BUND-Geschäftsführer Tilmann Heuser soll das Verfahren zur Beteiligung der Berliner bei der Entwicklung des Tempelhofer Felds organisieren. Im Interview spricht er über Volksentscheide und Wohnungspolitik.
Tilmann Heuser ist so etwas wie der Beteiligungsbeauftragte des Berliner Senats. Nach dem erfolgreichen Volksentscheid zur Entwicklung des Tempelhofer Feldes beauftragte der Senat den Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) damit, das weitere Verfahren zu organisieren. Im Interview mit der Berliner Morgenpost verrät er, warum viele Versuche, die Bevölkerung an Vorhaben der Stadtentwicklung zu beteiligen, scheitern, die Proteste gegen Wohnungsneubauten ansteigen und wie der Stand der Entwicklung auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof ist.
Berliner Morgenpost: Herr Heuser, in den vergangenen Jahren wächst die Kritik an Bauvorhaben von neuen Wohnungen, die dringend benötigt werden. Was ist da schiefgelaufen?
Tilmann Heuser: Das Thema Stadtentwicklung ist seit drei, vier Jahren wieder ein brennendes Thema. Es gibt einen massiven Handlungsdruck, das war davor nicht so. Das trifft auf eine sehr eingesparte und zum Teil überforderte Verwaltung. In den letzten Jahren wurde es versäumt, Baugenehmigungen zu erteilen, und jetzt soll alles schnell, schnell gehen. Außerdem liegt das Primat auf bauen, bauen, bauen, ohne die Qualität der Stadtentwicklung im Blick zu behalten.
Aber müssen wir nicht bauen, bauen, bauen?
In Teilen ja. Auf der anderen Seite muss man aber fragen, für welche Zielgruppen wird was gebaut. Wenn man die Einwohnerprognose betrachtet, die von 250.000 neuen Berlinern ausgeht, lässt man aber den demografischen Wandel außer Acht. Da kommt ein Riesenproblem auf uns zu, es fehlen seniorengerechte Wohnungen. Das Problem besteht schon heute, dass viele Menschen nicht mehr aus ihrer Wohnung kommen, weil sie Treppen nicht mehr hoch- und runterkommen. Eine andere Frage ist die Stadtreparatur. Die wurde nur zögerlich vorangetrieben.
Im Moment werden ja vor allem von privaten Investoren neue Wohnungen gebaut.
Für das gehobene Segment, ja. Aber die Zuzügler, wie zum Beispiel Studenten, suchen nicht im höheren Preissegment.
Der Senat hat beschlossen, 5000 Studentenwohnungen zu bauen …
Ja, aber es passiert nichts. Da wird die Verantwortung wieder von einer Stelle zur nächsten geschoben.
Ist das Unfähigkeit oder eine Frage des Wollens?
Das Wollen ist vorhanden, Fähigkeiten sind auch viele vorhanden, es geht nur darum, das wieder komplett einzuüben. Die Berliner Verwaltung ist etwas komplizierter als andere Kommunen, weil es unüberschaubarer ist.
Wir haben also kein Entscheidungsproblem sondern ein Umsetzungsproblem?
Ja. Es geht darum, klare Prozesse vorzugeben.
Sie sind Chef des Beteiligungsverfahrens in Tempelhof. Wie läuft es denn da?
Die Beschlusslage steht ja. Das Feld darf nicht bebaut werden. Die Kernfrage lautet, wie man das Feld weiterentwickelt, aus dem Blickwinkel der Natur und der Geschichte.
Geht es darum, den Volksentscheid aufzuweichen?
Nein. Es geht darum, den Volksentscheid umzusetzen. Das Gesetz sieht einen Entwicklungs- und Pflegeplan für das Tempelhofer Feld vor. Daran arbeiten wir.
Ist es nicht ein Wahnsinn, so ein riesiges Areal wie das Flughafengelände in Tempelhof nicht verändern zu dürfen?
Das hat der oberste Gesetzgeber – das Volk – so entschieden, nachdem es der Senat geschafft hat, mit seinem nicht so ergebnisoffenen Konzept sehr viele Menschen gegen sich aufzubringen. Dazu muss man sagen, dass es in Berlin andere Flächen gibt, die weiterentwickelt werden können. Zumal es auf dem Tempelhofer Feld enorme Erschließungsprobleme gibt, die anderswo nicht so vorhanden sind.
Aber auch bei anderen Flächen, die bebaut werden sollen, gibt es Ärger.
Aber nicht so viel wie beim Tempelhofer Feld. Bei wie viel Prozent der derzeit 20.000 Baugenehmigungen gibt es denn Ärger? Es ist ja nicht so, dass jedes Bauvorhaben umstritten ist.
Ist das ein Widerspruch, dass der Widerstand gegen solche Bauprojekte überall wächst, die Wahlbeteiligung aber gleichzeitig seit Jahren sinkt?
Ja. Immer mehr Menschen verabschieden sich aus den üblichen politischen Prozessen. Weil es zum Teil keine Andockmöglichkeiten gibt. Wenn es immer nur heißt: Wir lösen das Problem, aber ihr dürft nicht mitreden, ist es schwierig, die Leute dafür zu begeistern, die Stadt mitzugestalten.
Ist das nicht ein Alarmzeichen, wenn sich die Mitgestaltungsprozesse ins Außerparlamentarische verlagern?
Die Politik muss sich einfach überlegen, was ihre Funktion ist. Sie sagt häufig: ‚Wir haben alles im Griff, wir schaffen Arbeitsplätze, wir schaffen Wohnraum, und seht mal, wie toll wir sind.‘ Regierungen und Opposition gefallen sich häufig darin, für ein Problem gleich die Lösung parat zu haben. Die Problemdefinition bleibt dabei jedoch meist außen vor.
Aber ist das nicht das gute Recht, seine Vorstellungen darzustellen?
Natürlich dürfen Verwaltungen und Politiker Vorschläge machen. Das Entscheidende ist, was passiert, wenn ein Politiker einen Vorschlag macht, der zerredet wird und der Politiker dann sagt: ,Danke für die Diskussion, ich habe etwas dazugelernt.‘ Dafür wird er nicht etwa positiv gelobt, sondern es heißt, er hat verloren. Dabei ist es doch das Normalste der Welt, einen Vorschlag, der nicht gut war, wieder zurückzuziehen.
Ist das – wie bei Tempelhof zu sehen war – vor allem ein Problem der Sozialdemokraten?
Nein, das ist ein Problem von allen. Häufig geht es nicht um die beste Lösung, sondern um die Durchsetzung der eigenen Lösungsalternative. Ein wunderbares Beispiel dafür ist die Standortfrage der Landeszentralbibliothek auf dem Tempelhofer Feld gewesen. Der inzwischen zurückgetretene Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hätte sagen können, ich ziehe meinen Vorschlag zurück und lasse ein ergebnisoffenes Verfahren über diese Frage zu. Das hat er aber nicht getan. Entweder, weil er zu arrogant war, oder aber, weil er einen Gesichtsverlust erlitten hätte, wenn er mit seinem Plan nicht durchgekommen wäre.
Begeht der Senat gerade den gleichen Fehler bei der Frage der Flüchtlingsunterkünfte, die häufig ohne jede Information in den Bezirken entstehen?
In Teilen auch. Sie suchen engagiert nach Lösungen. Aber auch hier könnte man sagen: Ich habe ein Flüchtlingsproblem, ich muss gegebenenfalls auch temporäre Anlagen bauen, dafür brauche ich bestimmte Flächen. Wo sind dafür geeignete Standorte? Wenn man das früh genug artikuliert, findet man bestimmt geeignete Grundstücke.
Sie glauben also nicht, dass die Kritiker bloß Neinsager sind?
Nein. Wenn nicht einmal die Bezirke eingebunden sind, ist das ein Alarmsignal. Dann legt sich die Politik selbst lahm.
Sie haben zusammen mit dem Landessportbund ein Diskussionsforum zum Olympiathema eingerichtet, wie ist die Resonanz?
Die Resonanz ist noch überschaubar. Bisher haben nur 500 Leute mitgemacht, dafür herrscht eine hohe Qualität bei den Beiträgen. Das zentrale Thema sind die Kosten und die Frage des IOC und dessen Bedingungen. Es gibt eine generelle Bereitschaft für Olympische und Paralympische Spiele. Was kontrovers diskutiert wird, ist das Konzept für die Sportstätten und ob es dem Breitensport etwas bringt.
Wie viele Berliner sind Ihrer Meinung nach bei der Frage zu Olympischen Spielen in der Stadt noch unentschieden?
Ich würde sagen, die allermeisten. Das Thema interessiert die Leute noch nicht besonders, weil wir zunächst einmal noch in dem Wettbewerb zwischen Hamburg und Berlin stecken. Außerdem glauben die meisten, dass es keine Bewerbung für 2024 geben wird. Schon vor dem Hintergrund des unfertigen Flughafens in Schönefeld. Viele Berliner warten jetzt erst einmal auf Informationen.