwarz hingegen legte den Fokus auf die in der Vereinbarung beschlossenen Unterstützungs- und Beratungsangebote. Sie würden dazu beitragen, Jugendliche „schneller und gezielter“ in eine Ausbildung zu bringen. Die zahlreichen Chancen, die eine duale betriebliche Ausbildung biete, seien vielen jungen Menschen noch nicht ausreichend bekannt, sagte Schwarz.

„Mit der Berliner Vereinbarung setzen alle Partner aus Politik und Wirtschaft ein deutliches Signal für die Stärkung der dualen betrieblichen Bildung in Berlin“, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder zu den Ergebnissen der Sonderkommission „Ausbildungsplätze und Fachkräfteentwicklung“ beim Regierenden Bürgermeister. „Wir verabreden damit einen klaren Berliner Fahrplan zu mehr Wachstum und Fachkräftesicherung durch Ausbildung“, so Eder Künftig solle kein angebotener Ausbildungsplatz mehr unbesetzt bleiben.