In Berlin erzählt der Publizist Jürgen Todenhöfer von seiner Reise zum „Islamischen Staat“ – und von seiner Vision. Kein anderer westlicher Publizist kam bisher so nah an die Dschihadisten heran.
Jürgen Todenhöfer steht da und lächelt. Dann läuft er auf das Podium. Er ist ein bisschen spät dran, wippt ein bisschen in den Knien, er trägt Jeans, Segeltuchschuhe, ein nicht besonders gut gebügeltes Hemd, drei Knöpfe sind offen, die Menschen klatschen, er freut sich. Er schaut sich um und fragt, ob noch irgendwo Platz sei, er habe noch ein paar Freunde mitgebracht. Der Mann ist 75Jahre alt und wirkt wie der beliebteste Kerl auf dem Oberstufen-Schulhof, der gern mal zu spät kommt, ohne zu fragen Freunde auf Partys mitbringt und von den Mädchen angehimmelt wird.
Man kann also sagen: Dem Mann, der zehn Tage durch den „Islamischen Staat“(IS) gereist ist und danach in Fernsehinterviews besorgt auf die Fragen der Journalisten antwortete, geht es wieder gut. Er stellt an diesem Montagabend sein in dieser Woche erschienenes Buch im ausverkauften Audimax der Humboldt-Universität vor. „Inside IS – 10 Tage im ,Islamischen Staat‘“ erzählt von seiner Reise durch den Irak im Dezember 2014.
Kein anderer westlicher Publizist kam bisher so nah an die Dschihadisten heran. Es ist eine extreme Reise. Todenhöfer sieht Kinder mit Kalaschnikows, hört zynische Sätze über das Abhacken von Händen und Köpfen, fürchtet immer wieder um sein Leben. Sein Sohn Frederic begleitet ihn, sie haben Kapseln bei sich, die schnell den Tod bringen. Er will nicht, dass IS-Schlächter ihm vor der Kamera den Kopf abhacken.
„Der IS ist eine Chaotentruppe“
Warum macht dieser Mann das? Er geht auf die 80 zu. Er hat eine Familie. Als er nach zehn Tagen im Irak endlich wieder zu Hause anrufen kann, so liest er aus seinem Buch vor, hat er seine jüngste Tochter am Apparat: „Nathalie schreit vor Wut. Warum wir uns nicht gemeldet hätten? Dann schluchzt sie nur noch.“
Man weiß nicht, warum er das macht. Schaut man sich sein Leben an, kann man es vielleicht ein bisschen verstehen. 1940 geboren, die Familie ist arm, der kleine Jürgen hat oft Hunger. Jurastudium, dann Richter. Von 1972 bis 1990 CDU-Abgeordneter im Bundestag, er gehört zum rechten Flügel der Union, SPD-Fraktionschef Herbert Wehner nennt ihn „Hodentöter“.
In den 90er-Jahren arbeitet er als Vizechef im Burda-Verlag, bei seinem Schulfreund Hubert Burda. Seit den Anschlägen vom 11.September 2001 plädiert er in Talkshows gegen die Kriege des Westens in der arabischen Welt, schreibt Bestseller. Nur wenige Menschen schaffen so viele Wendungen. Er wirkt wie ein Getriebener. Wie einer, der immer weiter muss.
Beißender Antiamerikanismus
Todenhöfer ist umstritten. Weil er gegen die Politik des Westens ist (Todenhöfer: „Der IS ist natürlich eine Chaotentruppe, aber wir haben sie gezüchtet“). Weil er einen manchmal beißenden Antiamerikanismus vertritt (Washington ist schuld daran, dass sich Sunniten und Schiiten im Irak nicht vertragen, glaubt er). Weil er sehr nah, oft zu nah an den Kriegern im Nahen Osten dran ist, zu wenig Kritik übt, immer versucht, sie zu verstehen. Hinzu kommen fünf Eigenschaften, die an diesem Abend in Berlin unangenehm auffallen.
Erstens: Nur er kennt die absolute Wahrheit. Todenhöfer spricht davon, dass er im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt war und für einen friedlichen Ansatz plädiert hat. Doch niemand wollte auf ihn hören. „Und wir liefern Waffen“, ruft er. Es gibt kein Grau, kein Vielleicht. Nur Schwarz und Weiß.
Zweitens: Er verbreitet Verschwörungstheorien. So glaubt er, dass Israel den IS unterstützt. Israel sei daran interessiert, dass die Moslems sich gegenseitig bekämpfen, sagt Todenhöfer. Beweise dafür hat er nicht.
Drittens: Er argumentiert unsachlich und polemisch. Als es um den Libyenkrieg geht, sagt Todenhöfer zu den Bombardements des Westens: „Sarkozy war gerade die Frau weggelaufen und er musste zeigen, dass er ein Mann ist. Und der kleine Kerl wurde immer größer – und dann haben sie bombardiert.“
Er schreit ins Mikrofon
Viertens: Er hat Anflüge von Größenwahn. Todenhöfer liest seinen offenen Brief an den Kalifen des IS vor, der auch im Buch abgedruckt ist. Am Anfang überlegt er, wie er den Kalifen anschreiben soll. Und stellt sich dabei in die Nähe des größten Pazifisten aller Zeiten. Mahatma Gandhi habe 1939, einen Monat vor Kriegsbeginn, in einem Brief Adolf Hitler darum gebeten, keinen Krieg zu beginnen. Gandhi schrieb „Lieber Freund“. Dass Todenhöfer dem Kalifen al-Baghdadi vorwirft, er handle „nach den Geboten des Koran unislamisch und kontraproduktiv“, geht dann fast unter.
Fünftens: Besessenheit. Todenhöfer spricht zwischendurch immer wieder wie ein Prediger, alle Jugendlichkeit und Lässigkeit fällt dann von ihm ab. „Krieg ist hirnrissig. Krieg ist Mord“, schreit er ins Mikrofon, verliert fast die Beherrschung, und er schreit weiter, aber man versteht ihn nicht, weil die Zuschauer so laut klatschen.
Es ist diese unerträgliche Mischung, die Todenhöfer unglaubwürdig macht. Und das ist schade. Weil der Mann etwas zu erzählen hat. Sein Reisetagebuch, aufgeschrieben in einem knappen Stil, gibt zumindest einen beklemmenden Einblick in die Welt der Dschihadisten.
Doch Todenhöfer ist weit entfernt von Kriegsjournalisten. Die fahren hin und schauen und schreiben auf – und urteilen so wenig wie möglich. Ihnen geht es um die Menschen, die unter dem Krieg leiden. Das ist bei Todenhöfer auch so – noch stärker ist allerdings sein Drang, Werbung für seine Meinung, seine Vision zu machen.
Jürgen Todenhöfer: Inside IS – 10 Tage im „Islamischen Staat“. C. Bertelsmann Verlag. 285 Seiten. 17,99 Euro.