Es sollte ein Schritt zu mehr Basisdemokratie und mehr Mitbestimmung sein: Die Führung der Polizei hat die Beschäftigten der 37 Abschnitte befragt, ob sie zufrieden sind mit ihrem Job, was sie stört und ob sie Beruf und Privatleben gut vereinbaren können. 157 Fragen, übermittelt per Online-Formular, alles ganz modern, alles ganz bequem für die Mitarbeiter. Im Mittelpunkt standen rund 40 Fragen zu einem neuen Arbeitszeitmodell, das die Polizeiführung seit März vergangenen Jahres in zwölf Abschnitten erprobt. Die Ergebnisse der Umfrage, so bestätigt die Polizei, wird in die Entscheidung, ob das Modell in ganz Berlin eingeführt wird oder wieder in der Schublade verschwindet, mit einfließen.
Das klingt gut – ist aber ein Problem. Denn wie die Berliner Morgenpost erfuhr, gab es eine folgenschwere Sicherheitslücke. Wer auch immer den Link zu dem Online-Fragebogen erhielt, konnte ihn ausfüllen und abschicken: Zum Beispiel Beamte, die nicht in den Abschnitten arbeiten und von dem neuen Arbeitszeitmodell gar nicht betroffen sind – und letztlich sogar jeder, der über einen Internetanschluss verfügt und – auf welchen Wegen auch immer – den Link zu der Umfrage erhalten hatte. Beamte konnten offenbar auch mehrfach an der Befragung teilnehmen. Das Ergebnis, so befürchtet die Gewerkschaft der Polizei (GdP), könnte also verfälscht worden sein. „Unter diesen Umständen darf die Umfrage keine Grundlage für eine Entscheidung über die Einführung des neuen Arbeitszeitmodells sein“, fordert die Vorsitzende der GdP, Kerstin Philipp.
„Sehr vertrauliche Fragen“
Die Polizei räumte die Möglichkeit des Missbrauchs auf Nachfrage ein. Da den Beschäftigten „sehr vertrauliche Fragen“ gestellt worden seien, sei der Schutz der persönlichen Daten wichtiger gewesen als die Möglichkeit des Missbrauchs. „Die Nutzung des Links durch nicht Polizeiangehörige sowie eine Mehrfachnutzung war nicht gänzlich auszuschließen“, sagt Polizeisprecher Thomas Neuendorf. Als Polizeipräsident Klaus Kandt von einem Fall erfuhr, in dem der Link die Behörde verlassen habe, sei die Umfrage für eineinhalb Tage unterbrochen worden. Die Firma habe geklärt, dass ein „Daten-Cleaning“ und eine „Plausibilitätsprüfung“ möglich sei. Daraufhin sei die Befragung wieder freigeschaltet worden. Inwiefern durch das „Daten-Cleaning“ ausgeschlossen werden kann, dass Antworten von Umfrageteilnehmern außerhalb der Polizeiabschnitte einfließen, geht nicht aus der Antwort hervor. Ebenso wenig erwähnt die Polizei das Problem von Mehrfachteilnahmen. Die Polizei, so Sprecher Neuendorf, sei „überzeugt, dass die Mitarbeiter im Sinne dieser vertrauensvollen Umfrage ehrlich an der Befragung teilgenommen haben.“
Umfrage kostete 80.000 Euro
Das mit der Durchführung der Umfrage beauftragte Unternehmen erhielt laut Polizei ein Honorar von rund 80.000 Euro. Rückforderungen will die Polizei nicht stellen. Der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber sieht daher „die Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit“ gefährdet. Schriftlich hat er den Landesrechnungshof gebeten, den Vorgang zu prüfen. „Mich irritiert der Umgang mit Steuergeld in diesem Fall massiv, besonders da sich Berlin dauerhaft in einer Haushaltsnotlage befindet“, schreibt Schreiber. Auf Anfrage der Morgenpost sagte er: „Man hätte auch von Neuseeland aus über die Zukunft der Berliner Polizei abstimmen können.“ Es habe ihn „entsetzt“, dass die Polizei die Umfrage trotz der Hinweise und Bedenken einfach fortgeführt habe.
Das in den Abschnitten erprobte Arbeitszeitmodell, das im Mittelpunkt der Umfrage stand, orientiert sich am Arbeitszeitmodell für die polizeiliche Einsatzleitzentrale (ELZ). Im Vergleich zu dem bisherigen „Berliner Modell“ (BMO) gibt es dabei veränderte Schichtzeiten und eine andere Dienstplanstruktur. In der Online-Befragung sollten die Mitarbeiter anhand einer Skala einstufen, inwiefern sie sich durch veränderte Spät- oder Wochenenddienste belastet fühlen, ob sie Kollegen zum Schichttausch finden und wie sich die veränderten Dienstzeiten auf ihr Privatleben auswirken. Der Hauptpersonalrat hatte dazu im vergangenen Jahr eine eigene Befragung durchgeführt, nicht per Internet, sondern per Post. Dabei klagten 70 Prozent der Umfrageteilnehmer über negative gesundheitliche Auswirkungen, mehr als 80 Prozent sprachen sich insgesamt dagegen aus. Die GdP bezeichnet das neue Modell, im Vergleich zum „Berliner Modell“, als familienfeindlich. „Das ELZ-Modell taugt nicht für die Abschnitte“, sagte die GdP-Landesvorsitzende Philipp.
Ob die Online-Befragung die Ergebnisse der Umfrage des Hauptpersonalrates bestätigte, sei zweitrangig, sagt Philipp. Denn die Aussagekraft stehe wegen der Manipulationsmöglichkeiten infrage. Mittlerweile befasst sich auch die Innenverwaltung mit dem Vorgang. Wie ein Sprecher mitteilte, forderte die Behörde die Polizei vor einer Woche auf, „das Umfrageergebnis auf Auffälligkeiten zu überprüfen.“