Die Berliner Polizei hat am frühen Freitagmorgen eine groß angelegte Razzia in der Berliner Islamistenszene vorgenommen. Dabei wurden zwei Männer verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat in Syrien vorbereitet zu haben. Anschläge in Deutschland sollen sie nicht geplant haben.
250 Beamte, darunter drei Spezialeinsatzkommandos durchsuchten am Morgen nach Informationen der Berliner Morgenpost unter anderem in Moabit insgesamt elf Objekte. Wie die Polizei und die Staatsanwaltschaft am Morgen mitteilten, richtet sich der Verdacht gegen den 41 Jahre alten Türken Ismet D. und vier weitere Türken im Alter von 31 bis 44 Jahren. Sie sollen seit Jahren zum gewaltbereiten salafistischen Spektrum gehören und würden eine ideologische Nähe zu terroristischen Organisationen wie dem Islamischen Staat (IS) und tschetschenischen Gruppierung erkennen lassen, die in Syrien kämpfen.
Die Behörden werfen Ismet D. vor, als selbsternannter Emir und „Weisenratspräsident“ eine islamistische Extremistengruppe in Berlin-Tiergarten anzuführen. Dazu zählten vor allem türkische und russische Staatsangehörige tschetschenischer und dagestanischer Herkunft. D. soll diese Gruppe durch „Islamunterricht“ radikalisiert und auf den Dschihad in Syrien vorbereitet haben.
Hochwertiges militärisches Material geliefert
Zudem sollen Ismet D. und der für die Finanzen der Gruppe zuständige Emin F., 43, Mitglieder der Gruppe bei der Ausreise nach Syrien unterstützt und später erhebliche Summen zur Finanzierung von Straftaten zur Verfügung gestetllt zu haben. Außerdem sollen sie die Ausgereisten mit hochwertigem militärischem Material unterstützt haben. Darunter seien auch spezielle Nachtsichtgeräte, so die Polizei.
Ismet D. soll zudem der Arbeitgeber von Murat S. gewesen sein, einem Syrien-Rückkehrer, der am 19. September 2014 verhaftet wurde, weil er im Verdacht stand, eine schwere Gewalttat begehen zu wollen. Murat S. war demnach regelmäßiger Teilnehmer des „Islamunterrichts“ von D. Er sitzt weiter in Untersuchungshaft.
Berlin ist eine Hochburg der Islamisten-Szene
Berlin hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Hochburg der radikalen Islamisten-Szene entwickelt. Etwa jeder zehnte der knapp 6000 in Deutschland bei den Sicherheitsbehörden registrierten Islamisten lebt in der Hauptstadt oder übt hier regelmäßig seine radikalen Aktivitäten aus. 550 Personen hat der Berliner Verfassungsschutz im Visier, ebenso wie ein Dutzend Moscheen und Vereine. Ganz besonders im Fokus stehen dabei die Al-Nur-Moschee in Neukölln und die Moschee „As-Sahaba in Wedding.
Islamistische Aktivitäten werden immer stärker auch an Schulen beobachtet. Lehrer in Neukölln, Kreuzberg oder Wedding sehen das schon seit fünf Jahren. Immer wieder stellen sie fest, dass Schüler offenbar radikalisiert werden und plötzlich ihr Verhalten sowie ihr Erscheinungsbild ändern, etwa indem sie mit Kopfbedeckung erscheinen, sich einen Vollbart wachsen lassen oder sich weigern, mit Frauen zu sprechen. Letzteres gilt nach Berichten aus mehreren Schulen auch für Lehrerinnen, die sich von derart radikalisierten Schülern oft schlimme Beleidigungen anhören müssen.
Moschee trennt sich von Predigern
Die immer wieder in den Schlagzeilen auftauchende Al-Nur-Moschee hat in der Vergangenheit mehrfach reagiert und sich von besonders radikalen Predigern und Mitgliedern getrennt. Dennoch kommt es immer wieder zu Vorfällen. Im März 2003 wurde die Moschee von der Polizei durchsucht. Dabei wurde unter anderem der Imam der Gemeinde Salem El-Rafei („Scheich Salem“ genannt) kurzzeitig festgenommen. Danach geriet die Frauengruppe der Moschee in den Fokus, da sie auf ihrer Internetseite einen antisemitischen Dialog mit dem Oberhaupt veröffentlicht hatte. Die Homepage wurde dann gelöscht.
2005 wurde dem Imam Salem El-Rafei die Einreise nach Berlin wegen Hetzreden und Aufforderung zu Gewalt verweigert. Sein Aufenthaltsstatus in Berlin wurde gestrichen. Seitdem übernahm Abdul Adhim Kamouss die Aufgaben des Imam. 2009 erregte die Moschee im Berliner Stadtteil Neukölln Aufsehen, als der als homophob bekannte Hassprediger Bilal Philips für einen Vortrag eingeladen wurde.Im Mai 2010 soll in der Moschee laut Berliner Verfassungsschutz ein Missionierungsseminar für Jugendliche angeboten worden sein. Laut „Zentrum Demokratische Kultur“ problematisch: Jugendliche wenden sich zwar von Kriminalität und Drogen ab und versuchen, eine Ausbildung nachzuholen, aber gleichzeitig wird ihnen eine anti-demokratische und fundamentalistische Weltsicht verpasst. Zuletzt sorgte im Juli vergangenen Jahres der dänische Imam Abu Bilal Ismael mit einer Predigt in der Moschee für Aufsehen. Darin hetzte er gegen Juden und rief sogar zum Mord an ihnen auf. "Zählt sie und tötet sie bis zum letzten", forderte er seine Zuhörer auf.
43.000 Islamisten in Deutschland
Der Verfassungsschutz rechnet mehr als 43 000 Menschen zur islamistischen Szene in Deutschland. Diese ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen – vor allem durch den starken Zulauf bei der Gruppe der Salafisten, einer besonders konservativen Strömung innerhalb des Islam. Rund 7000 Leute werden inzwischen der Salafisten-Szene zugerechnet. 2011 waren es noch etwa halb so viel. Besonders stark sind die Salafisten in Nordrhein-Westfalen vernetzt.
Mehr als 550 radikale Islamisten aus Deutschland sind bislang in das Kampfgebiet nach Syrien und in den Irak ausgereist. Die Zahl geht seit langem kontinuierlich nach oben. Viele haben sich dort der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen. Etwa 180 der Ausgereisten sind inzwischen wieder in Deutschland. Aber nur von einem kleinen Teil davon – etwa 30 Personen – ist bekannt, dass sie aktiv am bewaffneten Konflikt beteiligt waren. Rund 60 Islamisten aus Deutschland sind laut Verfassungsschutz in Syrien und dem Irak gestorben. Mindestens zehn sprengten sich bei Selbstmordanschlägen in die Luft. Dies sind aber nur die bekannten Fälle.
Verdächtiger in Wolfsburg vor Haftrichter
Zuletzt gab es in Deutschland schon häufiger Durchsuchungen und Festnahmen von Heimkehrern aus Syrien und dem Irak. Am Donnerstag war in Wolfsburg ein Deutsch-Tunesier festgenommen worden, der sich dem IS angeschlossen haben soll. Während eines knapp dreimonatigen Aufenthalts in Syrien soll er eine Kampfausbildung durchlaufen haben. Der Bundesgerichtshof wollte am Freitag über einen Haftbefehl gegen den 26-Jährigen entscheiden.
In Pforzheim hatte die Polizei am Donnerstag Wohnungen mutmaßlicher Islamisten durchsucht. Auch in diesen beiden Fällen gab es keine Anhaltspunkte für Anschläge in Deutschland.
Am Donnerstagabend hatte die belgische Polizei mit einem großangelegten Anti-Terror-Einsatz Anschlagspläne mutmaßlicher Dschihadisten vereitelt. Im Grenzgebiet zu Deutschland wurden zwei Terrorverdächtige bei einem Schusswechsel getötet, ein dritter überlebte. Nach Angaben der Ermittler stand ein größerer Angriff unmittelbar bevor. Einen Zusammenhang mit den islamistischen Attentaten mit 20 Toten, die Frankreich vergangene Woche erschüttert hatten, sieht die Staatsanwaltschaft nicht.
„Islamistisch-terroristisches“ Spektrum
Die Sicherheitsbehörden stufen viele Islamisten als gefährlich ein. Etwa 1000 Menschen in Deutschland werden dem „islamistisch-terroristischen“ Spektrum zugeordnet. Darunter sind 260 sogenannte Gefährder, also Menschen, denen die Polizei zutraut, dass sie einen Terrorakt begehen könnten. Die Zahl ist so hoch wie nie zuvor. Zum Teil sind auch Rückkehrer aus Dschihad-Gebieten darunter. Diese machen den Sicherheitsbehörden große Sorgen, weil sie oft radikalisiert zurückkommen – und zum Teil kampferprobt.